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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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auf ihre unregelmässigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen,
und sie zu identificiren mit der unveränderlichen Regel-
mässigkeit des grossen Automaten
. Aber einen den Bedürf-
nissen und der Geschwindigkeit des automatischen Systems entsprechen-
den Disciplinarcodex zu erfinden und mit Erfolg auszuführen, war ein Unter-
nehmen des Herkules würdig, das ist das edle Werk Arkwright's!
Selbst heut zu Tage, wo das System in seiner ganzen Vollendung organi-
sirt ist, ist es fast unmöglich unter den Arbeitern, die das Alter der
Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehilfen für das automatische
System zu finden"189). Der Fabrikcodex, worin das Kapital seine Auto-
kratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgerthum so beliebte
Theilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem, pri-
vatgesetzlich und eigenherrlich formulirt, ist nur die kapitalistische
Karrikatur der gesellschaftlichen Reglung des Arbeits-
prozesses
, welche mit der Cooperation auf grosser Stufenleiter und der
Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, wie namentlich der Maschinerie,
nöthig wird. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Straf-
buch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen
und Lohnabzüge und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge
macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze wo möglich noch einbringlicher
als deren Befolgung190).


189) Ure l. c. p. 22, 23. Wer Arkwright's Lebensgeschichte kennt, wird
das Wort "edel" diesem genialen Barbier nie an den Kopf werfen. Von allen
grossen Erfindern des 18. Jahrhunderts war er unstreitig der grösste Dieb fremder
Erfindungen und der gemeinste Kerl.
190) "Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält,
kommt nirgends deutlicher ans Tageslicht, als im Fabriksystem. Hier hört alle
Freiheit rechtlich und faktisch auf. Der Arbeiter muss Morgens um halb 6 in der
Fabrik sein; kommt er ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er
10 Minuten zu spät, so wird er gar nicht hereingelassen, bis das Frühstück vorüber
ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn. Er muss auf Kommando essen, trinken
und schlafen ... Die despotische Glocke ruft ihn vom Bette, ruft ihn vom Früh-
stück und Mittagstisch. Und wie geht es nun gar erst in der Fabrik? Hier ist
der Fabrikant absoluter Gesetzgeber. Er erlässt Fabrikregulationen, wie er Lust
hat; er ändert und macht Zusätze zu seinem Codex, wie es ihm beliebt; und wenn
er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch die Gerichte zum Arbeiter: Da ihr
unter diesen Kontrakt euch freiwillig begeben habt, jetzt müsst ihr ihn auch be-

auf ihre unregelmässigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen,
und sie zu identificiren mit der unveränderlichen Regel-
mässigkeit des grossen Automaten
. Aber einen den Bedürf-
nissen und der Geschwindigkeit des automatischen Systems entsprechen-
den Disciplinarcodex zu erfinden und mit Erfolg auszuführen, war ein Unter-
nehmen des Herkules würdig, das ist das edle Werk Arkwright’s!
Selbst heut zu Tage, wo das System in seiner ganzen Vollendung organi-
sirt ist, ist es fast unmöglich unter den Arbeitern, die das Alter der
Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehilfen für das automatische
System zu finden“189). Der Fabrikcodex, worin das Kapital seine Auto-
kratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgerthum so beliebte
Theilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem, pri-
vatgesetzlich und eigenherrlich formulirt, ist nur die kapitalistische
Karrikatur der gesellschaftlichen Reglung des Arbeits-
prozesses
, welche mit der Cooperation auf grosser Stufenleiter und der
Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, wie namentlich der Maschinerie,
nöthig wird. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Straf-
buch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen
und Lohnabzüge und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge
macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze wo möglich noch einbringlicher
als deren Befolgung190).


189) Ure l. c. p. 22, 23. Wer Arkwright’s Lebensgeschichte kennt, wird
das Wort „edel“ diesem genialen Barbier nie an den Kopf werfen. Von allen
grossen Erfindern des 18. Jahrhunderts war er unstreitig der grösste Dieb fremder
Erfindungen und der gemeinste Kerl.
190) „Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält,
kommt nirgends deutlicher ans Tageslicht, als im Fabriksystem. Hier hört alle
Freiheit rechtlich und faktisch auf. Der Arbeiter muss Morgens um halb 6 in der
Fabrik sein; kommt er ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er
10 Minuten zu spät, so wird er gar nicht hereingelassen, bis das Frühstück vorüber
ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn. Er muss auf Kommando essen, trinken
und schlafen … Die despotische Glocke ruft ihn vom Bette, ruft ihn vom Früh-
stück und Mittagstisch. Und wie geht es nun gar erst in der Fabrik? Hier ist
der Fabrikant absoluter Gesetzgeber. Er erlässt Fabrikregulationen, wie er Lust
hat; er ändert und macht Zusätze zu seinem Codex, wie es ihm beliebt; und wenn
er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch die Gerichte zum Arbeiter: Da ihr
unter diesen Kontrakt euch freiwillig begeben habt, jetzt müsst ihr ihn auch be-
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[416/0435] auf ihre unregelmässigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen, und sie zu identificiren mit der unveränderlichen Regel- mässigkeit des grossen Automaten. Aber einen den Bedürf- nissen und der Geschwindigkeit des automatischen Systems entsprechen- den Disciplinarcodex zu erfinden und mit Erfolg auszuführen, war ein Unter- nehmen des Herkules würdig, das ist das edle Werk Arkwright’s! Selbst heut zu Tage, wo das System in seiner ganzen Vollendung organi- sirt ist, ist es fast unmöglich unter den Arbeitern, die das Alter der Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehilfen für das automatische System zu finden“ 189). Der Fabrikcodex, worin das Kapital seine Auto- kratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgerthum so beliebte Theilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativsystem, pri- vatgesetzlich und eigenherrlich formulirt, ist nur die kapitalistische Karrikatur der gesellschaftlichen Reglung des Arbeits- prozesses, welche mit der Cooperation auf grosser Stufenleiter und der Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, wie namentlich der Maschinerie, nöthig wird. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Straf- buch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen und Lohnabzüge und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze wo möglich noch einbringlicher als deren Befolgung 190). 189) Ure l. c. p. 22, 23. Wer Arkwright’s Lebensgeschichte kennt, wird das Wort „edel“ diesem genialen Barbier nie an den Kopf werfen. Von allen grossen Erfindern des 18. Jahrhunderts war er unstreitig der grösste Dieb fremder Erfindungen und der gemeinste Kerl. 190) „Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält, kommt nirgends deutlicher ans Tageslicht, als im Fabriksystem. Hier hört alle Freiheit rechtlich und faktisch auf. Der Arbeiter muss Morgens um halb 6 in der Fabrik sein; kommt er ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er 10 Minuten zu spät, so wird er gar nicht hereingelassen, bis das Frühstück vorüber ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn. Er muss auf Kommando essen, trinken und schlafen … Die despotische Glocke ruft ihn vom Bette, ruft ihn vom Früh- stück und Mittagstisch. Und wie geht es nun gar erst in der Fabrik? Hier ist der Fabrikant absoluter Gesetzgeber. Er erlässt Fabrikregulationen, wie er Lust hat; er ändert und macht Zusätze zu seinem Codex, wie es ihm beliebt; und wenn er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch die Gerichte zum Arbeiter: Da ihr unter diesen Kontrakt euch freiwillig begeben habt, jetzt müsst ihr ihn auch be-

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/435>, abgerufen am 22.07.2024.