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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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Ministerium, nicht nur die Armee, sondern in Konflikten mit Bonaparte auch
ihre selbstständige parlamentarische Majorität verloren hatte, daß ein Trupp
von Repräsentanten aus ihrem Lager desertirt war, aus Vermittlungsfana¬
tismus, aus Furcht vor dem Kampfe, aus Abspannung, aus Familienrücksicht
für blutverwandte Staatsgehalte, aus Spekulation auf frei werdende Minister¬
posten (Odilon Barrot), aus dem platten Egoismus, womit der gewöhnliche
Bourgeois stets geneigt ist, das Gesammtinteresse seiner Klasse diesem oder
jenem Privatmotive zu opfern. Die bonapartistischen Repräsentanten gehörten
von vornherein der Ordnungspartei nur im Kampfe gegen die Revolution.
Der Chef der katholischen Partei, Montalembert, warf seinen Einfluß schon
damals in die Wagschale Bonaparte's, da er an der Lebensfähigkeit der par¬
lamentarischen Partei verzweifelte. Die Führer dieser Partei endlich, Thiers
und Berryer, der Orleanist und Legitimist, waren gezwungen, sich offen als
Republikaner zu proklamiren, zu bekennen, daß ihr Herz königlich, aber ihr
Kopf republikanisch gesinnt, daß die parlamentarische Republik die einzig mög¬
liche Form für die Herrschaft der Gesammtbourgeoisie sei. Sie waren so
gezwungen, die Restaurationspläne, die sie unverdrossen hinter dem Rücken
des Parlaments weiter verfolgten, vor den Augen der Bourgeoisklasse selbst
als eine eben so gefahrvolle wie kopflose Intrigue zu brandmarken.

Das Mißtrauensvotum vom 18. Januar traf die Minister und nicht
den Präsidenten. Aber nicht das Ministerium, der Präsident hatte Changarnier
abgesetzt. Sollte die Ordnungspartei Bonaparte selbst in Anklagezustand
versetzen? Wegen seiner Restaurationsgelüste? Sie ergänzten nur ihre eignen.
Wegen seiner Konspiration in den Militärrevuen und der Gesellschaft vom
10. Dezember? Sie hatten diese Themata längst unter einfachen Tages¬
ordnungen begraben. Wegen der Absetzung des Helden vom 29. Januar
und vom 13. Juni, des Mannes, der Mai 1850 im Falle einer Emeute
Paris an allen vier Ecken in Brand zu stecken drohte? Ihre Alliirten von
der Montagne und Cavaignac erlaubten ihnen nicht einmal, das gefallene
Bollwerk der Gesellschaft durch eine offizielle Beileidsbezeugung aufzurichten.
Sie selbst konnten dem Präsidenten die konstitutionelle Befugniß einen Ge¬
neral abzusetzen nicht bestreiten. Sie tobten nur, weil er von seinem konsti¬
tutionellen Rechte einen unparlamentarischen Gebrauch machte. Hatten sie
von ihrer parlamentarischen Prärogative nicht fortwährend einen unkonstitu¬
tionellen Gebrauch gemacht und namentlich bei der Abschaffung des allgemeinen
Wahlrechts? Sie waren also darauf angewiesen, sich genau innerhalb der

Miniſterium, nicht nur die Armee, ſondern in Konflikten mit Bonaparte auch
ihre ſelbſtſtändige parlamentariſche Majorität verloren hatte, daß ein Trupp
von Repräſentanten aus ihrem Lager deſertirt war, aus Vermittlungsfana¬
tismus, aus Furcht vor dem Kampfe, aus Abſpannung, aus Familienrückſicht
für blutverwandte Staatsgehalte, aus Spekulation auf frei werdende Miniſter¬
poſten (Odilon Barrot), aus dem platten Egoismus, womit der gewöhnliche
Bourgeois ſtets geneigt iſt, das Geſammtintereſſe ſeiner Klaſſe dieſem oder
jenem Privatmotive zu opfern. Die bonapartiſtiſchen Repräſentanten gehörten
von vornherein der Ordnungspartei nur im Kampfe gegen die Revolution.
Der Chef der katholiſchen Partei, Montalembert, warf ſeinen Einfluß ſchon
damals in die Wagſchale Bonaparte's, da er an der Lebensfähigkeit der par¬
lamentariſchen Partei verzweifelte. Die Führer dieſer Partei endlich, Thiers
und Berryer, der Orleaniſt und Legitimiſt, waren gezwungen, ſich offen als
Republikaner zu proklamiren, zu bekennen, daß ihr Herz königlich, aber ihr
Kopf republikaniſch geſinnt, daß die parlamentariſche Republik die einzig mög¬
liche Form für die Herrſchaft der Geſammtbourgeoiſie ſei. Sie waren ſo
gezwungen, die Reſtaurationspläne, die ſie unverdroſſen hinter dem Rücken
des Parlaments weiter verfolgten, vor den Augen der Bourgeoisklaſſe ſelbſt
als eine eben ſo gefahrvolle wie kopfloſe Intrigue zu brandmarken.

