Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

das Geld hauptsächlich gebraucht, wenn die Produktionsbedingungen
dem Arbeiter (der in diesen Produktionsweisen vorwiegend noch
ihr Eigenthümer) durch Zufälle oder ausserordentliche Erschütt-
rungen verloren gehn, oder wenigstens nicht im gewöhnlichen
Lauf der Reproduktion ersetzt werden. Lebensmittel und Rohstoffe
bilden wesentlichen Theil dieser Produktionsbedingungen. Ihre
Vertheurung kann ihren Ersatz aus dem Erlös des Produkts un-
möglich machen, wie einfache Missernten den Bauer verhindern
können, sein Saatkorn in natura zu ersetzen. Dieselben Kriege,
wodurch die römischen Patricier die Plebejer ruinirten, sie zu
Kriegsdiensten zwangen, die sie an der Reproduktion ihrer Arbeits-
bedingungen hinderten, sie daher verarmen machten (und Verar-
mung, Verkümmerung oder Verlust der Reproduktionsbedingungen, ist
hier die vorherrschende Form) füllten jenen die Speicher und
Keller mit erbeutetem Kupfer, dem damaligen Geld. Statt den
Plebejern direkt die benöthigten Waaren zu geben, Korn, Pferde,
Hornvieh, liehen sie ihnen dies für sie selbst nutzlose Kupfer, und
benutzten diese Lage zur Erpressung enormer Wucherzinsen, wo-
durch sie die Plebejer zu ihren Schuldsklaven machten. Unter
Karl dem Grossen wurden die fränkischen Bauern ebenfalls durch
Kriege ruinirt, sodass ihnen nichts übrig blieb als aus Schuldnern
Leibeigne zu werden. Im römischen Reich geschah es bekanntlich
häufig, dass Hungersnoth den Verkauf der Kinder und Selbstverkauf
von Freien als Sklaven an die Reicheren herbeiführte. So viel
für allgemeine Wendepunkte. Im einzelnen betrachtet hängt Er-
haltung oder Verlust der Produktionsbedingungen für den Klein-
producenten von tausend Zufällen ab, und jeder solcher Zufall oder
Verlust bedeutet Verarmung, und wird ein Punkt, wo der Wucher-
parasit sich ansetzen kann. Dem Kleinbauer braucht bloss eine
Kuh zu krepiren, damit er unfähig wird seine Reproduktion auf
der alten Stufenleiter wieder zu beginnen. Damit verfällt er dem
Wucher und, einmal verfallen, kommt er nie wieder frei.

Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel ist jedoch das eigent-
liche, grosse und eigenthümliche Terrain des Wuchers. Jede an be-
stimmtem Termin fällige Geldleistung, Grundzins, Tribut, Steuer etc.,
bringt die Nothwendigkeit einer Geldzahlung mit sich. Daher
setzt sich der Wucher im Grossen von den alten Römern bis auf
die modernen Zeiten an die Steuerpächter, fermiers generaux, rece-
veurs generaux an. Dann entwickelt sich mit dem Handel und
der Verallgemeinerung der Waarenproduktion die zeitliche Tren-
nung von Kauf und Zahlung. Das Geld ist an bestimmtem

das Geld hauptsächlich gebraucht, wenn die Produktionsbedingungen
dem Arbeiter (der in diesen Produktionsweisen vorwiegend noch
ihr Eigenthümer) durch Zufälle oder ausserordentliche Erschütt-
rungen verloren gehn, oder wenigstens nicht im gewöhnlichen
Lauf der Reproduktion ersetzt werden. Lebensmittel und Rohstoffe
bilden wesentlichen Theil dieser Produktionsbedingungen. Ihre
Vertheurung kann ihren Ersatz aus dem Erlös des Produkts un-
möglich machen, wie einfache Missernten den Bauer verhindern
können, sein Saatkorn in natura zu ersetzen. Dieselben Kriege,
wodurch die römischen Patricier die Plebejer ruinirten, sie zu
Kriegsdiensten zwangen, die sie an der Reproduktion ihrer Arbeits-
bedingungen hinderten, sie daher verarmen machten (und Verar-
mung, Verkümmerung oder Verlust der Reproduktionsbedingungen, ist
hier die vorherrschende Form) füllten jenen die Speicher und
Keller mit erbeutetem Kupfer, dem damaligen Geld. Statt den
Plebejern direkt die benöthigten Waaren zu geben, Korn, Pferde,
Hornvieh, liehen sie ihnen dies für sie selbst nutzlose Kupfer, und
benutzten diese Lage zur Erpressung enormer Wucherzinsen, wo-
durch sie die Plebejer zu ihren Schuldsklaven machten. Unter
Karl dem Grossen wurden die fränkischen Bauern ebenfalls durch
Kriege ruinirt, sodass ihnen nichts übrig blieb als aus Schuldnern
Leibeigne zu werden. Im römischen Reich geschah es bekanntlich
häufig, dass Hungersnoth den Verkauf der Kinder und Selbstverkauf
von Freien als Sklaven an die Reicheren herbeiführte. So viel
für allgemeine Wendepunkte. Im einzelnen betrachtet hängt Er-
haltung oder Verlust der Produktionsbedingungen für den Klein-
producenten von tausend Zufällen ab, und jeder solcher Zufall oder
Verlust bedeutet Verarmung, und wird ein Punkt, wo der Wucher-
parasit sich ansetzen kann. Dem Kleinbauer braucht bloss eine
Kuh zu krepiren, damit er unfähig wird seine Reproduktion auf
der alten Stufenleiter wieder zu beginnen. Damit verfällt er dem
Wucher und, einmal verfallen, kommt er nie wieder frei.

Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel ist jedoch das eigent-
liche, grosse und eigenthümliche Terrain des Wuchers. Jede an be-
stimmtem Termin fällige Geldleistung, Grundzins, Tribut, Steuer etc.,
bringt die Nothwendigkeit einer Geldzahlung mit sich. Daher
setzt sich der Wucher im Grossen von den alten Römern bis auf
die modernen Zeiten an die Steuerpächter, fermiers généraux, rece-
veurs généraux an. Dann entwickelt sich mit dem Handel und
der Verallgemeinerung der Waarenproduktion die zeitliche Tren-
nung von Kauf und Zahlung. Das Geld ist an bestimmtem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0147" n="138"/>
das Geld hauptsächlich gebraucht, wenn die Produktionsbedingungen<lb/>
dem Arbeiter (der in diesen Produktionsweisen vorwiegend noch<lb/>
ihr Eigenthümer) durch Zufälle oder ausserordentliche Erschütt-<lb/>
rungen verloren gehn, oder wenigstens nicht im gewöhnlichen<lb/>
Lauf der Reproduktion ersetzt werden. Lebensmittel und Rohstoffe<lb/>
bilden wesentlichen Theil dieser Produktionsbedingungen. Ihre<lb/>
Vertheurung kann ihren Ersatz aus dem Erlös des Produkts un-<lb/>
möglich machen, wie einfache Missernten den Bauer verhindern<lb/>
können, sein Saatkorn in natura zu ersetzen. Dieselben Kriege,<lb/>
wodurch die römischen Patricier die Plebejer ruinirten, sie zu<lb/>
Kriegsdiensten zwangen, die sie an der Reproduktion ihrer Arbeits-<lb/>
bedingungen hinderten, sie daher verarmen machten (und Verar-<lb/>
mung, Verkümmerung oder Verlust der Reproduktionsbedingungen, ist<lb/>
hier die vorherrschende Form) füllten jenen die Speicher und<lb/>
Keller mit erbeutetem Kupfer, dem damaligen Geld. Statt den<lb/>
Plebejern direkt die benöthigten Waaren zu geben, Korn, Pferde,<lb/>
Hornvieh, liehen sie ihnen dies für sie selbst nutzlose Kupfer, und<lb/>
benutzten diese Lage zur Erpressung enormer Wucherzinsen, wo-<lb/>
durch sie die Plebejer zu ihren Schuldsklaven machten. Unter<lb/>
Karl dem Grossen wurden die fränkischen Bauern ebenfalls durch<lb/>
Kriege ruinirt, sodass ihnen nichts übrig blieb als aus Schuldnern<lb/>
Leibeigne zu werden. Im römischen Reich geschah es bekanntlich<lb/>
häufig, dass Hungersnoth den Verkauf der Kinder und Selbstverkauf<lb/>
von Freien als Sklaven an die Reicheren herbeiführte. So viel<lb/>
für allgemeine Wendepunkte. Im einzelnen betrachtet hängt Er-<lb/>
haltung oder Verlust der Produktionsbedingungen für den Klein-<lb/>
producenten von tausend Zufällen ab, und jeder solcher Zufall oder<lb/>
Verlust bedeutet Verarmung, und wird ein Punkt, wo der Wucher-<lb/>
parasit sich ansetzen kann. Dem Kleinbauer braucht bloss eine<lb/>
Kuh zu krepiren, damit er unfähig wird seine Reproduktion auf<lb/>
der alten Stufenleiter wieder zu beginnen. Damit verfällt er dem<lb/>
Wucher und, einmal verfallen, kommt er nie wieder frei.</p><lb/>
            <p>Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel ist jedoch das eigent-<lb/>
liche, grosse und eigenthümliche Terrain des Wuchers. Jede an be-<lb/>
stimmtem Termin fällige Geldleistung, Grundzins, Tribut, Steuer etc.,<lb/>
bringt die Nothwendigkeit einer Geldzahlung mit sich. Daher<lb/>
