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Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726.

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bis zur großen Wanderung der Völcker.

XIX. Denn da die Lebens-Mittel dünne wurden, ehe die Gothen noch ausDie Theruin-
ger, u. andere
Gothen em-
pören sich ge-
gen die Römer,
+ Comes per
Thracias.

einander vertheilet werden konten, maßten sich der Stadthalter von Thracien +,
Maximus, und der General Lupicinus eines so schändlichen Handels an, daß
die Gothen so gar ihre Kinder, gegen die allerschlechtesten Nahrungs-Mittel, ver-
tauschen musten; und trieben ihre Tücke so weit, daß es endlich die Theruinger
unrecht verstunden, und in der Gegend von Marcianopel Gewalt zu brauchen
anfingen. Lupicinus gab dazu abermals Gelegenheit. Er hatte die beyden
Fürsten, Alauium und Fritigernum, die ammianvs marcellinvs Kö-
nige nennet, in die Stadt zu Gaste geladen; den Soldaten aber befohlen,
sonst keinen Gothen einzulassen. Darüber kam es an den Thoren zu Schlägen:
und als Lupicino solches heimlich berichtet worden, ließ er die Wache, so die
beyden Gothischen Fürsten mitgebracht hatten, überfallen. Als das Volck, so
vor dem Thore stund, solches erfuhr, ward der Lärm desto grösser, weil das Ge-
schrey dabey erschollen, ihre beyden Fürsten wären hingerichtet. Und wer weiß
wie es ihnen hätte gehen können? Fritigern aber blieb, bey so gefährlichen Um-
ständen, unverändert, welche Gelassenheit offt nicht weniger als sonst Hitze und
Feuer, einen Helden anzeiget. Er ergriff aus dem Stegreiff einen guten Rath,
und stellete dem Römischen General für, es sey kein Mittel das Volck zu frieden
zu stellen, als daß er und Alauiuus sich zeigten, und ihnen also den Jrrthum, der
sie in Harnisch gejagt hätte, benähmen. So bald aber beyde Printzen sich in
völliger Freyheit sahen, traten sie an die Spitze ihrer Leute, und zeigten den Rö-
mern, daß sie sich durch dergleichen heimliche Räncke nicht wolten vollend un-
terdrücken lassen. Sie waren so glücklich, daß sie Lupicinum, der wieder sie
auszog, in die Flucht schlugen 1: da sie den Römern, so auf der Wahlstatt ge-
blieben, die Waffen abnahmen, die ihnen damals eine angenehme Beute müssen

gewesen
[Beginn Spaltensatz] sent, neque precum illarum supplicum, neque sacra-
mentorum recordabantur.
evnapivs
gedencket
noch überdieß p. 19. daß sie von den Gothen mit schö-
nen Decken und Leinwand beschencket worden.
Iusserat autem imperator ab Antiochia, ut primum
imbellem & nulli usui aptam susciperent aetatem,
& per Romanorum ditionis terras dimitterent, &
tanquam obsides tuto loco haberent, neque eo se-
cius milites ad ripas consistere, ut turbas pugnae
aptas minime transgredi sinerent, neque nauigia il-
lis ad traiectionem praeberent, priusquam arma
deposuissent, quo nudos transmitterent. At
eorum, qui ista mandata exceperunt, exarsit hic
in amore unus pueri candidi & uultu grati,
ex his qui traiecti fuerant, alter misertus est uxoris
formosae unius ex captiuis, hic captiuus fuit sub uir-
gine formosa, alios magnitudo munerum cepit, linea
uestimenta, stragula ab utraque parte fimbriata.
Was
hier von der Leinwand gesagt, kan den Leser erinnern,
daß oben Lib. II. §. XXXIX not. 1. aus plinio
angeführet worden, wie, von den ältesten Zeiten, die-
[Spaltenumbruch] se Art von Hand-Arbeit unter den Teutschen Völ-
ckern geübet worden.
1 marcellinvs l. c. c. 5. p. 482.
At uero Theruingi iam dudum transire permissi,
prope ripas etiamtum uagabantur, duplici impedi-
mento adstricti, quod ducum dissimulatione perni-
ciosa nec uictui congruis sunt adiuti, & tenebantur
consulto nefandis nudandi commerciis. Quo intel-
lecto, ad persidiam instantium malorum subsidi-
um uertendi mussabant: & Lupicinus ne iam defice-
rent pertimescens, eos admotis militibus adigebat
ocius proficisci. Id tempus opportunum nacti Greu-
thungi, cum alibi militibus occupatis, nauigia ul-
tro citroque discurrere solita transgressum eorum
prohibentia quiescere prospexissent, ratibus transire
male contextis, castraque a Fritigerno locauere
longissime. At ille genuina praeuidendi sollertia

[Ende Spaltensatz]
uenturos
O o
bis zur großen Wanderung der Voͤlcker.

