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Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

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der in normalen Zeiten geltende Termin zwischen Zahlungsbilanz
und Handelsbilanz weggefallen oder doch verkürzt durch die Krise;
alle Zahlungen sollen auf einmal erledigt werden. Dieselbe Sache
wiederholt sich nun hier. England hat jetzt Goldrückfluss, das
andre Land Goldabfluss. Was in dem einen Land als Ueberein-
fuhr, erscheint in dem andren als Ueberausfuhr und umgekehrt.
Es hat aber Uebereinfuhr und Ueberausfuhr in allen Ländern statt-
gefunden (wir sprechen hier nicht von Missernten etc., sondern
von allgemeiner Krise); d. h. Ueberproduktion, befördert durch den
Kredit und die ihn begleitende allgemeine Aufblähung der Preise.

1857 brach die Krisis in den Vereinigten Staaten aus. Es er-
folgte Goldabfluss aus England nach Amerika. Aber sobald die
Aufblähung in Amerika geplatzt, erfolgte Krise in England und
Goldabfluss von Amerika nach England. Ebenso zwischen Eng-
land und dem Kontinent. Die Zahlungsbilanz ist in Zeiten der
allgemeinen Krise gegen jede Nation, wenigstens gegen jede kom-
merciell entwickelte Nation, aber stets bei einer nach der andern,
wie in einem Rottenfeuer, sobald die Reihe der Zahlung an sie
kommt; und die einmal, z. B. in England, ausgebrochne Krise
drängt die Reihe dieser Termine in eine ganz kurze Periode zu-
sammen. Es zeigt sich dann, dass alle diese Nationen gleichzeitig
überexportirt (also überproducirt) und überimportirt (also über-
handelt) haben, dass in allen die Preise aufgetrieben waren, und
der Kredit überspannt. Und bei allen folgt derselbe Zusammen-
bruch. Die Erscheinung des Goldabflusses kommt dann an alle der
Reihe nach, und zeigt eben durch ihre Allgemeinheit 1) dass der
Goldabfluss blosses Phänomen der Krise, nicht ihr Grund ist;
2) dass die Reihenfolge, worin er bei den verschiednen Nationen
eintritt, nur anzeigt, wann die Reihe an sie gekommen, ihre Rech-
nung mit dem Himmel zu schliessen, wann der Termin der Krise
bei ihnen eingetreten und die latenten Elemente derselben bei ihnen
zum Ausbruch kommen.

Es ist charakteristisch für die englischen ökonomischen Schrift-
steller -- und die erwähnenswerthe ökonomische Literatur seit
1830 löst sich hauptsächlich auf in Literatur über currency, Kredit,
Krisen -- dass sie den Export von Edelmetall, trotz der Wendung
der Wechselkurse, in Zeiten der Krise bloss vom Standpunkt von
England aus betrachten, als ein rein nationales Phänomen, und
ihre Augen resolut gegen die Thatsache verschliessen, dass wenn
ihre Bank in Zeiten der Krise den Zinsfuss erhöht, alle andern
europäischen Banken dasselbe thun, und dass, wenn heute bei

der in normalen Zeiten geltende Termin zwischen Zahlungsbilanz
und Handelsbilanz weggefallen oder doch verkürzt durch die Krise;
alle Zahlungen sollen auf einmal erledigt werden. Dieselbe Sache
wiederholt sich nun hier. England hat jetzt Goldrückfluss, das
andre Land Goldabfluss. Was in dem einen Land als Ueberein-
fuhr, erscheint in dem andren als Ueberausfuhr und umgekehrt.
Es hat aber Uebereinfuhr und Ueberausfuhr in allen Ländern statt-
gefunden (wir sprechen hier nicht von Missernten etc., sondern
von allgemeiner Krise); d. h. Ueberproduktion, befördert durch den
Kredit und die ihn begleitende allgemeine Aufblähung der Preise.

