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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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begannen bei unserm Erscheinen in sehr langsamem Tempo
einen monotonen Gesang, in welchem die Worte "dschan
dedim -- ich gebe meine Seele hin" sehr oft wiederkehrten.
Nach demselben wurden die Maultiere mit Wasser aus
dem heiligen Brunnen getränkt und erhielten einige Hand-
voll Körner, um anzudeuten, daß der, den sie trugen, eine
weite Reise vor sich habe. Nun machte der Mir Scheik
Khan einige Zeichen mit der Hand, deren Bedeutung ich
nicht verstand, und jetzt begann ein zweiter Gesang, leise
und harmonisch. Er hatte vier Absätze, deren jeder mit
den Worten: "Tu Chode dehabini, keif inim -- du liebst
Gott, genieße Ruhe" begann. Leider verstand ich zu wenig
Kurdisch, um das Ganze begreifen und merken zu können.

Als dieser Gesang beendet war, gab der Khan ein
Zeichen. Er stellte sich an die Spitze; zwei Scheiks nahmen
die Maultiere am Zügel; ihnen folgten paarweise die an-
dern Scheiks und Kawals, denen sich Ali Bey mit mir
anschloß. Der Zug setzte sich in Bewegung und wurde,
als er aus dem Heiligtume trat, von einer Salve der
Wachehaltenden empfangen.

Sofort krachten auf den Höhen Hunderte von Schüssen,
und aber Hunderte trugen die Botschaft, daß wir aufge-
brochen seien, dem Thale Idiz entgegen.

Wir zogen langsam zur Höhe empor. Als wir den
Weg nach dem Thale erreichten, bot sich uns ein zaube-
rischer Anblick dar. Die Dschesidi hatten von Scheik Adi
bis Idiz ein Spalier gebildet, dessen Doppelglieder un-
gefähr dreißig Schritte auseinander standen. Jeder dieser
Männer trug eine Fackel und eine Flinte, und jedes dieser
Glieder schloß sich unter Abfeuern der Gewehre hinter
uns an. So bildete sich ein Zug, der mit jedem Augen-
blicke und mit jedem Schusse immer länger wurde. Das
Licht der Fackeln schmückte den dunkeln Wald, welcher

begannen bei unſerm Erſcheinen in ſehr langſamem Tempo
einen monotonen Geſang, in welchem die Worte „dſchan
dedim — ich gebe meine Seele hin“ ſehr oft wiederkehrten.
Nach demſelben wurden die Maultiere mit Waſſer aus
dem heiligen Brunnen getränkt und erhielten einige Hand-
voll Körner, um anzudeuten, daß der, den ſie trugen, eine
weite Reiſe vor ſich habe. Nun machte der Mir Scheik
Khan einige Zeichen mit der Hand, deren Bedeutung ich
nicht verſtand, und jetzt begann ein zweiter Geſang, leiſe
und harmoniſch. Er hatte vier Abſätze, deren jeder mit
den Worten: „Tu Chode dehabini, keif inim — du liebſt
Gott, genieße Ruhe“ begann. Leider verſtand ich zu wenig
Kurdiſch, um das Ganze begreifen und merken zu können.

Als dieſer Geſang beendet war, gab der Khan ein
Zeichen. Er ſtellte ſich an die Spitze; zwei Scheiks nahmen
die Maultiere am Zügel; ihnen folgten paarweiſe die an-
dern Scheiks und Kawals, denen ſich Ali Bey mit mir
anſchloß. Der Zug ſetzte ſich in Bewegung und wurde,
als er aus dem Heiligtume trat, von einer Salve der
Wachehaltenden empfangen.

Sofort krachten auf den Höhen Hunderte von Schüſſen,
und aber Hunderte trugen die Botſchaft, daß wir aufge-
brochen ſeien, dem Thale Idiz entgegen.

Wir zogen langſam zur Höhe empor. Als wir den
Weg nach dem Thale erreichten, bot ſich uns ein zaube-
riſcher Anblick dar. Die Dſcheſidi hatten von Scheik Adi
bis Idiz ein Spalier gebildet, deſſen Doppelglieder un-
gefähr dreißig Schritte auseinander ſtanden. Jeder dieſer
Männer trug eine Fackel und eine Flinte, und jedes dieſer
Glieder ſchloß ſich unter Abfeuern der Gewehre hinter
uns an. So bildete ſich ein Zug, der mit jedem Augen-
blicke und mit jedem Schuſſe immer länger wurde. Das
Licht der Fackeln ſchmückte den dunkeln Wald, welcher

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[105/0119] begannen bei unſerm Erſcheinen in ſehr langſamem Tempo einen monotonen Geſang, in welchem die Worte „dſchan dedim — ich gebe meine Seele hin“ ſehr oft wiederkehrten. Nach demſelben wurden die Maultiere mit Waſſer aus dem heiligen Brunnen getränkt und erhielten einige Hand- voll Körner, um anzudeuten, daß der, den ſie trugen, eine weite Reiſe vor ſich habe. Nun machte der Mir Scheik Khan einige Zeichen mit der Hand, deren Bedeutung ich nicht verſtand, und jetzt begann ein zweiter Geſang, leiſe und harmoniſch. Er hatte vier Abſätze, deren jeder mit den Worten: „Tu Chode dehabini, keif inim — du liebſt Gott, genieße Ruhe“ begann. Leider verſtand ich zu wenig Kurdiſch, um das Ganze begreifen und merken zu können. Als dieſer Geſang beendet war, gab der Khan ein Zeichen. Er ſtellte ſich an die Spitze; zwei Scheiks nahmen die Maultiere am Zügel; ihnen folgten paarweiſe die an- dern Scheiks und Kawals, denen ſich Ali Bey mit mir anſchloß. Der Zug ſetzte ſich in Bewegung und wurde, als er aus dem Heiligtume trat, von einer Salve der Wachehaltenden empfangen. Sofort krachten auf den Höhen Hunderte von Schüſſen, und aber Hunderte trugen die Botſchaft, daß wir aufge- brochen ſeien, dem Thale Idiz entgegen. Wir zogen langſam zur Höhe empor. Als wir den Weg nach dem Thale erreichten, bot ſich uns ein zaube- riſcher Anblick dar. Die Dſcheſidi hatten von Scheik Adi bis Idiz ein Spalier gebildet, deſſen Doppelglieder un- gefähr dreißig Schritte auseinander ſtanden. Jeder dieſer Männer trug eine Fackel und eine Flinte, und jedes dieſer Glieder ſchloß ſich unter Abfeuern der Gewehre hinter uns an. So bildete ſich ein Zug, der mit jedem Augen- blicke und mit jedem Schuſſe immer länger wurde. Das Licht der Fackeln ſchmückte den dunkeln Wald, welcher

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/119>, abgerufen am 22.11.2024.