Wahre Frauenbildung .
Ein Mahnwort an die Gebildeten .
Von
Marie Martin ,
Oberlehrerin in Berlin .
Tübingen
Verlag von J. C. B. Mohr ( Paul Siebeck )
1905
Inhalt .
Die Not 1
Irrungen und Wirrungen 12
Das Ziel 28
Der Weg 35
— Alle Rechte vorbehalten . —
Druck von H. Laupp jr in Tübingen
Die Not .
„ Daß sie sich ganz vergißt
und leben mag nur in den andern . “
Es gibt ein feines kleines Buch „ Frauentrost “ . Darin
heißt es : „ Alle brachliegende Kraft ist ein Uebel für ihren
Besitzer und ein Schaden für die Menschheit . Und wieviel
weibliche Kraft liegt heute brach ! “ Diese Not der Frau , des
deutschen Volkes , erkennt jeder , der sich nicht aus irgend einem
gröblich egoistischen Interesse , sei es persönlicher , sei es partei-
politischer Art , die Augen zuhalten will . Die Wurzeln dieser
verderblichen , des Volksglück untergrabenden Erscheinung aber
und die Ziele und Wege der Abhilfe werden schwer gefunden .
Das Problem „ Frauenbildung “ steht unter so schillernder Be-
leuchtung , wie wenig Kulturfragen , auch gibt es kaum eine
Kulturfrage , deren Voraussetzungen und Grundlagen sich so
schnell geändert haben , als alle die Verhältnisse , die der
Frauenbildungsfrage zu Grunde liegen . Tatsache ist , daß die
Frauenbildung nicht in dem lebendigen Fluß der übrigen
Kulturentwickelung mit vorwärts geschwommen , daß sie also
relativ zurückgeblieben ist- und Tatsache ist , daß wir Frauen ,
wie auch unsre Freunde und Feinde , unwiderleglich wissen ,
daß heute viel edle Frauenkraft brach liegt . Will man in
das Verständnis dieser traurigen Erscheinung eindringen , so
nützen allerhand weisheitsvolle Theorien über Frauenart und
Frauenpflicht wenig ohne die praktische Untersuchung , wie
sich die Not historisch entwickelt hat und also auch zu be-
seitigen sei ; ebenso aber nützen derartige Untersuchungen wenig ,
wenn man sie loslöst von der sorgfältigen Beachtung unsrer
weiblichen Eigentümlichkeiten in Anlagen und Aufgabe .
Das Bild der Weltkultur hat sich in den letzten 50 Jahren
ungeheuer verändert , mit rasch zunehmender Schnelligkeit
wirbelt alles durcheinander . Auf allen Gebieten werden Um-
wertungen alter Werte versucht ; verschlossene Erkenntnisgebiete
haben sich geöffnet ; mit neuen Mitteln dringen wir in unge-
ahnte Welten ein . Die alten Formen , in denen unsre Vor-
fahren ihr Denken , Glauben und Wollen für immer sicher zu
halten glaubten , gleiten uns unter der Wucht und dem Wirbel
der neuen Zeit unaufhaltsam aus den Händen , und viele zer-
schellen auf dem harten Boden der neuen Wirklichkeiten vor
unsern erstaunten , ja entsetzten Augen . Unter dem Krachen
und Klirren der überlieferten Werte sucht alles sich vor dem
furchtbaren Nichts zu retten , das auf uns zu lauern scheint .
„ Wer ist , der uns Hilfe tu , daß wir Gnad erlangen ? “
Der tobende Kampf ums geistige Dasein , um Wissen und
Glauben , um Autorität und Freiheit , erinnert an ein Bild ,
das ich im Louvre mit erschütterter Seele sah . Die Sintflut
ist hereingebrochen , ein Chaos von Menschen und Tieren kämpft
in den Fluten den Todeskampf . Im Vordergrund ragt noch
ein Felsblock empor , und auf seiner Platte steht ein alter
Weidenstumpf . Ein Mann arbeitet sich hinauf , hat den Arm
um einen Ast geschlungen , mit dem andern zieht er ein halb
ohnmächtiges Weib mit einem kleinen Kinde an der Brust zu
sich herauf . Aber man sieht , der Ast wird brechen unter der
Last , im nächsten Augenblicke werden alle drei Menschen
rettungslos zurücksinken . Ich habe stundenlang immer wieder
vor dem Bilde gestanden in Angst und Hoffnung : wird's ge-
lingen ? oder wird das Verderben über den Köpfen zusammen-
schlagen ? Ich glaubte , den Ast krachen zu hören . Wie ,
wenn das Weib auch versucht hätte , mit den Wellen zu kämpfen
und sich in die Höhe zu arbeiten , wenn es einen andern Ast
zu ergreifen vermocht hätte , und beide hätten so gemeinsam
sich und ihr Kind gerettet ? „ Ich will ihm eine Gehilfin
schaffen , die um ihn sei , “ nicht „ eine hilflose Last am Halse ,
die ihn niederziehen muß “ , sagte Gott , als er das Weib er-
gänzend neben den Mann stellte .
Wenn man oberflächlich das Hasten und Treiben in
unserm Leben ansieht , die altunheimliche Macht des Goldes ,
die Herrschaft des Genusses , die Jagd nach der Ehre und dem ,
was man so obenhin „ Glück “ nennt , das Streben nach
Karriere , nach Gunst der Großen , nach Macht und dem Platz
an der Sonne , dann scheint es wohl , daß der Daseinskampf
sich für die meisten in dem wirtschaftlichen Kampf erschöpft .
Und wahrhaftig , hart und verwickelt genug ist er , Menschen-
kraft genug verbraucht er , und genug Menschenglück verschlingt
und zerstört er . Er formt die sozialen Probleme , gruppiert
die Parteien und lenkt fast ausschließlich das politische Leben
der Völker . Alle idealen Ziele und mit dem Brustton ge-
sinnungstüchtiger Ueberzeugung ausgespielten sittlichen Forde-
rungen scheinen nur Schleier über dem nackten , baren Dies-
seitskampf :
„ Aus dieser Erde quillen meine Freuden , Und diese Sonne scheinet meinen Leiden . “
Der derbe Realpolitiker gesteht es auch offen zu , daß er
die geistigen und sittlichen Probleme nur für Begleiterscheinungen
dieses realen Ringens hält , für unfaßbare Phantome , an
denen der Gesunde sich nicht zergrübelt , die nur den im Kampf
Untüchtigen eine Scheinbeschäftigung geben , den über dem ge-
meinen Kampf stehenden die Zeit vertreiben oder den allzu
differenzierten , in Zersetzung übergegangenen Naturen ein
krankhaftes Bedürfnis seien . Blicken wir aber tiefer , ja ,
vermöchten wir mit einem Christusauge im Innern der Men-
schen und in der Volksseele zu lesen , dann würden wir hinter
dem Hasten nach Befriedigung den Durst nach Frieden er-
kennen ; wir würden mit den Ohren des Heilandes in dem
lauten Egoismus des Kampfes das angstvolle Klopfen des
Menschenherzens erhorchen , das aus der innern Einsamkeit
des Egoismus sich heraussehnt in das Glück einer Liebe , die
sich selbst vergißt und leben mag nur in den andern . Wir
ahnen , daß die treibende Grundursache des ganzen Wirt-
schaftskampfes , durch den wir unser Erdennest warm aus-
polstern wollen zu äußerem Glück , hinter der Welt der
Erscheinungen liegt in den tiefsten ewigen Bedürfnissen des
Menschen noch Klarheit des Erkennens , Befriedigung des
Fühlens , Reinheit des Wollens , Kraft des Handelns . Dann
verschieben sich unsrer Betrachtung die Probleme des Lebens :
die geistig ethischen sind nicht Begleiterscheinungen des wirt-
schaftlichen Kampfes , sondern dieser ist nur die äußere Er-
scheinungsform für das Grundproblem : Wahrheit , Glück ,
Frieden . Aeußere Erscheinungsform , aber notwendige . Denn
nichts ist schwerer , als ohne äußere Kraftbetätigung innerlich
kräftig zu bleiben , ohne Tüchtigkeit für strenge Arbeit doch
innere Harmonie zu behalten . Die Möglichkeit , auf den Höhen
des Lebens zu den nur Genießenden zu gehören , ist das
furchtbarste Danaergeschenk , das Sterblichen zu teil werden
kann , weil daran allzuleicht das Herz matt und der Wille
lahm wird . Das ist nur zu sehr das Schicksal der „ gebil-
deten “ Frauenwelt gewesen . Das „ du bist wie eine Blume “
hat allzuoft die Frau in dürre Dornenwirrnis verschlungen ,
in die sie sofort ihre Lebenskreise nachlockt . Umgekehrt ist
es ebenso ein menschenunwürdiges Schicksal , im äußern harten
Daseinskampf so aufgerieben zu werden , daß man im Erden-
staub erstickt , und daß nie ein Strahl aus einer höhern Welt
die arme Seele in Ruhe trifft . Das ist das Schicksal der
„ Arbeiterin “ , die unter der doppelten Last keucht , der Lohn-
arbeit und der Mutterschaft , und unter der doppelten Be-
lastung das Glück der einen und den Segen der andern Auf-
gabe nicht mehr zu empfinden vermag . Diese armen Frauen
reiben sich an der Schale der eigentlichen Lebenswerte auf ,
und ihren wahren Inhalt können sie nicht erfassen . Was
Wunder , wenn die meisten von Begehrlichkeit , Unsittlichkeit ,
Stumpfheit und Haß zerfressen werden und diese Gifte weiter
verbreiten im Volkskörper , dem Tod entgegen ? Wenn nun
in einem Volke alle Frauenkreise unter unnatürlichen Lebens-
bedingungen stehen , die einen vor Arbeitsmangel , die andern vor
Arbeitslast nicht dazu kommen können , in die tiefern Lebens-
werte mit gesunder Kraft und ruhiger Einsicht einzudringen ,
dann ist doch recht eigentlich die Quelle der Volks-
kraft trübe geworden und in Gefahr , zu versiechen .
Der Zugang zu den Müttern ist gesperrt , die Kraft und die
Freude des Muttertums geht verloren , und die allererste Be-
dingung für die Möglichkeit , der Zukunft ein gesundes , glück-
liches Jugendgeschlecht zuzuführen , ist unterbunden . Die Sorge
um die sozialen Gefahren , die immer dunkler von unten auf-
steigen und von allen Seiten die Gesellschaft zu überfluten
drohen , um das Verderben der oberen Schichten zu hohlem
Strebertum und unwahrem Scheingepränge , um die Spaltung
der Stände , die Kluft zwischen Regierenden und Regierten ,
um das Schwinden der religiösen und sittlichen Werte nimmt
dem Denkenden heute fast den Atem . Der eine will die Ge-
fahren durch feste Autoritäten , der andre durch Soldaten und
Polizei , der dritte durch Rechte , der vierte durch Freiheit und
Gleichheit auf allen Gebieten , der fünfte durch Wissenschaft
und Kunst beschwören . So zerarbeiten und zersorgen sich die
Führer aller Kreise , die ein Herz für ihr Volk haben . Nur
auf den einfachen Gedanken wollen die meisten nicht kommen
und weisen ihn mit Energie von sich , sowie er an sie heran-
tritt : daß nämlich eine Kultur krank werden und in einem
bestimmten Stadium welken muß , wenn zu all den gefähr-
lichen Rissen und Klüften noch die eine furchtbare Gefahr
kommt , daß zwischen den geistigen Welten der Geschlechter
ein Spalt entsteht , der nicht mehr überbrückt werden kann .
Und diese Not ist an uns herangekrochen . Unsre Kultur ist
eine allzu männliche , rein der geistigen Struktur des Mannes
angepaßte , sowohl in ihren Idealen als in ihren Formen und
ihrem Geschehen , und Frauenart hat zu wenig teil
daran . Betrachten wir sie genau , soweit sich eine einheit-
liche Haupterscheinungsform neben allen flutenden Unterströ-
mungen fassen läßt . Untersuchen wir die Werte , die unser
öffentliches Leben beherrschen . Eine hohe intellektuelle
Blüte , neue Erkenntnisse von überraschender Klarheit , schöpfe-
rische Erfindungen von größtem Lebenswert , höchste praktische
Tüchtigkeit , eine Energie des Wissens und Könnens wie nie
vorher , eine ungeahnte Schnelligkeit und Kraft der Ent-
wickelungen : alles so recht der vorwärtsdrängenden Natur des
Mannes entsprechende Erscheinungen , die Geschlossenheit und
hohes Zielbewußtsein verraten . Wie könnte man sich an dieser
kraftvollen Kultur freuen ! Aber daneben ? Ist unsre geistige
Kultur auch ebenso in die Tiefe gedrungen , wie sie die Höhen
erklommen hat ? Umflutet sie kraftvoll strömend alle Volks-
kreise und hebt die einzelnen hinauf zu der Höhe ausge-
prägter Persönlichkeiten ? Haben die geistigen Er-
oberungen die Erkenntnis zu verbreiten vermocht , daß nie-
mand für sich selbst auf der Welt ist ? Wenn es wahre , un-
gemischte Werte wären , die die Menschheit sich denkend und
forschend und vorwärtsstrebend errungen hat , so hätten sie
die Erkenntnis erweitern und vertiefen müssen , daß der
Sirenengesang von dem „ Sichausleben “ nur die Parodie sein
kann zu der ernstesten Forderung : bestimme dich aus
dir selbst ! , die Kehrseite der hohen Wahrheit , daß jeder
sein Maß in sich selbst suchen muß . Es müßte in der Welt
von Persönlichkeiten wimmeln , die kein Schein blendet , keine
Versuchung lockt , keine äußere Macht beugen kann , weil sie
ihr Lebensideal sich selbständig herausgearbeitet und die Kraft
gewonnen haben , es zu verfolgen . Wenn Christus heute
wiederkäme , ob er sich wohl in unserm so hoch angelegten
deutschen Herrenvolk , das fast 1500 Jahre offiziell unter der
Zucht seiner Lehre gestanden hat , wesentlich heimischer fühlen
könnte , als zu Jerusalem , wo er weinen mußte : „ Ihr habt
nicht gewollt “ ?
Es wäre natürlich ein lächerliches Schlagwort einer ver-
bohrten Frauenrechtlerin , sogenanntes „ Altjungferntum “ schlimm-
ster Sorte , wollte ich diese hochbedenklichen Erscheinungen , daß
alle Erkenntnisse öffentlich das Ziel zu haben scheinen , den
brutalen Willen zur Macht , die ungezügelte Herrschaft des
Uebermenschentums zu stärken ; daß alle Errungenschaften um-
gebogen werden zu Kampfmitteln für Selbstbehauptung , Herren-
recht ; daß immer deutlicher und schonungsloser das Gesetz ge-
predigt wird : erlaubt ist , was gefällt ! immer scheuer die
Forderung sich zurückzieht : erlaubt ist , was sich ziemt !
— wollte ich das alles so kurzweg darauf zurückführen , daß die
„ edle deutsche Frau “ in unsrer Kultur zu kurz komme
und zu wenig zu sagen habe . Mit frauenrechtlerischen Schlag-
worten ist dieser Not ebensowenig abzuhelfen , als sie zu ver-
schleiern ist durch den satten Philistertrost , daß in dieser besten
aller Welten stets nur Kampfgesetze das Dasein geregelt haben ,
und daß die Ideale dazu da seien , darüber zu dichten und zu
denken . Aber es dringt immer lebhafter , mit immer größerer
instinktiver Sicherheit in den Besten der Zeit die Erkenntnis
durch , daß in unserm Volk zu viel geistige Schulung und zu
wenig sittlicher Wille herrscht . Freude am Wissen , Sehnsucht
nach Erkennen , Uebung des Intellekts , Richtung auf das
äußere und innere Sichdurchsetzen , also alles das innerlich
flutende Leben , das auf Erfassen von Machtmitteln drängt ,
das ist allein geschult , geübt , gestärkt worden , alle andere
tiefere Seelenkraft hat man ungeübt und ungeschult dem
dunkeln Triebleben überlassen oder unter die blinde Macht
des ewig Gestrigen , unter die tote Autorität des Herkömm-
lichen gebeugt , also von zielbewußter Entwickelung ausge-
schlossen . Unsre öffentliche Erziehung ist mit einem Netz von
Berechtigungen überzogen wie mit grauen Herbstspinn-
fäden ; unser öffentliches Leben ist eingepreßt in ein totes
Rang- und Kastensystem , ist zerklüftet in Parteiinteressen und
wird verbraucht in sogenannten nationalen Interessen , in welt-
politischen , konfessionellen Macht fragen . Gibt es auch noch
eine einzige wahre Kulturfrage , die um ihrer selbst willen ,
um der inneren und sittlichen Entwickelung unseres deutschen
Volkes willen angefaßt und gelöst würde ? Alles läuft auf
Kuhhandel unter den Parteien , auf politisch-taktische Macht-
fragen , auf Gruppierung der Kräfte für ein äußerliches , wirt-
schaftliches Sichdurchsetzen hinaus . Macht , Karriere , Aner-
kennung , Reichtum : das sind die Götter , denen wir dienen .
Und da wir uns weise dünkten , sind wir zu Narren gewor-
den , streberhaft kletternd und aufbauschend , byzantinisch kriechend
und unfrei in der Seele .
Denn wir haben die edelsten Seiten des Seelenlebens , in
denen die Wurzeln der Volkskraft stecken , nicht zu erziehen
verstanden ; es ist keine Harmonie der Bildung , keine freie
schöne Persönlichkeitskultur entwickelt . Wir erzogen das Wissen
und Denken und nicht das Fühlen ; wir erzogen dann ,
als uns Deutschen das Glück lächelte und wir stark wurden
als Volk , das äußere Handeln und nicht zugleich das
innere Wollen . Es ist ja also ganz natürlich , daß
Deutschland nicht verstand , seine Frauen mit heraufzuheben
und an dem Wachsen der Kultur teilnehmen zu lassen . Wir
dürfen es dem deutschen Michel gar nicht übel nehmen , daß
er die Frauenbildung in unglaublicher Weise öffentlich ver-
nachlässigt und privatim in verhängnisvoll falsche Bahnen
leitete . Es war wirklich kein böser Wille , denn der Deutsche
hat vielleicht am allerehrlichsten stets die Absicht gehabt , seine
Frauen zu ehren . Es verstand's nicht besser ; ein Schelm gibt
mehr als er hat . Alles das , was das eigentümliche Leben
und die treibende Kraft der Frauenseele ausmacht , das
breit und tief flutende Gefühlsleben , der zäh emporkletternde
Wille , das sind gerade die Seiten des Seelenlebens , mit denen
die deutsche Erziehung überhaupt nichts anzufangen wußte ,
und die sie daher dem Zufall des Lebens überließ , ob sie
wuchern oder verkümmern wollten . Daß dagegen die intellek-
tuelle Schulung auf Berechtigung oder Gelehrtentum — denn ,
wem die Wissenschaft nicht die tüchtige Kuh für seine Karriere
ist , dem ist sie gleich die hohe himmlische Göttin , deren ab-
strakte Anbetung Selbstzweck wird ! — eine Bildung sei , die
sich für Frauen nicht eigne , diese Ansicht können wir den
männlichen Leitern der Kultur wirklich nicht übel nehmen .
Sollten sie sich selbst unnötig Konkurrenten heranzüchten
und zugleich durch abstraktes Gelehrtentum die Frauen
ihren natürlichen praktischen Aufgaben entfremden ? Eine
andre Auffassung von Bildungswerten kennt das öffentliche
Leben nicht .
Es ist also eigentlich einseitig , über die Art der Frauen -
bildung zu klagen . Man muß die ganze Richtung der Bil-
dung beklagen , die dem Mann vielleicht verhängnisvoller noch
ist , als der Frau . Denn es ist schlimmer , in falscher Richtung
festgefahren und mit seinen Kräften engagiert zu sein , als in
den Kräften brach zu liegen , zumal Frauenkraft nie ganz
brach liegen kann , weil sie von der Natur und ihren natür-
lichen Aufgaben so stark in Anspruch genommen wird , wo
immer Natur an die Frau heran kann . Es ist rührend und
köstlich zu beobachten , wie Mädchen , die an Inhaltlosigkeit
ihres Lebens , an fehlenden Aufgaben und an falscher Bildung ,
also an Verkümmerung ihrer Anlagen kranken und darum
eitel , oberflächlich , gewissenlos , kokett , genußsüchtig und klatsch-
haft geworden sind , plötzlich umkehren , alle verkrüllten
Blätter auseinanderfalten und neue Kräfte treiben , sowie sie ,
nicht allzuspät , auf den Boden der Natur zurückversetzt , sowie
sie Frau und Mutter werden . Freilich unter einer Bedingung ,
nämlich der , daß sie geachtet und geliebt werden und achten
und lieben können . Denn gerade solche Mädchen , hungrig
und dabei in der Seele unentwickelt und urteilsunfähig ,
schließen leicht skrupellos Ehen , die sie nur noch tiefer in das
Verderben hineintreiben . Eine unbefriedigte Frau ist noch
elender als ein unbefriedigtes Mädchen . Ihr eignes Leben
ist hoffnungslos und zugleich eine Unglücksquelle für ihren
ganzen Lebenskreis .
Es ist der Vorzug des weiblichen Geschlechts , daß es viel
breiter und unauflöslicher an die Natur gebunden ist als der
Mann . Die Frau , deren Naturaufgaben , ergänzende
Gefährtin des Mannes und Mutter eines heranwachsenden
Geschlechts zu sein , ihr ganzes Leben ausfüllen und ihre Kräfte
voll in Anspruch nehmen , ihr Lebensberuf sein soll , ist
die natürliche Vertreterin dessen , was sich ziemt , und sie
verliert sich schwerer — dann freilich auch hoffnungsloser und
ekelhafter ! — von der Natur ab , zu der sie jedes Kind , das
zur Welt kommt , zurücklockt . Dafür aber wird es der Frau
viel schwerer als dem Manne , die richtige Vorbereitung für
den Beruf und die richtige Weiterentwickelung der Bildung
zu finden und zu für sie gesunden Kulturverhältnissen
zu kommen . Den Mann dagegen hält seine Naturauf-
gabe weniger in den gesunden Schranken , er wird viel leichter
der Natur untreu nach dem Schema : erlaubt ist , was gefällt .
Dagegen findet sich für ihn auch viel leichter ein glatter Weg
zur Bildung und allseitiger Kultur , weil sein Lebensberuf
nicht von seiner Naturaufgabe abhängt , sondern ihm klare ,
äußere Entwickelungsziele steckt , die ihn auf den Weg geistiger
Bildung , immer höherer Kultur , weisen .
Unbefriedigt müssen beide Geschlechter sein , wenn ihnen
das Leben keinen ihren Anlagen entsprechenden Lebensinhalt ,
keine ihrem Wesen entsprechenden Aufgaben bietet ; oder
wenn diese Aufgaben wohl da sind , aber ihre Anlagen
nicht entsprechend entwickelt wurden , also verfaulen oder ver-
trocknen mußten , folglich den Aufgaben nicht gewachsen sind .
Sowie der Kontakt zwischen Anlagen und Aufgaben im
Menschenleben verloren ist , dann geht das Unglück an , das
wissen wir wohl alle , Mann und Weib . Dann beginnt das
kraftlose Suchen ohne Finden , das Haschen nach Befriedigung
im Genuß , da der Frieden der Pflichterfüllung
verloren ging . Dann macht man die furchtbare Faust-
erfahrung :
„ so tauml' ich von Begierde zu Genuß ,
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde ,
sei es , daß der Mensch in die wüsten , verlorenen Tiefen grober
Sinnlichkeit gerät , sei es , daß er bei Kaffeetasse , Klatsch und
Nichtstun sein Heil sucht .
Aber es leuchtet ein , daß die verkümmerte , mißleitete
Frauenkraft , leeres oder überbürdetes oder gar vergiftetes
Frauenleben , für ein Volk noch eine ganz andre Gefahr be-
deutet als irgendwelche Verirrungen des Männerlebens . Falsche
Kulturentwickelungen können zurückgeführt , Kulturnöte können
gehoben werden , wenn auch unter noch so vielen Opfern .
Wo aber der Zusammenhang mit der Natur selbst unterbun-
den wird , wo die Quellen verseucht werden , woher soll da
Heilung kommen ? Darum ist es ein wahres Wort : ein
Volk steht so hoch , als seine Frauen stehen .
Irrungen und Wirrungen .
Weil bei der einseitig männlichen Entwicklung unsrer Kul-
tur auf Wissen und Macht hin die Aufgabe der Frau an der
geistigen Welt nicht erkannt wird , weil man die für glückliche
Ergänzung notwendigen Gegensätze zwischen den Geschlechtern
nicht natürlich faßt , sondern künstlich konstruiert , so leidet nun
unser ganzes Volk auch geradezu wirtschaftlich unter einer
falschen Entwickelung und falschen Stellung seiner Frauen . Es
bestätigt sich hier auf dem Kulturgebiet ein Gesetz , das man
im Körperleben längst durch bittere Erfahrungen erkannt hat .
Wenn Organe , deren Funktion im Körperhaushalt schwer
nachweisbar sind , durch Vernachlässigung in Wucherung oder
Verkümmerung verfallen oder gar entfernt werden müssen ,
dann gerät schließlich doch der ganze Körper in krankhafte
Zustände , und man erkennt zu spät , daß diese Organe wohl
nötig waren , wenn der Körper gesund bleiben sollte .
Wie man die Frau weder Kaufmann , noch Hand-
werker , noch Bauer werden ließ , so wollte man sie , sehr
richtig , auch nicht in der Gelehrtenzunft dulden . Und
trotz aller schönen Redensarten von Persönlichkeitsbildung wußte
man aus aller höhern geistigen Bildung nichts bessres zu ma-
chen als eine intensive Berufsvorbildung für bestimmte höhere
Berufe , vollständig zugeschnitten auf bestimmte Berechtigungen ,
von oben nach unten , von rechts nach links zerschnitten in
Karriereetappen , mit chinesischen Mauern bestimmter Rang- und
Klassenvorrechte geschützt . Pegasus im Joche ! So ist die hö-
here geistige , die wissenschaftliche Bildung nicht nur das tabu
des Mannes , sondern geradezu bestimmter männlicher Stände
geworden . Wie schwer können sich noch heute die „ Schrif-
tsässigen “ entschließen , reale und praktische Bildung neben ihrer
alleinseligmachenden als gleichberechtigt gelten zu lassen . Diese
Schriftsässigenbildung ist nun noch so schön an jeder Etappe
des Bildungsweges öffentlich durch Examina abgestempelt ,
durch die , wie die Erfahrung lehrt , der Schafskopf , der das
skrupellose Ochsen versteht , oft glatter schlüpft , als die selb-
ständige Natur , der alles Wissen nur Unterlage zum eignen
Denken wird . Sicherlich bedarf es auch gegenüber dieser ganz
unfreien geistigen Bildung , die mit den Kampfbedingungen
des öffentlichen Lebens allzusehr rechnet , nur geeigneter , kraft-
voller Persönlichkeiten , um alle eingeschlossenen Werte zu le-
bendiger Blüte und Frucht zu bringen . Daß sie aber leider
auch das geeignete Element ist für aalglattes und skrupelloses
Strebertum , das sich aus ihr nur die geistigen Hülsen und
nicht die sittlichen Lebenswerte holt , das die unbedingte Sub-
ordination , die die äußere Staatsordnung beherrschen muß ,
ohne Bedenken auf das flutende , ihm ganz fremde innere Le-
ben überträgt , sich im äußern Enthusiasmus erschöpft und aus
jedem Ideal ein goldnes Kalb zu formen weiß , und daß diese
inferioren „ gesinnungstüchtigen “ Herdenmenschen die wahre
höhere Bildung stets gegen Einbrüche eines ihnen fremdartigen
Geistes schützen möchten , das ist leicht erkennbar . War die höhere
Bildung einmal unfrei geworden als Berechtigungsmittel , so
war ihr Abschluß gegen Unberechtigte und — Frauen selbst-
verständlich . Entweder kann „ höhere “ und höchste Bildung
nur frei wie ein Paradiesesstrom durch ein Volk rauschen ,
jedem zugänglich , der Durst hat und trinken will ; oder sie
wird eingeschlossen und mit flammendem Schwert verteidigt
gegen jeden , der nicht zu den Privilegierten gehört und das
Machtmittel nicht benutzen soll . Wir Deutschen , wir neigen
zu der letzteren Form der Bildung , und wir werden nächstens
den traurigen Ruhm erleben , uns dadurch von allen andern
Kulturvölkern , besonders in der Berechtigung der Frau auf
die Bildungsgüter des Volkes , zu unterscheiden .
Zwei Gründe sind es , die dem geistig privilegierten Manne
so gefährlich erscheinen lassen , uns Frauen höhere geistige Bil-
dung frei zugänglich zu machen .
1. Diese unfreie Berechtigungsbildung ist ein Konkurrenz-
mittel . Ließe man die Frau daran ohne Einschränkung teil-
nehmen , so würde der Mann einfach , besonders bei der heu-
tigen ungesunden wirtschaftlichen Lage der Frau , den Kreis
seiner Konkurrenten vergrößern und den Konkurrenzkampf
verschärfen . So leicht gibt kein Stand und kein Lebenskreis
freiwillig ein Privilegium aus der Hand , und so dumm ist
auch der Mann nicht , daß er Bildung als Konkurrenzberech-
tigung dem weiblichen Geschlecht auf dem Präsentierbrett ent-
gegenbrächte . Im Gegenteil , er , der viel Gewitzigtere und
Erfahrenere , sieht schon die Konsequenzen für diesen Kampf
voraus , wo wir Frauen noch gar nicht an wirtschaftliche
Rechte denken und nur an der Wissensquelle zu trinken be-
gehren , weil wir Durst haben . Nur keine wahrhaft höhere
Schulbildung , denn — dann drängt die Frau zum Studium !
Nur kein Recht auf Studium , denn — dann drängt die Frau
in die höheren Berufe ! Nur keine höheren Berufe , denn —
da kann sich der Mann nicht verdrängen lassen !
Dieser einfache , zwar natürliche , aber brutale Konkur-
renzkampf des Mannes gegen die Frau wird zum teil ganz
offen und ehrlich geführt . Wir Frauen müssen ihn auch ganz
einfach verstehen und die Schwierigkeit der Lage anerkennen .
Der Mann will und muß sich und — nicht zu vergessen ! — sei-
ner Familie die Daseinsbedingungen in dem harten Getriebe
des Lebens schützen , denn es tauchen niemals neue Rechte auf
und setzen sich durch , ohne alte Rechte zu verletzen . Schwerer
wird es uns Frauen , die wir von dem harten Leben eben-
falls , wir mögen wollen oder nicht , zum wirtschaftlichen Kampf
gezwungen werden , diesen Kampf ohne Bitterkeit zu führen ,
wenn unsre Gegner mit hohen Phrasen die Waffen , mit denen
sie uns doch einfach aus dem Felde schlagen wollen , umwickeln .
Zwar wissen wir , daß alle Parteikämpfe , die lediglich auf
wirtschaftlichen Interessen beruhen , alle Völkerkämpfe um
Vormacht und Eroberungen stets unter den höchsten idealen
Redensarten , unter sittlichen Entrüstungen aller Art ausge-
fochten werden . Es sind ja auch nicht bloße Redensarten ,
sondern von den Lebensinteressen des Ich aus färben sich alle
Vorstellungen des Individuums und der Völker . Aber trifft's
uns Frauen selbst , so empfinden wir diese Kampfesart bitter
als Unwahrheit , um so bitterer , als wir selbst doch nicht durch
äußere Machtmittel , sondern nur durch das sittliche Recht , die
ideale Wahrheit unsrer Forderungen siegen können . Irrtum
und Selbsttäuschung ist nun die Behauptung : man ver-
schlösse uns Bildungsberechtigungen und bestimmte Berufe aus
Sorge für unser Wohl , für unser weibliches Glück . Wäre
das Wahrheit , dann sähe die Welt anders aus . Dieser Vor-
wand ist darum so fadenscheinig , weil die Sorge um unsere
Ueberlastung oder um die Gefahr der Unweiblichkeit stets
vollkommen zusammenfällt mit der Konkurrenzgefahr . Wohl
muß man sich als Vater , Bruder , Onkel und Freund ent-
schließen , selbständige Berufe für die unverheiratete Frau zu
schaffen , und je enger die Beziehungen sind , um so günstiger
möchte man im Einzelfall den weiblichen Erwerb ausstatten .