XIX. Denn da die Lebens-Mittel duͤnne wurden, ehe die Gothen noch ausDie Theruin-
ger, u. andere
Gothen em-
poͤren ſich ge-
gen die Roͤmer,
Comes per
Thracias.

einander vertheilet werden konten, maßten ſich der Stadthalter von Thracien †,
Maximus, und der General Lupicinus eines ſo ſchaͤndlichen Handels an, daß
die Gothen ſo gar ihre Kinder, gegen die allerſchlechteſten Nahrungs-Mittel, ver-
tauſchen muſten; und trieben ihre Tuͤcke ſo weit, daß es endlich die Theruinger
unrecht verſtunden, und in der Gegend von Marcianopel Gewalt zu brauchen
anfingen. Lupicinus gab dazu abermals Gelegenheit. Er hatte die beyden
Fuͤrſten, Alauium und Fritigernum, die ammianvs marcellinvs Koͤ-
nige nennet, in die Stadt zu Gaſte geladen; den Soldaten aber befohlen,
ſonſt keinen Gothen einzulaſſen. Daruͤber kam es an den Thoren zu Schlaͤgen:
und als Lupicino ſolches heimlich berichtet worden, ließ er die Wache, ſo die
beyden Gothiſchen Fuͤrſten mitgebracht hatten, uͤberfallen. Als das Volck, ſo
vor dem Thore ſtund, ſolches erfuhr, ward der Laͤrm deſto groͤſſer, weil das Ge-
ſchrey dabey erſchollen, ihre beyden Fuͤrſten waͤren hingerichtet. Und wer weiß
wie es ihnen haͤtte gehen koͤnnen? Fritigern aber blieb, bey ſo gefaͤhrlichen Um-
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und ſtellete dem Roͤmiſchen General fuͤr, es ſey kein Mittel das Volck zu frieden
zu ſtellen, als daß er und Alauiuus ſich zeigten, und ihnen alſo den Jrrthum, der
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mern, daß ſie ſich durch dergleichen heimliche Raͤncke nicht wolten vollend un-
terdruͤcken laſſen. Sie waren ſo gluͤcklich, daß ſie Lupicinum, der wieder ſie
auszog, in die Flucht ſchlugen 1: da ſie den Roͤmern, ſo auf der Wahlſtatt ge-
blieben, die Waffen abnahmen, die ihnen damals eine angenehme Beute muͤſſen

