wärts während der Schlusszeit von 1862"239). "Selbst dann wurde die Hausmiethe von den Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze Zeit arbeiteten"240). Kein Wunder, dass in einigen Theilen Lancashire's eine Art Hungerpest ausbrach! Charakteristischer als alles diess aber war es, wie die Revolutionirung des Produktionsprozesses auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren förmliche experimenta in corpore vili, wie die der Anatomen an Fröschen. "Obgleich ich," sagt Fabrikinspektor Redgrave, "die wirklichen Einnahmen der Arbeiter in vielen Fabriken gegeben habe, muss man nicht schliessen, dass sie den- selben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den grössten Fluktuationen wegen des beständigen Experimenta- lisirens ("experimentalizing") der Fabrikanten ... ihre Löhne steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern sie sich um 15 % ihren früheren Einnahmen, und die nächste oder zweit- folgende Woche fallen sie um 50 bis 60 %"241). Diese Experimente wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu büssen. "Die im Oeffnen der Baum- wollballen Beschäftigten unterrichten mich, dass der unerträgliche Gestank sie übel macht ... Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen An- gewandten irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen, erregt Husten und Schwierigkeit des Athmens ... Wegen der Kürze der Fiber wird dem Garn beim Schlichten eine grosse Menge Stoff zugesetzt und zwar allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher Uebelkeit und Dispepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irri- tation der Haut durch den im Surat enthaltenen Schmutz." Andrerseits waren die Substitute für Mehl ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten "15 Pfund Rohmate- rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen"242). In dem Bericht der Fabrik- inspektoren vom 30. April 1864 liest man: "Die Industrie ver- werthet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft unanständigem Mass. Ich weiss
239) "Reports etc. 31st Oct. 1862", p. 41, 42.
240) l. c. p. 57.
241) l. c. p. 50, 51.
242) l. c. p. 62, 63.
wärts während der Schlusszeit von 1862“239). „Selbst dann wurde die Hausmiethe von den Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze Zeit arbeiteten“240). Kein Wunder, dass in einigen Theilen Lancashire’s eine Art Hungerpest ausbrach! Charakteristischer als alles diess aber war es, wie die Revolutionirung des Produktionsprozesses auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren förmliche experimenta in corpore vili, wie die der Anatomen an Fröschen. „Obgleich ich,“ sagt Fabrikinspektor Redgrave, „die wirklichen Einnahmen der Arbeiter in vielen Fabriken gegeben habe, muss man nicht schliessen, dass sie den- selben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den grössten Fluktuationen wegen des beständigen Experimenta- lisirens („experimentalizing“) der Fabrikanten … ihre Löhne steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern sie sich um 15 % ihren früheren Einnahmen, und die nächste oder zweit- folgende Woche fallen sie um 50 bis 60 %“241). Diese Experimente wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu büssen. „Die im Oeffnen der Baum- wollballen Beschäftigten unterrichten mich, dass der unerträgliche Gestank sie übel macht … Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen An- gewandten irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen, erregt Husten und Schwierigkeit des Athmens … Wegen der Kürze der Fiber wird dem Garn beim Schlichten eine grosse Menge Stoff zugesetzt und zwar allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher Uebelkeit und Dispepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irri- tation der Haut durch den im Surat enthaltenen Schmutz.“ Andrerseits waren die Substitute für Mehl ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten „15 Pfund Rohmate- rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen“242). In dem Bericht der Fabrik- inspektoren vom 30. April 1864 liest man: „Die Industrie ver- werthet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft unanständigem Mass. Ich weiss
239) „Reports etc. 31st Oct. 1862“, p. 41, 42.
240) l. c. p. 57.
241) l. c. p. 50, 51.
