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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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verhindert. Er halte jetzt nur die Fessel gebrochen, die die Städte dem
Willen des Landes angelegt. Sie trugen sich stellenweise sogar mit der
grotesken Vorstellung : neben einem Napoleon ein Konvent.

Nachdem die erste Revolution die halbhörigen Bauern in freie Grund¬
eigenthümer verwandelt hatte, befestigte und regelte Napoleon die Bedingun¬
gen, worin sie ungestört den eben erst ihnen anheim gefallenen Boden
Frankreichs ausbeuten und die jugendliche Lust am Eigenthum büßen konnten.
Aber woran der französische Bauer jetzt untergeht, es ist seine Parzelle selbst,
die Theilung des Grund und Bodens, die Eigenthumsform, die Napoleon
in Frankreich konsolidirte. Es sind eben die materiellen Bedingungen, die
den französischen Feudalbauer zum Parzellenbauer und Napoleon zum Kaiser
machten. Zwei Generationen haben hingereicht, um das unvermeidliche
Resultat zu erzeugen : progressive Verschlechterung des Ackerbaues, progressive
Verschuldung des Ackerbauers. Die "Napoleonische" Eigenthumsform, die im
Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die Bedingung für die Befreiung und
die Bereicherung des französischen Landvolkes war, hat sich im Laufe dieses
Jahrhunderts als das Gesetz ihrer Sklaverei und ihres Pauperismus entwickelt.
Und eben dies Gesetz ist die erste der "idees napoleoniennes," die der zweite
Bonaparte zu behaupten hat. Wenn er mit den Bauern noch die Illusion
theilt, nicht im Parzelleneigenthum selbst, sondern außerhalb im Einflusse
sekundärer Umstände die Ursache ihres Ruins zu suchen, so werden seine
Experimente wie Seifenblasen an den Produktionsverhältnissen zerschellen.

Die ökonomische Entwickelung des Parzelleneigenthums hat das Ver¬
hältniß der Bauern zu den übrigen Gesellschaftsklassen von Grund aus
verkehrt. Unter Napoleon ergänzte die Parzellirung des Grund und Bodens
auf dem Lande die freie Konkurrenz und die beginnende große Industrie in
den Städten. Die Bauernklasse war der allgegenwärtige Protest gegen die
eben erst gestürzte Grundaristokratie. Die Wurzeln, die das Parzellen¬
eigenthum in dem französischen Grund und Boden schlug, entzogen dem
Feudalismus jeden Nahrungsstoff. Seine Grenzpfähle bildeten das natürliche
Befestigungswert der Bourgeoisie gegen jeden Handstreich ihrer alten Ober¬
herren. Aber im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts trat an die Stelle
des Feudalen der städtische Wucherer, an die Stelle der Feudalpflichtigkeit
des Bodens die Hypothek, an die Stelle des aristokratischen Grundeigenthums
das bürgerliche Kapital. Die Parzelle des Bauern ist nur noch der
Vorwand, der dem Kapitalisten erlaubt, Prosit, Zinsen und Rente von dem

verhindert. Er halte jetzt nur die Feſſel gebrochen, die die Städte dem
Willen des Landes angelegt. Sie trugen ſich ſtellenweiſe ſogar mit der
grotesken Vorſtellung : neben einem Napoleon ein Konvent.

Nachdem die erſte Revolution die halbhörigen Bauern in freie Grund¬
eigenthümer verwandelt hatte, befeſtigte und regelte Napoleon die Bedingun¬
gen, worin ſie ungeſtört den eben erſt ihnen anheim gefallenen Boden
Frankreichs ausbeuten und die jugendliche Luſt am Eigenthum büßen konnten.
Aber woran der franzöſiſche Bauer jetzt untergeht, es iſt ſeine Parzelle ſelbſt,
die Theilung des Grund und Bodens, die Eigenthumsform, die Napoleon
in Frankreich konſolidirte. Es ſind eben die materiellen Bedingungen, die
den franzöſiſchen Feudalbauer zum Parzellenbauer und Napoleon zum Kaiſer
machten. Zwei Generationen haben hingereicht, um das unvermeidliche
Reſultat zu erzeugen : progreſſive Verſchlechterung des Ackerbaues, progreſſive
Verſchuldung des Ackerbauers. Die „Napoleoniſche“ Eigenthumsform, die im
Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die Bedingung für die Befreiung und
die Bereicherung des franzöſiſchen Landvolkes war, hat ſich im Laufe dieſes
Jahrhunderts als das Geſetz ihrer Sklaverei und ihres Pauperismus entwickelt.
Und eben dies Geſetz iſt die erſte der „idées napoléoniennes,“ die der zweite
Bonaparte zu behaupten hat. Wenn er mit den Bauern noch die Illuſion
theilt, nicht im Parzelleneigenthum ſelbſt, ſondern außerhalb im Einfluſſe
ſekundärer Umſtände die Urſache ihres Ruins zu ſuchen, ſo werden ſeine
Experimente wie Seifenblaſen an den Produktionsverhältniſſen zerſchellen.