geweſen
[Beginn Spaltensatz] ſent, neque precum illarum ſupplicum, neque ſacra-
mentorum recordabantur.
evnapivs
gedencket
noch uͤberdieß p. 19. daß ſie von den Gothen mit ſchoͤ-
nen Decken und Leinwand beſchencket worden.
Iuſſerat autem imperator ab Antiochia, ut primum
imbellem & nulli uſui aptam ſuſciperent aetatem,
& per Romanorum ditionis terras dimitterent, &
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cius milites ad ripas conſiſtere, ut turbas pugnae
aptas minime transgredi ſinerent, neque nauigia il-
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eorum, qui iſta mandata exceperunt, exarſit hic
in amore unus pueri candidi & uultu grati,
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gine formoſa, alios magnitudo munerum cepit, linea
ueſtimenta, ſtragula ab utraque parte fimbriata.
Was
hier von der Leinwand geſagt, kan den Leſer erinnern,
daß oben Lib. II. §. XXXIX not. 1. aus plinio
angefuͤhret worden, wie, von den aͤlteſten Zeiten, die-
[Spaltenumbruch] ſe Art von Hand-Arbeit unter den Teutſchen Voͤl-
ckern geuͤbet worden.
1 marcellinvs l. c. c. 5. p. 482.
At uero Theruingi iam dudum tranſire permiſſi,
prope ripas etiamtum uagabantur, duplici impedi-
mento adſtricti, quod ducum diſſimulatione perni-
cioſa nec uictui congruis ſunt adiuti, & tenebantur
conſulto nefandis nudandi commerciis. Quo intel-
lecto, ad perſidiam inſtantium malorum ſubſidi-
um uertendi muſſabant: & Lupicinus ne iam defice-
rent pertimeſcens, eos admotis militibus adigebat
ocius proficiſci. Id tempus opportunum nacti Greu-
thungi, cum alibi militibus occupatis, nauigia ul-
tro citroque diſcurrere ſolita transgreſſum eorum
prohibentia quieſcere proſpexiſſent, ratibus tranſire
male contextis, caſtraque a Fritigerno locauere
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[289/0323] bis zur großen Wanderung der Voͤlcker. XIX. Denn da die Lebens-Mittel duͤnne wurden, ehe die Gothen noch aus einander vertheilet werden konten, maßten ſich der Stadthalter von Thracien †, Maximus, und der General Lupicinus eines ſo ſchaͤndlichen Handels an, daß die Gothen ſo gar ihre Kinder, gegen die allerſchlechteſten Nahrungs-Mittel, ver- tauſchen muſten; und trieben ihre Tuͤcke ſo weit, daß es endlich die Theruinger unrecht verſtunden, und in der Gegend von Marcianopel Gewalt zu brauchen anfingen. Lupicinus gab dazu abermals Gelegenheit. Er hatte die beyden Fuͤrſten, Alauium und Fritigernum, die ammianvs marcellinvs Koͤ- nige nennet, in die Stadt zu Gaſte geladen; den Soldaten aber befohlen, ſonſt keinen Gothen einzulaſſen. Daruͤber kam es an den Thoren zu Schlaͤgen: und als Lupicino ſolches heimlich berichtet worden, ließ er die Wache, ſo die beyden Gothiſchen Fuͤrſten mitgebracht hatten, uͤberfallen. Als das Volck, ſo vor dem Thore ſtund, ſolches erfuhr, ward der Laͤrm deſto groͤſſer, weil das Ge- ſchrey dabey erſchollen, ihre beyden Fuͤrſten waͤren hingerichtet. Und wer weiß wie es ihnen haͤtte gehen koͤnnen? Fritigern aber blieb, bey ſo gefaͤhrlichen Um- ſtaͤnden, unveraͤndert, welche Gelaſſenheit offt nicht weniger als ſonſt Hitze und Feuer, einen Helden anzeiget. Er ergriff aus dem Stegreiff einen guten Rath, und ſtellete dem Roͤmiſchen General fuͤr, es ſey kein Mittel das Volck zu frieden zu ſtellen, als daß er und Alauiuus ſich zeigten, und ihnen alſo den Jrrthum, der ſie in Harniſch gejagt haͤtte, benaͤhmen. So bald aber beyde Printzen ſich in voͤlliger Freyheit ſahen, traten ſie an die Spitze ihrer Leute, und zeigten den Roͤ- mern, daß ſie ſich durch dergleichen heimliche Raͤncke nicht wolten vollend un- terdruͤcken laſſen. Sie waren ſo gluͤcklich, daß ſie Lupicinum, der wieder ſie auszog, in die Flucht ſchlugen 1: da ſie den Roͤmern, ſo auf der Wahlſtatt ge- blieben, die Waffen abnahmen, die ihnen damals eine angenehme Beute muͤſſen geweſen 2 Die Theruin- ger, u. andere Gothen em- poͤren ſich ge- gen die Roͤmer, † Comes per Thracias. 1 marcellinvs l. c. c. 5. p. 482. At uero Theruingi iam dudum tranſire permiſſi, prope ripas etiamtum uagabantur, duplici impedi- mento adſtricti, quod ducum diſſimulatione perni- cioſa nec uictui congruis ſunt adiuti, & tenebantur conſulto nefandis nudandi commerciis. Quo intel- lecto, ad perſidiam inſtantium malorum ſubſidi- um uertendi muſſabant: & Lupicinus ne iam defice- rent pertimeſcens, eos admotis militibus adigebat ocius proficiſci. Id tempus opportunum nacti Greu- thungi, cum alibi militibus occupatis, nauigia ul- tro citroque diſcurrere ſolita transgreſſum eorum prohibentia quieſcere proſpexiſſent, ratibus tranſire male contextis, caſtraque a Fritigerno locauere longiſſime. At ille genuina praeuidendi ſollertia uenturos 2 ſent, neque precum illarum ſupplicum, neque ſacra- mentorum recordabantur. evnapivs gedencket noch uͤberdieß p. 19. daß ſie von den Gothen mit ſchoͤ- nen Decken und Leinwand beſchencket worden. Iuſſerat autem imperator ab Antiochia, ut primum imbellem & nulli uſui aptam ſuſciperent aetatem, & per Romanorum ditionis terras dimitterent, & tanquam obſides tuto loco haberent, neque eo ſe- cius milites ad ripas conſiſtere, ut turbas pugnae aptas minime transgredi ſinerent, neque nauigia il- lis ad traiectionem praeberent, priusquam arma depoſuiſſent, quo nudos transmitterent. At eorum, qui iſta mandata exceperunt, exarſit hic in amore unus pueri candidi & uultu grati, ex his qui traiecti fuerant, alter miſertus eſt uxoris formoſae unius ex captiuis, hic captiuus fuit ſub uir- gine formoſa, alios magnitudo munerum cepit, linea ueſtimenta, ſtragula ab utraque parte fimbriata. Was hier von der Leinwand geſagt, kan den Leſer erinnern, daß oben Lib. II. §. XXXIX not. 1. aus plinio angefuͤhret worden, wie, von den aͤlteſten Zeiten, die- ſe Art von Hand-Arbeit unter den Teutſchen Voͤl- ckern geuͤbet worden. O o

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Zitationshilfe: Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mascov_geschichte01_1726/323>, abgerufen am 22.11.2024.