Im Grossen und Ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Ar- beitslohns ausschliesslich regulirt durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevöl- kerung, sondern durch das wechselnde Verhältniss, worin die Arbei- terklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der Surpluspopulation, durch den Grad, wor- in sie bald absorbirt, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinem regelmässigen Periodenwechsel, der ausserdem im Fortgang der Accumulation durch stets rascher auf ein- ander folgende unregelmässige Oscillationen durchkreuzt wird, wäre es in der That ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach sei- nen jedesmaligen Verwerthungsbedürfnissen regelte, so dass der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt, bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewegung der Populationsmenge abhängig machte. Diess jedoch ist das ökonomische Dogma. Nach demselben steigt in Folge der Kapitalaccumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ zur Arbeiterzufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird die Arbeiterbevölkerung nach und nach decimirt, so dass ihr gegenüber das Kapital wieder überschüssig wird, oder auch, wie Andre es erklären, der fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhöhte Exploitation des Arbeiters beschleunigt wieder die Accumulation, während gleichzeitig der niedere Lohn das Wachsthum der Arbeiterklasse in Schach hält. So tritt wieder das Verhältniss ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Ar- beitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. Eine schöne Bewegungsmethode diess für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor in Folge der Lohnerhöhung irgend ein positives Wachsthum der wirklich arbeitsfähigen Bevölkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen, worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und ent- schieden sein muss.
Im Grossen und Ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Ar- beitslohns ausschliesslich regulirt durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevöl- kerung, sondern durch das wechselnde Verhältniss, worin die Arbei- terklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der Surpluspopulation, durch den Grad, wor- in sie bald absorbirt, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinem regelmässigen Periodenwechsel, der ausserdem im Fortgang der Accumulation durch stets rascher auf ein- ander folgende unregelmässige Oscillationen durchkreuzt wird, wäre es in der That ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach sei- nen jedesmaligen Verwerthungsbedürfnissen regelte, so dass der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt, bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewegung der Populationsmenge abhängig machte. Diess jedoch ist das ökonomische Dogma. Nach demselben steigt in Folge der Kapitalaccumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ zur Arbeiterzufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird die Arbeiterbevölkerung nach und nach decimirt, so dass ihr gegenüber das Kapital wieder überschüssig wird, oder auch, wie Andre es erklären, der fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhöhte Exploitation des Arbeiters beschleunigt wieder die Accumulation, während gleichzeitig der niedere Lohn das Wachsthum der Arbeiterklasse in Schach hält. So tritt wieder das Verhältniss ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Ar- beitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. Eine schöne Bewegungsmethode diess für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor in Folge der Lohnerhöhung irgend ein positives Wachsthum der wirklich arbeitsfähigen Bevölkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen, worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und ent- schieden sein muss.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0643"n="624"/><p>Im Grossen und Ganzen sind die <hirendition="#g">allgemeinen</hi> Bewegungen des Ar-<lb/>
beitslohns ausschliesslich regulirt durch die <hirendition="#g">Expansion und Kontraktion<lb/>
der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel<lb/>
des industriellen Cyklus entsprechen</hi>. Sie sind also nicht bestimmt<lb/><hirendition="#g">durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevöl-<lb/>
kerung</hi>, sondern <hirendition="#g">durch das wechselnde Verhältniss</hi>, worin die Arbei-<lb/>
terklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und<lb/>
Abnahme des relativen Umfangs der Surpluspopulation, durch den Grad, wor-<lb/>
in sie bald absorbirt, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie<lb/>
mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinem regelmässigen Periodenwechsel,<lb/>
der ausserdem im Fortgang der Accumulation durch stets rascher auf ein-<lb/>
ander folgende unregelmässige Oscillationen durchkreuzt wird, wäre es in der<lb/>
That ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht<lb/>
durch die <hirendition="#g">Expansion und Kontraktion des Kapitals</hi>, also <hirendition="#g">nach sei-<lb/>
nen jedesmaligen Verwerthungsbedürfnissen</hi> regelte, so dass der<lb/>
Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt,<lb/>
bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung<lb/>
des Kapitals von <hirendition="#g">der absoluten Bewegung der Populationsmenge</hi><lb/>
abhängig machte. Diess jedoch ist das ökonomische Dogma. Nach demselben<lb/>
steigt in Folge der Kapitalaccumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte<lb/>
Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und<lb/>
diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ<lb/>
zur Arbeiterzufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und<lb/>
nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird<lb/>
die Arbeiterbevölkerung nach und nach decimirt, so dass ihr gegenüber<lb/>
das Kapital wieder überschüssig wird, oder auch, wie Andre es erklären,<lb/>
der fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhöhte Exploitation des<lb/>
Arbeiters beschleunigt wieder die Accumulation, während gleichzeitig der<lb/>
niedere Lohn das Wachsthum der Arbeiterklasse in Schach hält. So tritt<lb/>
wieder das Verhältniss ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Ar-<lb/>
beitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. Eine schöne Bewegungsmethode<lb/>
diess für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor in Folge der<lb/>
Lohnerhöhung irgend ein positives Wachsthum der wirklich arbeitsfähigen<lb/>
Bevölkerung eintreten <hirendition="#g">könnte</hi>, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen,<lb/>
worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und ent-<lb/>
schieden sein muss.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[624/0643]
Im Grossen und Ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Ar-
beitslohns ausschliesslich regulirt durch die Expansion und Kontraktion
der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel
des industriellen Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt
durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevöl-
kerung, sondern durch das wechselnde Verhältniss, worin die Arbei-
terklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und
Abnahme des relativen Umfangs der Surpluspopulation, durch den Grad, wor-
in sie bald absorbirt, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie
mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinem regelmässigen Periodenwechsel,
der ausserdem im Fortgang der Accumulation durch stets rascher auf ein-
ander folgende unregelmässige Oscillationen durchkreuzt wird, wäre es in der
That ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht
durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach sei-
nen jedesmaligen Verwerthungsbedürfnissen regelte, so dass der
Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt,
bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung
des Kapitals von der absoluten Bewegung der Populationsmenge
abhängig machte. Diess jedoch ist das ökonomische Dogma. Nach demselben
steigt in Folge der Kapitalaccumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte
Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und
diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ
zur Arbeiterzufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und
nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird
die Arbeiterbevölkerung nach und nach decimirt, so dass ihr gegenüber
das Kapital wieder überschüssig wird, oder auch, wie Andre es erklären,
der fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhöhte Exploitation des
Arbeiters beschleunigt wieder die Accumulation, während gleichzeitig der
niedere Lohn das Wachsthum der Arbeiterklasse in Schach hält. So tritt
wieder das Verhältniss ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Ar-
beitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. Eine schöne Bewegungsmethode
diess für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor in Folge der
Lohnerhöhung irgend ein positives Wachsthum der wirklich arbeitsfähigen
Bevölkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen,
worin der industrielle Feldzug geführt, die Schlacht geschlagen und ent-
schieden sein muss.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/643>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.