gieren in die andere Welt expedirt. Die Nachlässigkeit der Eisen- bahnarbeiter ist die Ursache des Unglücks. Sie erklären vor den Ge- schworenen einstimmig, vor 10 bis 12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8 Stunden täglich gedauert. Während der letzten 5--6 Jahre habe man sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt und bei besonders lebhaftem Zu- drang der Reiselustigen, wie in den Perioden der Excursion-trains, währe sie oft ununterbrochen 40--50 Stunden. Sie seien gewöhnliche Men- schen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen Punkt versage ihre Ar- beitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu denken und ihr Auge zu sehn. Der ganz und gar "respectable British Juryman" antwortet durch ein Verdikt, das sie wegen "manslaughter" (Todtschlag) vor die nächsten Assisen schickt, und in einem milden Anhang den frommen Wunsch äussert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten doch in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von "Ar- beitskräften" und "enthaltsamer" oder "entsagender" oder "sparsamer" in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein87)!
Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen, Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der Erschlagenen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher unter ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen wir noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, dass vor dem Kapital alle Menschen gleich sind, -- eine Putzmacherin und einen Grobschmidt.
In den letzten Wochen von Juni 1863 brachten alle Londoner Tagesblätter einen Paragraph mit dem "sensational" Aushängeschild: "Death from simple Overwork" (Tod von einfacher Ueber- arbeit). Es handelte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne Walkley, zwanzigjährig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputz- manufaktur, exploitirt von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen
87) "Reynold's Paper" vom 20. Jan. 1866. Woche für Woche bringt dasselbe Wochenblatt gleich darauf, unter den "sensational leadings: "Fearful and fatal accidents" "Appalling tragedies" u. s. w., eine ganze Liste neuer Eisen- bahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbeiter von der North Staffordlinie: "Jedermann kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von Lokomotivenführer und Heizer einen Augenblick erlahmt. Und wie ist es anders möglich bei mass-
gieren in die andere Welt expedirt. Die Nachlässigkeit der Eisen- bahnarbeiter ist die Ursache des Unglücks. Sie erklären vor den Ge- schworenen einstimmig, vor 10 bis 12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8 Stunden täglich gedauert. Während der letzten 5—6 Jahre habe man sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt und bei besonders lebhaftem Zu- drang der Reiselustigen, wie in den Perioden der Excursion-trains, währe sie oft ununterbrochen 40—50 Stunden. Sie seien gewöhnliche Men- schen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen Punkt versage ihre Ar- beitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu denken und ihr Auge zu sehn. Der ganz und gar „respectable British Juryman“ antwortet durch ein Verdikt, das sie wegen „manslaughter“ (Todtschlag) vor die nächsten Assisen schickt, und in einem milden Anhang den frommen Wunsch äussert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten doch in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von „Ar- beitskräften“ und „enthaltsamer“ oder „entsagender“ oder „sparsamer“ in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein87)!
Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen, Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der Erschlagenen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher unter ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen wir noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, dass vor dem Kapital alle Menschen gleich sind, — eine Putzmacherin und einen Grobschmidt.
In den letzten Wochen von Juni 1863 brachten alle Londoner Tagesblätter einen Paragraph mit dem „sensational“ Aushängeschild: „Death from simple Overwork“ (Tod von einfacher Ueber- arbeit). Es handelte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne Walkley, zwanzigjährig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputz- manufaktur, exploitirt von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen
87) „Reynold’s Paper“ vom 20. Jan. 1866. Woche für Woche bringt dasselbe Wochenblatt gleich darauf, unter den „sensational leadings: „Fearful and fatal accidents“ „Appalling tragedies“ u. s. w., eine ganze Liste neuer Eisen- bahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbeiter von der North Staffordlinie: „Jedermann kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von Lokomotivenführer und Heizer einen Augenblick erlahmt. Und wie ist es anders möglich bei mass-
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gieren in die andere Welt expedirt. Die Nachlässigkeit der Eisen-
bahnarbeiter ist die Ursache des Unglücks. Sie erklären vor den Ge-
schworenen einstimmig, vor 10 bis 12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8
Stunden täglich gedauert. Während der letzten 5—6 Jahre habe man sie
auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt und bei besonders lebhaftem Zu-
drang der Reiselustigen, wie in den Perioden der Excursion-trains, währe
sie oft ununterbrochen 40—50 Stunden. Sie seien gewöhnliche Men-
schen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen Punkt versage ihre Ar-
beitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu denken und ihr
Auge zu sehn. Der ganz und gar „respectable British Juryman“ antwortet
durch ein Verdikt, das sie wegen „manslaughter“ (Todtschlag) vor die
nächsten Assisen schickt, und in einem milden Anhang den frommen
Wunsch äussert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten doch
in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von „Ar-
beitskräften“ und „enthaltsamer“ oder „entsagender“ oder
„sparsamer“ in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein 87)!
Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen,
Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der
Erschlagenen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher
unter ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen
wir noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, dass
vor dem Kapital alle Menschen gleich sind, — eine Putzmacherin
und einen Grobschmidt.
In den letzten Wochen von Juni 1863 brachten alle Londoner
Tagesblätter einen Paragraph mit dem „sensational“ Aushängeschild:
„Death from simple Overwork“ (Tod von einfacher Ueber-
arbeit). Es handelte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne
Walkley, zwanzigjährig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputz-
manufaktur, exploitirt von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen
87) „Reynold’s Paper“ vom 20. Jan. 1866. Woche für Woche bringt
dasselbe Wochenblatt gleich darauf, unter den „sensational leadings: „Fearful
and fatal accidents“ „Appalling tragedies“ u. s. w., eine ganze Liste neuer Eisen-
bahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbeiter von der North Staffordlinie:
„Jedermann kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von Lokomotivenführer
und Heizer einen Augenblick erlahmt. Und wie ist es anders möglich bei mass-
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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/242>, abgerufen am 23.11.2024.
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