Das Mißtrauensvotum vom 18. Januar traf die Miniſter und nicht
den Präſidenten. Aber nicht das Miniſterium, der Präſident hatte Changarnier
abgeſetzt. Sollte die Ordnungspartei Bonaparte ſelbſt in Anklagezuſtand
verſetzen? Wegen ſeiner Reſtaurationsgelüſte? Sie ergänzten nur ihre eignen.
Wegen ſeiner Konſpiration in den Militärrevuen und der Geſellſchaft vom
10. Dezember? Sie hatten dieſe Themata längſt unter einfachen Tages¬
ordnungen begraben. Wegen der Abſetzung des Helden vom 29. Januar
und vom 13. Juni, des Mannes, der Mai 1850 im Falle einer Emeute
Paris an allen vier Ecken in Brand zu ſtecken drohte? Ihre Alliirten von
der Montagne und Cavaignac erlaubten ihnen nicht einmal, das gefallene
Bollwerk der Geſellſchaft durch eine offizielle Beileidsbezeugung aufzurichten.
Sie ſelbſt konnten dem Präſidenten die konſtitutionelle Befugniß einen Ge¬
neral abzuſetzen nicht beſtreiten. Sie tobten nur, weil er von ſeinem konſti¬
tutionellen Rechte einen unparlamentariſchen Gebrauch machte. Hatten ſie
von ihrer parlamentariſchen Prärogative nicht fortwährend einen unkonſtitu¬
tionellen Gebrauch gemacht und namentlich bei der Abſchaffung des allgemeinen
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[61/0073] Miniſterium, nicht nur die Armee, ſondern in Konflikten mit Bonaparte auch ihre ſelbſtſtändige parlamentariſche Majorität verloren hatte, daß ein Trupp von Repräſentanten aus ihrem Lager deſertirt war, aus Vermittlungsfana¬ tismus, aus Furcht vor dem Kampfe, aus Abſpannung, aus Familienrückſicht für blutverwandte Staatsgehalte, aus Spekulation auf frei werdende Miniſter¬ poſten (Odilon Barrot), aus dem platten Egoismus, womit der gewöhnliche Bourgeois ſtets geneigt iſt, das Geſammtintereſſe ſeiner Klaſſe dieſem oder jenem Privatmotive zu opfern. Die bonapartiſtiſchen Repräſentanten gehörten von vornherein der Ordnungspartei nur im Kampfe gegen die Revolution. Der Chef der katholiſchen Partei, Montalembert, warf ſeinen Einfluß ſchon damals in die Wagſchale Bonaparte's, da er an der Lebensfähigkeit der par¬ lamentariſchen Partei verzweifelte. Die Führer dieſer Partei endlich, Thiers und Berryer, der Orleaniſt und Legitimiſt, waren gezwungen, ſich offen als Republikaner zu proklamiren, zu bekennen, daß ihr Herz königlich, aber ihr Kopf republikaniſch geſinnt, daß die parlamentariſche Republik die einzig mög¬ liche Form für die Herrſchaft der Geſammtbourgeoiſie ſei. Sie waren ſo gezwungen, die Reſtaurationspläne, die ſie unverdroſſen hinter dem Rücken des Parlaments weiter verfolgten, vor den Augen der Bourgeoisklaſſe ſelbſt als eine eben ſo gefahrvolle wie kopfloſe Intrigue zu brandmarken. Das Mißtrauensvotum vom 18. Januar traf die Miniſter und nicht den Präſidenten. Aber nicht das Miniſterium, der Präſident hatte Changarnier abgeſetzt. Sollte die Ordnungspartei Bonaparte ſelbſt in Anklagezuſtand verſetzen? Wegen ſeiner Reſtaurationsgelüſte? Sie ergänzten nur ihre eignen. Wegen ſeiner Konſpiration in den Militärrevuen und der Geſellſchaft vom 10. Dezember? Sie hatten dieſe Themata längſt unter einfachen Tages¬ ordnungen begraben. Wegen der Abſetzung des Helden vom 29. Januar und vom 13. Juni, des Mannes, der Mai 1850 im Falle einer Emeute Paris an allen vier Ecken in Brand zu ſtecken drohte? Ihre Alliirten von der Montagne und Cavaignac erlaubten ihnen nicht einmal, das gefallene Bollwerk der Geſellſchaft durch eine offizielle Beileidsbezeugung aufzurichten. Sie ſelbſt konnten dem Präſidenten die konſtitutionelle Befugniß einen Ge¬ neral abzuſetzen nicht beſtreiten. Sie tobten nur, weil er von ſeinem konſti¬ tutionellen Rechte einen unparlamentariſchen Gebrauch machte. Hatten ſie von ihrer parlamentariſchen Prärogative nicht fortwährend einen unkonſtitu¬ tionellen Gebrauch gemacht und namentlich bei der Abſchaffung des allgemeinen Wahlrechts? Sie waren alſo darauf angewieſen, ſich genau innerhalb der

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/73>, abgerufen am 24.11.2024.