setzt sich der Wucher im Grossen von den alten Römern bis auf<lb/>
die modernen Zeiten an die Steuerpächter, fermiers généraux, rece-<lb/>
veurs généraux an. Dann entwickelt sich mit dem Handel und<lb/>
der Verallgemeinerung der Waarenproduktion die zeitliche Tren-<lb/>
nung von Kauf und Zahlung. Das Geld ist an bestimmtem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0147] das Geld hauptsächlich gebraucht, wenn die Produktionsbedingungen dem Arbeiter (der in diesen Produktionsweisen vorwiegend noch ihr Eigenthümer) durch Zufälle oder ausserordentliche Erschütt- rungen verloren gehn, oder wenigstens nicht im gewöhnlichen Lauf der Reproduktion ersetzt werden. Lebensmittel und Rohstoffe bilden wesentlichen Theil dieser Produktionsbedingungen. Ihre Vertheurung kann ihren Ersatz aus dem Erlös des Produkts un- möglich machen, wie einfache Missernten den Bauer verhindern können, sein Saatkorn in natura zu ersetzen. Dieselben Kriege, wodurch die römischen Patricier die Plebejer ruinirten, sie zu Kriegsdiensten zwangen, die sie an der Reproduktion ihrer Arbeits- bedingungen hinderten, sie daher verarmen machten (und Verar- mung, Verkümmerung oder Verlust der Reproduktionsbedingungen, ist hier die vorherrschende Form) füllten jenen die Speicher und Keller mit erbeutetem Kupfer, dem damaligen Geld. Statt den Plebejern direkt die benöthigten Waaren zu geben, Korn, Pferde, Hornvieh, liehen sie ihnen dies für sie selbst nutzlose Kupfer, und benutzten diese Lage zur Erpressung enormer Wucherzinsen, wo- durch sie die Plebejer zu ihren Schuldsklaven machten. Unter Karl dem Grossen wurden die fränkischen Bauern ebenfalls durch Kriege ruinirt, sodass ihnen nichts übrig blieb als aus Schuldnern Leibeigne zu werden. Im römischen Reich geschah es bekanntlich häufig, dass Hungersnoth den Verkauf der Kinder und Selbstverkauf von Freien als Sklaven an die Reicheren herbeiführte. So viel für allgemeine Wendepunkte. Im einzelnen betrachtet hängt Er- haltung oder Verlust der Produktionsbedingungen für den Klein- producenten von tausend Zufällen ab, und jeder solcher Zufall oder Verlust bedeutet Verarmung, und wird ein Punkt, wo der Wucher- parasit sich ansetzen kann. Dem Kleinbauer braucht bloss eine Kuh zu krepiren, damit er unfähig wird seine Reproduktion auf der alten Stufenleiter wieder zu beginnen. Damit verfällt er dem Wucher und, einmal verfallen, kommt er nie wieder frei. Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel ist jedoch das eigent- liche, grosse und eigenthümliche Terrain des Wuchers. Jede an be- stimmtem Termin fällige Geldleistung, Grundzins, Tribut, Steuer etc., bringt die Nothwendigkeit einer Geldzahlung mit sich. Daher setzt sich der Wucher im Grossen von den alten Römern bis auf die modernen Zeiten an die Steuerpächter, fermiers généraux, rece- veurs généraux an. Dann entwickelt sich mit dem Handel und der Verallgemeinerung der Waarenproduktion die zeitliche Tren- nung von Kauf und Zahlung. Das Geld ist an bestimmtem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/147
Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/147>, abgerufen am 02.05.2024.