geschrumpft und von einer ziemlich starken Kruste umgeben, welche, wie sich bei der näheren Untersuchung ergab, aus den unverbrennlichen Bestandteilen des Erdpeches und der daran angeklebten Asche bestand.
"Es sind die Toten," meinte ich. "Ihr habt es diesem Erdpeche zu verdanken, daß ihr euren ,Heiligen' begraben könnt."
"Aber welcher ist es?"
"Sucht ihn heraus!"
Ich wollte sehen, wie weit der Scharfsinn dieser Männer gehe. Sie gaben sich die größte Mühe, ver- mochten es aber nicht, die scheinbar schwierige und doch so leichte Frage zu entscheiden.
"Es ist unmöglich, den Pir zu erkennen," meinte endlich der Khan in ziemlicher Ratlosigkeit. "Wir müssen entweder darauf verzichten, seiner Asche die gebührende Ehre zu erweisen, oder wir sind gezwungen, beide Körper in die Urne zu legen, Freund und Feind, den Frommen und den Gottlosen. Oder weißt du einen bessern Rat, Emir Kara Ben Nemsi?"
"Ich weiß einen."
"Wie lautet er?"
"Nur allein die Gebeine des Pir in die Urne zu thun."
"Aber du hast ja gehört, daß wir dieselben nicht von denen des Miralai unterscheiden können!"
"Das ist ja nicht schwer! Dieser hier ist der ,Heilige', und dieser hier ist der Türke."
"Woraus erkennst du das? Kannst du es beweisen?"
"So sicher, wie ihr es nur wünschen möget. Der Pir hatte keine Waffen bei sich; der Miralai aber trug seinen Säbel, einen Dolch und zwei Pistolen. Seht ihr die krumm gezogenen Pistolenläufe und die Messerklinge
geſchrumpft und von einer ziemlich ſtarken Kruſte umgeben, welche, wie ſich bei der näheren Unterſuchung ergab, aus den unverbrennlichen Beſtandteilen des Erdpeches und der daran angeklebten Aſche beſtand.
„Es ſind die Toten,“ meinte ich. „Ihr habt es dieſem Erdpeche zu verdanken, daß ihr euren ‚Heiligen‘ begraben könnt.“
„Aber welcher iſt es?“
„Sucht ihn heraus!“
Ich wollte ſehen, wie weit der Scharfſinn dieſer Männer gehe. Sie gaben ſich die größte Mühe, ver- mochten es aber nicht, die ſcheinbar ſchwierige und doch ſo leichte Frage zu entſcheiden.
„Es iſt unmöglich, den Pir zu erkennen,“ meinte endlich der Khan in ziemlicher Ratloſigkeit. „Wir müſſen entweder darauf verzichten, ſeiner Aſche die gebührende Ehre zu erweiſen, oder wir ſind gezwungen, beide Körper in die Urne zu legen, Freund und Feind, den Frommen und den Gottloſen. Oder weißt du einen beſſern Rat, Emir Kara Ben Nemſi?“
„Ich weiß einen.“
„Wie lautet er?“
„Nur allein die Gebeine des Pir in die Urne zu thun.“
„Aber du haſt ja gehört, daß wir dieſelben nicht von denen des Miralai unterſcheiden können!“
„Das iſt ja nicht ſchwer! Dieſer hier iſt der ‚Heilige‘, und dieſer hier iſt der Türke.“
„Woraus erkennſt du das? Kannſt du es beweiſen?“
„So ſicher, wie ihr es nur wünſchen möget. Der Pir hatte keine Waffen bei ſich; der Miralai aber trug ſeinen Säbel, einen Dolch und zwei Piſtolen. Seht ihr die krumm gezogenen Piſtolenläufe und die Meſſerklinge
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geſchrumpft und von einer ziemlich ſtarken Kruſte umgeben,
welche, wie ſich bei der näheren Unterſuchung ergab, aus
den unverbrennlichen Beſtandteilen des Erdpeches und der
daran angeklebten Aſche beſtand.
„Es ſind die Toten,“ meinte ich. „Ihr habt es
dieſem Erdpeche zu verdanken, daß ihr euren ‚Heiligen‘
begraben könnt.“
„Aber welcher iſt es?“
„Sucht ihn heraus!“
Ich wollte ſehen, wie weit der Scharfſinn dieſer
Männer gehe. Sie gaben ſich die größte Mühe, ver-
mochten es aber nicht, die ſcheinbar ſchwierige und doch
ſo leichte Frage zu entſcheiden.
„Es iſt unmöglich, den Pir zu erkennen,“ meinte
endlich der Khan in ziemlicher Ratloſigkeit. „Wir müſſen
entweder darauf verzichten, ſeiner Aſche die gebührende
Ehre zu erweiſen, oder wir ſind gezwungen, beide Körper
in die Urne zu legen, Freund und Feind, den Frommen
und den Gottloſen. Oder weißt du einen beſſern Rat,
Emir Kara Ben Nemſi?“
„Ich weiß einen.“
„Wie lautet er?“
„Nur allein die Gebeine des Pir in die Urne zu
thun.“
„Aber du haſt ja gehört, daß wir dieſelben nicht von
denen des Miralai unterſcheiden können!“
„Das iſt ja nicht ſchwer! Dieſer hier iſt der ‚Heilige‘,
und dieſer hier iſt der Türke.“
„Woraus erkennſt du das? Kannſt du es beweiſen?“
„So ſicher, wie ihr es nur wünſchen möget. Der
Pir hatte keine Waffen bei ſich; der Miralai aber trug
ſeinen Säbel, einen Dolch und zwei Piſtolen. Seht ihr
die krumm gezogenen Piſtolenläufe und die Meſſerklinge
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/100>, abgerufen am 25.11.2024.
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