242) l. c. p. 62, 63.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0467"n="448"/>
wärts während der Schlusszeit von 1862“<noteplace="foot"n="239)">„<hirendition="#g">Reports</hi> etc. 31<hirendition="#g">st Oct</hi>. 1862“, p. 41, 42.</note>. „Selbst dann wurde die<lb/>
Hausmiethe von den Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze<lb/>
Zeit arbeiteten“<noteplace="foot"n="240)">l. c. p. 57.</note>. Kein Wunder, dass in einigen Theilen Lancashire’s<lb/>
eine Art Hungerpest ausbrach! Charakteristischer als alles diess aber<lb/>
war es, wie die <hirendition="#g">Revolutionirung des Produktionsprozesses</hi><lb/>
auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren förmliche experimenta<lb/>
in corpore vili, wie die der Anatomen an Fröschen. „Obgleich ich,“<lb/>
sagt Fabrikinspektor Redgrave, „die wirklichen Einnahmen der Arbeiter in<lb/>
vielen Fabriken gegeben habe, muss man nicht schliessen, dass sie den-<lb/>
selben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den<lb/>
grössten Fluktuationen <hirendition="#g">wegen des beständigen Experimenta-<lb/>
lisirens</hi> („<hirendition="#g">experimentalizing</hi>“) der Fabrikanten … ihre Löhne<lb/>
steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern<lb/>
sie sich um 15 % ihren früheren Einnahmen, und die nächste oder zweit-<lb/>
folgende Woche fallen sie um 50 bis 60 %“<noteplace="foot"n="241)">l. c. p. 50, 51.</note>. Diese Experimente<lb/>
wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit<lb/>
allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu büssen. „Die im Oeffnen der Baum-<lb/>
wollballen Beschäftigten unterrichten mich, dass der unerträgliche Gestank<lb/>
sie übel macht … Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen An-<lb/>
gewandten irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen,<lb/>
erregt Husten und Schwierigkeit des Athmens … Wegen der Kürze der<lb/>
Fiber wird dem Garn beim Schlichten eine grosse Menge Stoff zugesetzt<lb/>
und zwar allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher<lb/>
Uebelkeit und Dispepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des<lb/>
Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irri-<lb/>
tation der Haut durch den im Surat enthaltenen Schmutz.“ Andrerseits waren<lb/>
die Substitute für Mehl ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten<lb/>
durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten „15 Pfund Rohmate-<lb/>
rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen“<noteplace="foot"n="242)">l. c. p. 62, 63.</note>. In dem Bericht der Fabrik-<lb/>
inspektoren vom <hirendition="#g">30. April 1864</hi> liest man: „Die Industrie ver-<lb/>
werthet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft unanständigem Mass. Ich weiss<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[448/0467]
wärts während der Schlusszeit von 1862“ 239). „Selbst dann wurde die
Hausmiethe von den Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze
Zeit arbeiteten“ 240). Kein Wunder, dass in einigen Theilen Lancashire’s
eine Art Hungerpest ausbrach! Charakteristischer als alles diess aber
war es, wie die Revolutionirung des Produktionsprozesses
auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren förmliche experimenta
in corpore vili, wie die der Anatomen an Fröschen. „Obgleich ich,“
sagt Fabrikinspektor Redgrave, „die wirklichen Einnahmen der Arbeiter in
vielen Fabriken gegeben habe, muss man nicht schliessen, dass sie den-
selben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den
grössten Fluktuationen wegen des beständigen Experimenta-
lisirens („experimentalizing“) der Fabrikanten … ihre Löhne
steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern
sie sich um 15 % ihren früheren Einnahmen, und die nächste oder zweit-
folgende Woche fallen sie um 50 bis 60 %“ 241). Diese Experimente
wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit
allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu büssen. „Die im Oeffnen der Baum-
wollballen Beschäftigten unterrichten mich, dass der unerträgliche Gestank
sie übel macht … Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen An-
gewandten irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen,
erregt Husten und Schwierigkeit des Athmens … Wegen der Kürze der
Fiber wird dem Garn beim Schlichten eine grosse Menge Stoff zugesetzt
und zwar allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher
Uebelkeit und Dispepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des
Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irri-
tation der Haut durch den im Surat enthaltenen Schmutz.“ Andrerseits waren
die Substitute für Mehl ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten
durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten „15 Pfund Rohmate-
rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen“ 242). In dem Bericht der Fabrik-
inspektoren vom 30. April 1864 liest man: „Die Industrie ver-
werthet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft unanständigem Mass. Ich weiss
239) „Reports etc. 31st Oct. 1862“, p. 41, 42.
240) l. c. p. 57.
241) l. c. p. 50, 51.
242) l. c. p. 62, 63.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/467>, abgerufen am 28.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.