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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft.
Ihm gehört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. Er hat
also das Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbei-
ten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag36)? Jedenfalls weni-
ger als ein natürlicher Lebenstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat
seine eigne Ansicht über diess ultima Thule, die nothwendige
Schranke des Arbeitstags
. Als Kapitalist ist er nur personifizirtes
Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen
einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehrwerth zu schaf-
fen, mit seinem constanten Theil, den Produktionsmitteln, die grösst-
mögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen37). Das Kapital ist verstorbene
Arbeit, die sich nur vampyrmässig belebt durch Einsaugung lebendiger
Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, wäh-
rend deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapita-
list die von ihm gekaufte Arbeitskraft consumirt38). Consumirt der
Arbeiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapita-
listen39).

Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waaren-
austauschs
. Er, wie jeder andre Käufer, sucht den grösstmöglichen
Nutzen aus dem Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötz-

36) Diese Frage ist unendlich wichtiger als die berühmte Frage Sir Robert
Peel's an die Birminghamer Handelskammer: "What is a pound?", eine
Frage, die nur gestellt werden konnte, weil Peel über die Natur des Geldes eben
so unklar war als die "little shilling men" von Birmingham.
37) "Es ist die Aufgabe des Kapitalisten mit dem verausgabten Kapi-
tal die grösstmögliche Summe Arbeit herauszuschlagen." ("D'obtenir du
capital depense la plus forte somme de travail possible.") J. G.
Courcelle-Seneuil: "Traite theorique et pratique des entre-
prises industrielles. 2eme edit. Paris
1857", p. 63.
38) "An Hour's Labour lost in a day is a prodigious injury to a commercial
state." "There is a very great consumption of luxuries among the
labouring poor of this kingdom; particularly among the manufacturing populace:
by which they also consume their time, the most fatal of consump-
tions
." An Essay on Trade and Commerce etc. p. 47 u. 153.
39) "Si le manouvrier libre prend un instant de repos, l'economie sordide qui
le suit des yeux avec inquietude, pretend qu'il la vole." N. Linguet: "Theo-
rie des Lois Civiles
etc. London 1767", t. II, p. 466.)

Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft.
Ihm gehört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. Er hat
also das Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbei-
ten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag36)? Jedenfalls weni-
ger als ein natürlicher Lebenstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat
seine eigne Ansicht über diess ultima Thule, die nothwendige
Schranke des Arbeitstags
. Als Kapitalist ist er nur personifizirtes
Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen
einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehrwerth zu schaf-
fen, mit seinem constanten Theil, den Produktionsmitteln, die grösst-
mögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen37). Das Kapital ist verstorbene
Arbeit, die sich nur vampyrmässig belebt durch Einsaugung lebendiger
Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, wäh-
rend deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapita-
list die von ihm gekaufte Arbeitskraft consumirt38). Consumirt der
Arbeiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapita-
listen39).

Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waaren-
austauschs
. Er, wie jeder andre Käufer, sucht den grösstmöglichen
Nutzen aus dem Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötz-

36) Diese Frage ist unendlich wichtiger als die berühmte Frage Sir Robert
Peel’s an die Birminghamer Handelskammer: „What is a pound?“, eine
Frage, die nur gestellt werden konnte, weil Peel über die Natur des Geldes eben
so unklar war als die „little shilling men“ von Birmingham.
37) „Es ist die Aufgabe des Kapitalisten mit dem verausgabten Kapi-
tal die grösstmögliche Summe Arbeit herauszuschlagen.“ („D’obtenir du
capital dépensé la plus forte somme de travail possible.“) J. G.
Courcelle-Seneuil: „Traité théorique et pratique des entre-
prises industrielles. 2ème édit. Paris
1857“, p. 63.
38) „An Hour’s Labour lost in a day is a prodigious injury to a commercial
state.“ „There is a very great consumption of luxuries among the
labouring poor of this kingdom; particularly among the manufacturing populace:
by which they also consume their time, the most fatal of consump-
tions
.“ An Essay on Trade and Commerce etc. p. 47 u. 153.
39) „Si le manouvrier libre prend un instant de repos, l’économie sordide qui
le suit des yeux avec inquiétude, prétend qu’il la vole.“ N. Linguet: „Théo-
rie des Lois Civiles
etc. London 1767“, t. II, p. 466.)
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[200/0219] Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft. Ihm gehört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. Er hat also das Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbei- ten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag 36)? Jedenfalls weni- ger als ein natürlicher Lebenstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat seine eigne Ansicht über diess ultima Thule, die nothwendige Schranke des Arbeitstags. Als Kapitalist ist er nur personifizirtes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehrwerth zu schaf- fen, mit seinem constanten Theil, den Produktionsmitteln, die grösst- mögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen 37). Das Kapital ist verstorbene Arbeit, die sich nur vampyrmässig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, wäh- rend deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapita- list die von ihm gekaufte Arbeitskraft consumirt 38). Consumirt der Arbeiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapita- listen 39). Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waaren- austauschs. Er, wie jeder andre Käufer, sucht den grösstmöglichen Nutzen aus dem Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötz- 36) Diese Frage ist unendlich wichtiger als die berühmte Frage Sir Robert Peel’s an die Birminghamer Handelskammer: „What is a pound?“, eine Frage, die nur gestellt werden konnte, weil Peel über die Natur des Geldes eben so unklar war als die „little shilling men“ von Birmingham. 37) „Es ist die Aufgabe des Kapitalisten mit dem verausgabten Kapi- tal die grösstmögliche Summe Arbeit herauszuschlagen.“ („D’obtenir du capital dépensé la plus forte somme de travail possible.“) J. G. Courcelle-Seneuil: „Traité théorique et pratique des entre- prises industrielles. 2ème édit. Paris 1857“, p. 63. 38) „An Hour’s Labour lost in a day is a prodigious injury to a commercial state.“ „There is a very great consumption of luxuries among the labouring poor of this kingdom; particularly among the manufacturing populace: by which they also consume their time, the most fatal of consump- tions.“ An Essay on Trade and Commerce etc. p. 47 u. 153. 39) „Si le manouvrier libre prend un instant de repos, l’économie sordide qui le suit des yeux avec inquiétude, prétend qu’il la vole.“ N. Linguet: „Théo- rie des Lois Civiles etc. London 1767“, t. II, p. 466.)

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/219>, abgerufen am 29.11.2024.