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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen,
eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen
Agrikulturdistrikten ein, z. B. in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7
auf 8 sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. u. s. w. Es war diess
Folge des übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Surpluspopu-
lation, verursacht durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der
Eisenbahnbauten, Fabriken, Bergwerke u. s. w. Je niedriger der Arbeitslohn,
desto höher drückt sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben
in Procentzahlen aus. Ist der Wochenlohn z. B. 20 sh. und steigt
er auf 22, so um 10 %; ist er dagegen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um
28 %, was sehr erklecklich klingt. Jedenfalls heulten die Pächter und
schwatzte sogar der "London Economist" ganz ernsthaft von "a
general and substantial advance"84) mit Bezug auf diese Hungerlöhne.
Was thaten nun die Pächter? Warteten sie, bis die Landarbeiter sich in
Folge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, dass ihr Lohn wieder fal-
len musste, wie die Sache sich im dogmatisch ökonomischen Hirn zuträgt?
Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Umsehn waren die Arbeiter wieder
"überzählig" in einem selbst den Pächtern genügenden Verhältniss. Es
war jetzt "mehr Kapital" in der Agrikultur angelegt als vorher und in
einer produktiveren Form. Damit fiel die Nachfrage nach Arbeit nicht
nur relativ, sondern absolut.

Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die all-
gemeine Bewegung des Arbeitslohns
oder das Verhältniss zwi-
schen Arbeiterklasse und gesellschaftlichem Gesammtkapital regeln, mit den
Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die beson-
dern Produktionssphären vertheilen
. Wenn z. B. in Folge
günstiger Konjunktur die Accumulation in einer bestimmten Produktionssphäre
besonders lebhaft, die Profite hier grösser als die Durchschnittsprofite, Zu-
schusskapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Arbeits-
lohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen grösseren Theil der Arbeiterbevölke-
rung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist, und der
Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau oder unter
dasselbe fällt, falls der Zudrang zu gross war. Hier sieht der politische
Oekonom "wo und wie", mit Zunahme des Lohns eine absolute Zunahme

84) Economist, Jan. 21, 1860.
I. 40

Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen,
eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen
Agrikulturdistrikten ein, z. B. in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7
auf 8 sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. u. s. w. Es war diess
Folge des übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Surpluspopu-
lation, verursacht durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der
Eisenbahnbauten, Fabriken, Bergwerke u. s. w. Je niedriger der Arbeitslohn,
desto höher drückt sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben
in Procentzahlen aus. Ist der Wochenlohn z. B. 20 sh. und steigt
er auf 22, so um 10 %; ist er dagegen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um
28 %, was sehr erklecklich klingt. Jedenfalls heulten die Pächter und
schwatzte sogar der „London Economist“ ganz ernsthaft von „a
general and substantial advance“84) mit Bezug auf diese Hungerlöhne.
Was thaten nun die Pächter? Warteten sie, bis die Landarbeiter sich in
Folge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, dass ihr Lohn wieder fal-
len musste, wie die Sache sich im dogmatisch ökonomischen Hirn zuträgt?
Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Umsehn waren die Arbeiter wieder
„überzählig“ in einem selbst den Pächtern genügenden Verhältniss. Es
war jetzt „mehr Kapital“ in der Agrikultur angelegt als vorher und in
einer produktiveren Form. Damit fiel die Nachfrage nach Arbeit nicht
nur relativ, sondern absolut.

Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die all-
gemeine Bewegung des Arbeitslohns
oder das Verhältniss zwi-
schen Arbeiterklasse und gesellschaftlichem Gesammtkapital regeln, mit den
Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die beson-
dern Produktionssphären vertheilen
. Wenn z. B. in Folge
günstiger Konjunktur die Accumulation in einer bestimmten Produktionssphäre
besonders lebhaft, die Profite hier grösser als die Durchschnittsprofite, Zu-
schusskapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Arbeits-
lohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen grösseren Theil der Arbeiterbevölke-
rung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist, und der
Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau oder unter
dasselbe fällt, falls der Zudrang zu gross war. Hier sieht der politische
Oekonom „wo und wie“, mit Zunahme des Lohns eine absolute Zunahme

84) Economist, Jan. 21, 1860.
I. 40
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[625/0644] Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen, eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen Agrikulturdistrikten ein, z. B. in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7 auf 8 sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. u. s. w. Es war diess Folge des übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Surpluspopu- lation, verursacht durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der Eisenbahnbauten, Fabriken, Bergwerke u. s. w. Je niedriger der Arbeitslohn, desto höher drückt sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben in Procentzahlen aus. Ist der Wochenlohn z. B. 20 sh. und steigt er auf 22, so um 10 %; ist er dagegen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um 28[FORMEL] %, was sehr erklecklich klingt. Jedenfalls heulten die Pächter und schwatzte sogar der „London Economist“ ganz ernsthaft von „a general and substantial advance“ 84) mit Bezug auf diese Hungerlöhne. Was thaten nun die Pächter? Warteten sie, bis die Landarbeiter sich in Folge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, dass ihr Lohn wieder fal- len musste, wie die Sache sich im dogmatisch ökonomischen Hirn zuträgt? Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Umsehn waren die Arbeiter wieder „überzählig“ in einem selbst den Pächtern genügenden Verhältniss. Es war jetzt „mehr Kapital“ in der Agrikultur angelegt als vorher und in einer produktiveren Form. Damit fiel die Nachfrage nach Arbeit nicht nur relativ, sondern absolut. Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die all- gemeine Bewegung des Arbeitslohns oder das Verhältniss zwi- schen Arbeiterklasse und gesellschaftlichem Gesammtkapital regeln, mit den Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die beson- dern Produktionssphären vertheilen. Wenn z. B. in Folge günstiger Konjunktur die Accumulation in einer bestimmten Produktionssphäre besonders lebhaft, die Profite hier grösser als die Durchschnittsprofite, Zu- schusskapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Arbeits- lohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen grösseren Theil der Arbeiterbevölke- rung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist, und der Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau oder unter dasselbe fällt, falls der Zudrang zu gross war. Hier sieht der politische Oekonom „wo und wie“, mit Zunahme des Lohns eine absolute Zunahme 84) Economist, Jan. 21, 1860. I. 40

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/644>, abgerufen am 27.11.2024.