Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.parlamentarischen Schranken zu bewegen. Und es gehörte jene eigenthümliche Die mit der Montagne koalisirte Ordnungspartei rächte sich, indem sie parlamentariſchen Schranken zu bewegen. Und es gehörte jene eigenthümliche Die mit der Montagne koaliſirte Ordnungspartei rächte ſich, indem ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0074" n="62"/> parlamentariſchen Schranken zu bewegen. Und es gehörte jene eigenthümliche<lb/> Krankheit dazu, die ſeit 1848 auf dem ganzen Kontinent graſſirt hat, der<lb/><hi rendition="#g">parlamentariſche Kretinismus</hi>, der die Angeſteckten in eine einge¬<lb/> bildete Welt feſtbannt und ihnen allen Sinn, alle Erinnerung, alles Ver¬<lb/> ſtändniß für die rauhe Außenwelt raubt, dieſer parlamentariſche Kretinismus<lb/> gehörte dazu, wenn ſie, die alle Bedingungen der parlamentariſchen Macht<lb/> mit eignen Händen zerſtört hatten und in ihrem Kampfe mit den andern<lb/> Klaſſen zerſtören mußten, ihre parlamentariſchen Siege noch für Siege hielten<lb/> und den Präſidenten zu treffen glaubten, indem ſie auf ſeine Miniſter ſchlugen.<lb/> Sie gaben ihm nur Gelegenheit, die Nationalverſammlung von Neuem in<lb/> den Augen der Nation zu demüthigen. Am 20. Januar meldete der Moni¬<lb/> teur, daß die Entlaſſung des Geſammtminiſteriums angenommen ſei. Unter<lb/> dem Vorwande, daß keine parlamentariſche Partei mehr die Majorität beſitze,<lb/> wie das Votum vom 18. Januar, dieſe Frucht der Koalition zwiſchen Mon¬<lb/> tagne und Royaliſten beweiſe, und um die Neubildung einer Majorität abzu¬<lb/> warten, ernannte Bonaparte ein ſogenanntes Uebergangsminiſterium, wovon<lb/> kein Mitglied dem Parlamente angehörte, lauter durchaus unbekannte und<lb/> bedeutungsloſe Individuen, ein Miniſterium von bloßen Kommis und Schrei¬<lb/> bern. Die Ordnungspartei konnte ſich jetzt im Spiele mit dieſen Marionetten<lb/> abarbeiten, die Exekutivgewalt hielt es nicht mehr der Mühe werth, ernſthaft<lb/> in der Nationalverſammlung vertreten zu ſein. Bonaparte konzentrirte um<lb/> ſo ſichtbarer die ganze Exekutivgewalt in ſeiner Perſon, er hatte um ſo freiern<lb/> Spielraum, ſie zu ſeinen Zwecken auszubeuten, je mehr ſeine Miniſter reine<lb/> Statiſten waren.</p><lb/> <p>Die mit der Montagne koaliſirte Ordnungspartei rächte ſich, indem ſie<lb/> die präſidentielle Dotation von 1,800,000 Frcs. verwarf, zu deren Vorlage<lb/> das Haupt der Geſellſchaft vom 10. Dezember ſeine miniſteriellen Kommis<lb/> gezwungen hatte. Diesmal entſchied eine Majorität von nur 102 Stimmen,<lb/> es waren alſo ſeit dem 18. Januar neuerdings 27 Stimmen abgefallen, die<lb/> Auflöſung der Ordnungspartei ging voran. Damit man ſich keinen Augen¬<lb/> blick über den Sinn ihrer Koalition mit der Montagne täuſche, verſchmähte<lb/> ſie gleichzeitig einen von 189 Mitgliedern der Montagne unterzeichneten An¬<lb/> trag auf allgemeine Amneſtie der politiſchen Verbrecher auch nur in Betracht<lb/> zu ziehen. Es genügte, daß der Miniſter des Innern, ein gewiſſer Baiſſ<hi rendition="#aq">é</hi>,<lb/> erklärte, die Ruhe ſei nur ſcheinbar, im Geheimen herrſche große Agitation,<lb/> im Geheimen organiſirten ſich allgegenwärtige Geſellſchaften, die demokratiſchen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0074]
parlamentariſchen Schranken zu bewegen. Und es gehörte jene eigenthümliche
Krankheit dazu, die ſeit 1848 auf dem ganzen Kontinent graſſirt hat, der
parlamentariſche Kretinismus, der die Angeſteckten in eine einge¬
bildete Welt feſtbannt und ihnen allen Sinn, alle Erinnerung, alles Ver¬
ſtändniß für die rauhe Außenwelt raubt, dieſer parlamentariſche Kretinismus
gehörte dazu, wenn ſie, die alle Bedingungen der parlamentariſchen Macht
mit eignen Händen zerſtört hatten und in ihrem Kampfe mit den andern
Klaſſen zerſtören mußten, ihre parlamentariſchen Siege noch für Siege hielten
und den Präſidenten zu treffen glaubten, indem ſie auf ſeine Miniſter ſchlugen.
Sie gaben ihm nur Gelegenheit, die Nationalverſammlung von Neuem in
den Augen der Nation zu demüthigen. Am 20. Januar meldete der Moni¬
teur, daß die Entlaſſung des Geſammtminiſteriums angenommen ſei. Unter
dem Vorwande, daß keine parlamentariſche Partei mehr die Majorität beſitze,
wie das Votum vom 18. Januar, dieſe Frucht der Koalition zwiſchen Mon¬
tagne und Royaliſten beweiſe, und um die Neubildung einer Majorität abzu¬
warten, ernannte Bonaparte ein ſogenanntes Uebergangsminiſterium, wovon
kein Mitglied dem Parlamente angehörte, lauter durchaus unbekannte und
bedeutungsloſe Individuen, ein Miniſterium von bloßen Kommis und Schrei¬
bern. Die Ordnungspartei konnte ſich jetzt im Spiele mit dieſen Marionetten
abarbeiten, die Exekutivgewalt hielt es nicht mehr der Mühe werth, ernſthaft
in der Nationalverſammlung vertreten zu ſein. Bonaparte konzentrirte um
ſo ſichtbarer die ganze Exekutivgewalt in ſeiner Perſon, er hatte um ſo freiern
Spielraum, ſie zu ſeinen Zwecken auszubeuten, je mehr ſeine Miniſter reine
Statiſten waren.
Die mit der Montagne koaliſirte Ordnungspartei rächte ſich, indem ſie
die präſidentielle Dotation von 1,800,000 Frcs. verwarf, zu deren Vorlage
das Haupt der Geſellſchaft vom 10. Dezember ſeine miniſteriellen Kommis
gezwungen hatte. Diesmal entſchied eine Majorität von nur 102 Stimmen,
es waren alſo ſeit dem 18. Januar neuerdings 27 Stimmen abgefallen, die
Auflöſung der Ordnungspartei ging voran. Damit man ſich keinen Augen¬
blick über den Sinn ihrer Koalition mit der Montagne täuſche, verſchmähte
ſie gleichzeitig einen von 189 Mitgliedern der Montagne unterzeichneten An¬
trag auf allgemeine Amneſtie der politiſchen Verbrecher auch nur in Betracht
zu ziehen. Es genügte, daß der Miniſter des Innern, ein gewiſſer Baiſſé,
erklärte, die Ruhe ſei nur ſcheinbar, im Geheimen herrſche große Agitation,
im Geheimen organiſirten ſich allgegenwärtige Geſellſchaften, die demokratiſchen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDiese zweite, von Marx überarbeitete Fassung des … [mehr] Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |