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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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den Willen der Einzelnen unruhig machen und von der Lebens-
jagd ab in die Stille führen könnte. Sie ist der Schauplatz
der Geld- und Konnexionsheiraten, der doppelten Moral, der
Versorgungsehen und des ganzen Plaisiers, das für diesen Zweck
heranklingeln soll. In der Gesellschaft will und soll der gei-
stige Philister sich behaglich, der sittlich Minderwertige, sich
sicher, der Streber sich gefördert fühlen. Und die Hauptkosten
trägt das weibliche Geschlecht, das um so enger an die ver-
logene, unselbständige Sitte gebunden wird, je weniger man
ihm Einfluß auf die Sittlichkeit einräumen möchte. Bei
der Gesellschaft ist erst eine gewisse Reformation zu erwarten,
wenn Schule und Familie auf weit höhere Stufen gestiegen
sind. Doch da jede Gesamtheit aus einzelnen besteht, so ist
zunächst die einzige Hilfe, wenn die Familien sich, besonders
für ihre Kinder, zu Kreisen zusammenschließen, in denen das
Bessere obenaufkommt und eine reine, edle Geselligkeit ge-
pflegt wird. Solche Kreise mit ausgeprägtem Charakter, über
denen ernste Vateraugen wachen und liebend sorgende Mutter-
herzen horchen, haben den allergrößten Einfluß auf die jungen,
dem öffentlichen Leben entgegenwachsenden Menschen und ihre
Charakterbildung. Je vielseitiger darin die Berührungen
sind, um so mannigfaltiger sind die Eindrücke, aus denen sich
Lebenserfahrungen und Willensimpulse zusammensetzen. Der
Charakter, der sich im Strom der Welt bilden muß, lernt hier
erst schwimmen unter schattigen Ufern auf spielenden Wellen,
und von allen Seiten nickt doch das Bekannte, Gewohnte, das
an die Kinderzeit mahnt. Je mehr solche Familienringe feste
neue gesellschaftliche Sitten prägen, um so mehr bedrängen sie
das gefährlich Minderwertige in der Oeffentlichkeit. Und Ringe
sind's, die eine Kette bilden, die sich zuletzt um alles Niedrige,
Unreine, Minderwertige in der Gesellschaft legen und ihm die
Lebensluft abschnüren soll. Je mehr in der Oeffentlichkeit das
niedere Triebleben bewußt bekämpft wird, um so sicherer wer-
den unsere Mädchen und Frauen in ihr blühen und gedeihen.

den Willen der Einzelnen unruhig machen und von der Lebens-
jagd ab in die Stille führen könnte. Sie ist der Schauplatz
der Geld- und Konnexionsheiraten, der doppelten Moral, der
Versorgungsehen und des ganzen Plaisiers, das für diesen Zweck
heranklingeln soll. In der Gesellschaft will und soll der gei-
stige Philister sich behaglich, der sittlich Minderwertige, sich
sicher, der Streber sich gefördert fühlen. Und die Hauptkosten
trägt das weibliche Geschlecht, das um so enger an die ver-
logene, unselbständige Sitte gebunden wird, je weniger man
ihm Einfluß auf die Sittlichkeit einräumen möchte. Bei
der Gesellschaft ist erst eine gewisse Reformation zu erwarten,
wenn Schule und Familie auf weit höhere Stufen gestiegen
sind. Doch da jede Gesamtheit aus einzelnen besteht, so ist
zunächst die einzige Hilfe, wenn die Familien sich, besonders
für ihre Kinder, zu Kreisen zusammenschließen, in denen das
Bessere obenaufkommt und eine reine, edle Geselligkeit ge-
pflegt wird. Solche Kreise mit ausgeprägtem Charakter, über
denen ernste Vateraugen wachen und liebend sorgende Mutter-
herzen horchen, haben den allergrößten Einfluß auf die jungen,
dem öffentlichen Leben entgegenwachsenden Menschen und ihre
Charakterbildung. Je vielseitiger darin die Berührungen
sind, um so mannigfaltiger sind die Eindrücke, aus denen sich
Lebenserfahrungen und Willensimpulse zusammensetzen. Der
Charakter, der sich im Strom der Welt bilden muß, lernt hier
erst schwimmen unter schattigen Ufern auf spielenden Wellen,
und von allen Seiten nickt doch das Bekannte, Gewohnte, das
an die Kinderzeit mahnt. Je mehr solche Familienringe feste
neue gesellschaftliche Sitten prägen, um so mehr bedrängen sie
das gefährlich Minderwertige in der Oeffentlichkeit. Und Ringe
sind's, die eine Kette bilden, die sich zuletzt um alles Niedrige,
Unreine, Minderwertige in der Gesellschaft legen und ihm die
Lebensluft abschnüren soll. Je mehr in der Oeffentlichkeit das
niedere Triebleben bewußt bekämpft wird, um so sicherer wer-
den unsere Mädchen und Frauen in ihr blühen und gedeihen.

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[43/0046] den Willen der Einzelnen unruhig machen und von der Lebens- jagd ab in die Stille führen könnte. Sie ist der Schauplatz der Geld- und Konnexionsheiraten, der doppelten Moral, der Versorgungsehen und des ganzen Plaisiers, das für diesen Zweck heranklingeln soll. In der Gesellschaft will und soll der gei- stige Philister sich behaglich, der sittlich Minderwertige, sich sicher, der Streber sich gefördert fühlen. Und die Hauptkosten trägt das weibliche Geschlecht, das um so enger an die ver- logene, unselbständige Sitte gebunden wird, je weniger man ihm Einfluß auf die Sittlichkeit einräumen möchte. Bei der Gesellschaft ist erst eine gewisse Reformation zu erwarten, wenn Schule und Familie auf weit höhere Stufen gestiegen sind. Doch da jede Gesamtheit aus einzelnen besteht, so ist zunächst die einzige Hilfe, wenn die Familien sich, besonders für ihre Kinder, zu Kreisen zusammenschließen, in denen das Bessere obenaufkommt und eine reine, edle Geselligkeit ge- pflegt wird. Solche Kreise mit ausgeprägtem Charakter, über denen ernste Vateraugen wachen und liebend sorgende Mutter- herzen horchen, haben den allergrößten Einfluß auf die jungen, dem öffentlichen Leben entgegenwachsenden Menschen und ihre Charakterbildung. Je vielseitiger darin die Berührungen sind, um so mannigfaltiger sind die Eindrücke, aus denen sich Lebenserfahrungen und Willensimpulse zusammensetzen. Der Charakter, der sich im Strom der Welt bilden muß, lernt hier erst schwimmen unter schattigen Ufern auf spielenden Wellen, und von allen Seiten nickt doch das Bekannte, Gewohnte, das an die Kinderzeit mahnt. Je mehr solche Familienringe feste neue gesellschaftliche Sitten prägen, um so mehr bedrängen sie das gefährlich Minderwertige in der Oeffentlichkeit. Und Ringe sind's, die eine Kette bilden, die sich zuletzt um alles Niedrige, Unreine, Minderwertige in der Gesellschaft legen und ihm die Lebensluft abschnüren soll. Je mehr in der Oeffentlichkeit das niedere Triebleben bewußt bekämpft wird, um so sicherer wer- den unsere Mädchen und Frauen in ihr blühen und gedeihen.

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/46>, abgerufen am 28.11.2024.