Die ökonomiſche Entwickelung des Parzelleneigenthums hat das Ver¬
hältniß der Bauern zu den übrigen Geſellſchaftsklaſſen von Grund aus
verkehrt. Unter Napoleon ergänzte die Parzellirung des Grund und Bodens
auf dem Lande die freie Konkurrenz und die beginnende große Induſtrie in
den Städten. Die Bauernklaſſe war der allgegenwärtige Proteſt gegen die
eben erſt geſtürzte Grundariſtokratie. Die Wurzeln, die das Parzellen¬
eigenthum in dem franzöſiſchen Grund und Boden ſchlug, entzogen dem
Feudalismus jeden Nahrungsſtoff. Seine Grenzpfähle bildeten das natürliche
Befeſtigungswert der Bourgeoiſie gegen jeden Handſtreich ihrer alten Ober¬
herren. Aber im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts trat an die Stelle
des Feudalen der ſtädtiſche Wucherer, an die Stelle der Feudalpflichtigkeit
des Bodens die Hypothek, an die Stelle des ariſtokratiſchen Grundeigenthums
das bürgerliche Kapital. Die Parzelle des Bauern iſt nur noch der
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[91/0103] verhindert. Er halte jetzt nur die Feſſel gebrochen, die die Städte dem Willen des Landes angelegt. Sie trugen ſich ſtellenweiſe ſogar mit der grotesken Vorſtellung : neben einem Napoleon ein Konvent. Nachdem die erſte Revolution die halbhörigen Bauern in freie Grund¬ eigenthümer verwandelt hatte, befeſtigte und regelte Napoleon die Bedingun¬ gen, worin ſie ungeſtört den eben erſt ihnen anheim gefallenen Boden Frankreichs ausbeuten und die jugendliche Luſt am Eigenthum büßen konnten. Aber woran der franzöſiſche Bauer jetzt untergeht, es iſt ſeine Parzelle ſelbſt, die Theilung des Grund und Bodens, die Eigenthumsform, die Napoleon in Frankreich konſolidirte. Es ſind eben die materiellen Bedingungen, die den franzöſiſchen Feudalbauer zum Parzellenbauer und Napoleon zum Kaiſer machten. Zwei Generationen haben hingereicht, um das unvermeidliche Reſultat zu erzeugen : progreſſive Verſchlechterung des Ackerbaues, progreſſive Verſchuldung des Ackerbauers. Die „Napoleoniſche“ Eigenthumsform, die im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts die Bedingung für die Befreiung und die Bereicherung des franzöſiſchen Landvolkes war, hat ſich im Laufe dieſes Jahrhunderts als das Geſetz ihrer Sklaverei und ihres Pauperismus entwickelt. Und eben dies Geſetz iſt die erſte der „idées napoléoniennes,“ die der zweite Bonaparte zu behaupten hat. Wenn er mit den Bauern noch die Illuſion theilt, nicht im Parzelleneigenthum ſelbſt, ſondern außerhalb im Einfluſſe ſekundärer Umſtände die Urſache ihres Ruins zu ſuchen, ſo werden ſeine Experimente wie Seifenblaſen an den Produktionsverhältniſſen zerſchellen. Die ökonomiſche Entwickelung des Parzelleneigenthums hat das Ver¬ hältniß der Bauern zu den übrigen Geſellſchaftsklaſſen von Grund aus verkehrt. Unter Napoleon ergänzte die Parzellirung des Grund und Bodens auf dem Lande die freie Konkurrenz und die beginnende große Induſtrie in den Städten. Die Bauernklaſſe war der allgegenwärtige Proteſt gegen die eben erſt geſtürzte Grundariſtokratie. Die Wurzeln, die das Parzellen¬ eigenthum in dem franzöſiſchen Grund und Boden ſchlug, entzogen dem Feudalismus jeden Nahrungsſtoff. Seine Grenzpfähle bildeten das natürliche Befeſtigungswert der Bourgeoiſie gegen jeden Handſtreich ihrer alten Ober¬ herren. Aber im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts trat an die Stelle des Feudalen der ſtädtiſche Wucherer, an die Stelle der Feudalpflichtigkeit des Bodens die Hypothek, an die Stelle des ariſtokratiſchen Grundeigenthums das bürgerliche Kapital. Die Parzelle des Bauern iſt nur noch der Vorwand, der dem Kapitaliſten erlaubt, Proſit, Zinſen und Rente von dem

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/103>, abgerufen am 06.05.2024.