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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"So sagtest du; aber du wirst dennoch Geld nehmen!"

"Was der Bey der Dschesidi sagt, das weiß er auch
zu halten. Du brauchst Speise, und ich brauche Waffen
und Munition. Wir tauschen, und so ist uns beiden dann
geholfen."

"Du vergissest, daß ich die Waffen und die Munition
selbst brauche!"

"Und du vergissest, daß ich des Brotes selbst bedarf!
Es sind viele tausend Dschesidi bei mir versammelt; sie
alle wollen essen und trinken. Und wozu brauchst du die
Waffen? Sind wir nicht Freunde?"

"Doch nur bis zum Schlusse des Waffenstillstandes!"

"Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte dich, ihm
den Brief des Gouverneur einmal vorzulesen!"

"Ist ein Brief von ihm angekommen?" fragte der
Oberstlieutenant schnell.

"Ja. Ich sandte einen Boten, welcher jetzt zurück-
gekommen ist. Lies, Emir!"

Ich las das Schreiben, welches ich noch bei mir
hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam
eine Enttäuschung zu bemerken.

"So wird also Friede zwischen uns werden!" meinte er.

"Ja," antwortete der Bey. "Und bis dahin wirst
du dich freundlich zu uns verhalten, wie dir der Mu-
tessarif noch besonders gebietet."

"Besonders?"

"Er hat einen Brief beigelegt, den ich dir geben soll."

"Einen Brief? Mir?" rief der Offizier. "Wo
ist er?"

"Der Emir hat ihn. Laß ihn dir geben!"

Schon stand ich im Begriff, ihm das Schreiben hin-
zureichen; aber die Hast, mit welcher er danach langte,
machte mich denn doch stutzig.

„So ſagteſt du; aber du wirſt dennoch Geld nehmen!“

„Was der Bey der Dſcheſidi ſagt, das weiß er auch
zu halten. Du brauchſt Speiſe, und ich brauche Waffen
und Munition. Wir tauſchen, und ſo iſt uns beiden dann
geholfen.“

„Du vergiſſeſt, daß ich die Waffen und die Munition
ſelbſt brauche!“

„Und du vergiſſeſt, daß ich des Brotes ſelbſt bedarf!
Es ſind viele tauſend Dſcheſidi bei mir verſammelt; ſie
alle wollen eſſen und trinken. Und wozu brauchſt du die
Waffen? Sind wir nicht Freunde?“

„Doch nur bis zum Schluſſe des Waffenſtillſtandes!“

„Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte dich, ihm
den Brief des Gouverneur einmal vorzuleſen!“

„Iſt ein Brief von ihm angekommen?“ fragte der
Oberſtlieutenant ſchnell.

„Ja. Ich ſandte einen Boten, welcher jetzt zurück-
gekommen iſt. Lies, Emir!“

Ich las das Schreiben, welches ich noch bei mir
hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam
eine Enttäuſchung zu bemerken.

„So wird alſo Friede zwiſchen uns werden!“ meinte er.

„Ja,“ antwortete der Bey. „Und bis dahin wirſt
du dich freundlich zu uns verhalten, wie dir der Mu-
teſſarif noch beſonders gebietet.“

„Beſonders?“

„Er hat einen Brief beigelegt, den ich dir geben ſoll.“

„Einen Brief? Mir?“ rief der Offizier. „Wo
iſt er?“

„Der Emir hat ihn. Laß ihn dir geben!“

Schon ſtand ich im Begriff, ihm das Schreiben hin-
zureichen; aber die Haſt, mit welcher er danach langte,
machte mich denn doch ſtutzig.

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[91/0105] „So ſagteſt du; aber du wirſt dennoch Geld nehmen!“ „Was der Bey der Dſcheſidi ſagt, das weiß er auch zu halten. Du brauchſt Speiſe, und ich brauche Waffen und Munition. Wir tauſchen, und ſo iſt uns beiden dann geholfen.“ „Du vergiſſeſt, daß ich die Waffen und die Munition ſelbſt brauche!“ „Und du vergiſſeſt, daß ich des Brotes ſelbſt bedarf! Es ſind viele tauſend Dſcheſidi bei mir verſammelt; ſie alle wollen eſſen und trinken. Und wozu brauchſt du die Waffen? Sind wir nicht Freunde?“ „Doch nur bis zum Schluſſe des Waffenſtillſtandes!“ „Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte dich, ihm den Brief des Gouverneur einmal vorzuleſen!“ „Iſt ein Brief von ihm angekommen?“ fragte der Oberſtlieutenant ſchnell. „Ja. Ich ſandte einen Boten, welcher jetzt zurück- gekommen iſt. Lies, Emir!“ Ich las das Schreiben, welches ich noch bei mir hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam eine Enttäuſchung zu bemerken. „So wird alſo Friede zwiſchen uns werden!“ meinte er. „Ja,“ antwortete der Bey. „Und bis dahin wirſt du dich freundlich zu uns verhalten, wie dir der Mu- teſſarif noch beſonders gebietet.“ „Beſonders?“ „Er hat einen Brief beigelegt, den ich dir geben ſoll.“ „Einen Brief? Mir?“ rief der Offizier. „Wo iſt er?“ „Der Emir hat ihn. Laß ihn dir geben!“ Schon ſtand ich im Begriff, ihm das Schreiben hin- zureichen; aber die Haſt, mit welcher er danach langte, machte mich denn doch ſtutzig.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/105>, abgerufen am 22.11.2024.