1857 brach die Krisis in den Vereinigten Staaten aus. Es er-
folgte Goldabfluss aus England nach Amerika. Aber sobald die
Aufblähung in Amerika geplatzt, erfolgte Krise in England und
Goldabfluss von Amerika nach England. Ebenso zwischen Eng-
land und dem Kontinent. Die Zahlungsbilanz ist in Zeiten der
allgemeinen Krise gegen jede Nation, wenigstens gegen jede kom-
merciell entwickelte Nation, aber stets bei einer nach der andern,
wie in einem Rottenfeuer, sobald die Reihe der Zahlung an sie
kommt; und die einmal, z. B. in England, ausgebrochne Krise
drängt die Reihe dieser Termine in eine ganz kurze Periode zu-
sammen. Es zeigt sich dann, dass alle diese Nationen gleichzeitig
überexportirt (also überproducirt) und überimportirt (also über-
handelt) haben, dass in allen die Preise aufgetrieben waren, und
der Kredit überspannt. Und bei allen folgt derselbe Zusammen-
bruch. Die Erscheinung des Goldabflusses kommt dann an alle der
Reihe nach, und zeigt eben durch ihre Allgemeinheit 1) dass der
Goldabfluss blosses Phänomen der Krise, nicht ihr Grund ist;
2) dass die Reihenfolge, worin er bei den verschiednen Nationen
eintritt, nur anzeigt, wann die Reihe an sie gekommen, ihre Rech-
nung mit dem Himmel zu schliessen, wann der Termin der Krise
bei ihnen eingetreten und die latenten Elemente derselben bei ihnen
zum Ausbruch kommen.

Es ist charakteristisch für die englischen ökonomischen Schrift-
steller — und die erwähnenswerthe ökonomische Literatur seit
1830 löst sich hauptsächlich auf in Literatur über currency, Kredit,
Krisen — dass sie den Export von Edelmetall, trotz der Wendung
der Wechselkurse, in Zeiten der Krise bloss vom Standpunkt von
England aus betrachten, als ein rein nationales Phänomen, und
ihre Augen resolut gegen die Thatsache verschliessen, dass wenn
ihre Bank in Zeiten der Krise den Zinsfuss erhöht, alle andern
europäischen Banken dasselbe thun, und dass, wenn heute bei

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[30/0039] der in normalen Zeiten geltende Termin zwischen Zahlungsbilanz und Handelsbilanz weggefallen oder doch verkürzt durch die Krise; alle Zahlungen sollen auf einmal erledigt werden. Dieselbe Sache wiederholt sich nun hier. England hat jetzt Goldrückfluss, das andre Land Goldabfluss. Was in dem einen Land als Ueberein- fuhr, erscheint in dem andren als Ueberausfuhr und umgekehrt. Es hat aber Uebereinfuhr und Ueberausfuhr in allen Ländern statt- gefunden (wir sprechen hier nicht von Missernten etc., sondern von allgemeiner Krise); d. h. Ueberproduktion, befördert durch den Kredit und die ihn begleitende allgemeine Aufblähung der Preise. 1857 brach die Krisis in den Vereinigten Staaten aus. Es er- folgte Goldabfluss aus England nach Amerika. Aber sobald die Aufblähung in Amerika geplatzt, erfolgte Krise in England und Goldabfluss von Amerika nach England. Ebenso zwischen Eng- land und dem Kontinent. Die Zahlungsbilanz ist in Zeiten der allgemeinen Krise gegen jede Nation, wenigstens gegen jede kom- merciell entwickelte Nation, aber stets bei einer nach der andern, wie in einem Rottenfeuer, sobald die Reihe der Zahlung an sie kommt; und die einmal, z. B. in England, ausgebrochne Krise drängt die Reihe dieser Termine in eine ganz kurze Periode zu- sammen. Es zeigt sich dann, dass alle diese Nationen gleichzeitig überexportirt (also überproducirt) und überimportirt (also über- handelt) haben, dass in allen die Preise aufgetrieben waren, und der Kredit überspannt. Und bei allen folgt derselbe Zusammen- bruch. Die Erscheinung des Goldabflusses kommt dann an alle der Reihe nach, und zeigt eben durch ihre Allgemeinheit 1) dass der Goldabfluss blosses Phänomen der Krise, nicht ihr Grund ist; 2) dass die Reihenfolge, worin er bei den verschiednen Nationen eintritt, nur anzeigt, wann die Reihe an sie gekommen, ihre Rech- nung mit dem Himmel zu schliessen, wann der Termin der Krise bei ihnen eingetreten und die latenten Elemente derselben bei ihnen zum Ausbruch kommen. Es ist charakteristisch für die englischen ökonomischen Schrift- steller — und die erwähnenswerthe ökonomische Literatur seit 1830 löst sich hauptsächlich auf in Literatur über currency, Kredit, Krisen — dass sie den Export von Edelmetall, trotz der Wendung der Wechselkurse, in Zeiten der Krise bloss vom Standpunkt von England aus betrachten, als ein rein nationales Phänomen, und ihre Augen resolut gegen die Thatsache verschliessen, dass wenn ihre Bank in Zeiten der Krise den Zinsfuss erhöht, alle andern europäischen Banken dasselbe thun, und dass, wenn heute bei

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/39>, abgerufen am 25.04.2024.