Die unversorgten Töchter und Schwestern drücken schwer und
sind unbequem . Aber doch beweist sowohl die Wahl der zu-
lässigen Frauenberufe wie die Art der Berufsvorbildungsmög-
lichkeiten deutlich die hinter allem Spezialinteresse lauernde
Konkurrenzstellung . Denn die Frauenberufe werden nicht —
trotz aller Scheinphrasen — sorgfältig , ritterlich ausgesucht für
das schwächere , im Lebenskampf hilflosere und ungewöhntere
Weib , nach dem entsprechenden Inhalt , den sie dem Frauen-
leben geben könnten , nach der Anpassung an ihre natürlichen
Anlagen ; sondern ihre Billigung untersteht ganz andern Ge-
sichtspunkten . Man fragt praktisch : welche Berufe kann der
Mann am besten ohne Schaden entbehren ? Der Schneider
erklärt darum den Beruf der Schneiderin , der Arzt den der
Aerztin — während der Hebammenberuf für weiblich zulässig
erklärt wird — der Lehrer den Beruf der Lehrerin für un-
weiblich und für die Frauen selbst verhängnisvoll ! Trotzdem
wird sorgfältig darüber gewacht , daß den selbstverständlich
geringeren Rechten und einem geringern Lohn der Frauen
doch die ganz gleichen Pflichten entsprechen , die der Männer-
beruf fordert . O , es kommen im Konkurrenzkampf nicht viel
hohe und edle Regungen zu Tage , daß Gott erbarm ! Die
zweite Frage , scheinbar aus Sorge für die weiblichen Kräfte ,
lautet : welche Berufe erfordern die kürzeste , billigste und ein-
fachste Vorbereitung für das schwächere Geschlecht ? Folge : im
Beruf können diese Frauen die Konkurrenz mit dem Manne nicht
mit Erfolg aufnehmen , denn sie sind nicht so tüchtig vorbe-
reitet , wie er . Und es entwickelt sich das Streben bei der
nachgebenden , im Kampf ängstlichen Frau , möglichst ohne
gründliche Vorbereitung zu einem Beruf zu kommen . Der
Ernst der Forderung gründlicher Berufsausbildung kommt vielen
Frauen nicht zum Bewußtsein . Daher so viel untüchtige Stützen ,
Hausdamen , Gesellschafterinnen und Erzieherinnen ; daher
wenden sich die Mädchen Berufen zu , die wenig Vorbereitung
erfordern , aber auch dem weiblichen Wesen wenig Befriedi-
gung gewähren . Eine Menge unbedachter oder gar nach Ent-
täuschung freudloser Mädchen strömen skrupellos in die herz-
losesten mechanischsten aller Berufe aus diesen Gewohnheits-
gründen ein . Sie werden nach kurzer , notdürftigster Vorbe-
reitung Buchhalterinnen , Telegraphistinnen , Schalterbeamtinnen
und wie diese ärmsten aller -innen alle heißen . Zunächst
freuen sich die Mädchen an dem geringen Verdienst , der ihnen
ungeahnte Fülle scheint und sie vor drängender Not schützen
wird . Bald aber kommt die öde , tötende Gleichmäßigkeit
dieser Berufe zum Bewußtsein , die trotzdem stärkste Nerven-
spannung fordern , dann dringt die Nervosität an sie heran mit
allen ihren Gefahren für Leib und Seele ; die Versuchungen
winken in der schrecklichen Unausgefülltheit der innern Be-
dürfnisse , und wie manche taucht unter in dem Beruf , dessen
tanzendes , leichtes Verdienst keine Konkurrenz ist für
Männerarbeit . „ Wer unter euch ohne Sünde ist , der werfe
den ersten Stein auf sie ! “ An die Aufrichtigkeit der öffent-
lichen Sorge um Weiblichkeit und um wahrhaft weibliche
Frauenberufe können wir erst glauben , wenn man wirklich
nach dem Lebensinhalt der Berufe für die Frau
entscheidet , und wenn man sie vollwertig dafür aus-
zurüsten sucht . Bis jetzt ist die Hauptsorge nicht , den hilf-
losen Frauen zu helfen , auch nicht , die Frauenkraft zum Wohl
des Ganzen in Dienst zu stellen , sondern nur , die Frauen
möglichst wenig unbequem für die Gesellschaft und den Männer-
beruf unterzubringen .
Die Gesellschaft ! Da zeigt sich uns ein zweites Konkur-
renzinteresse für den Kampf gegen eine gründliche geistige
Bildung der Frau . Es gilt , das Philistertum der Frau
oder das pflichtlose Blumenleben der innerlich unselbständigen
Dame zu schützen , die ihre Scheinherrschaft bedroht sieht
durch die neuen Bildungsforderungen . Darum kämpfen diese
beiden minderwertigen Frauentypen auch erbittert Seite an
Seite mit dem männlichen Gegner gegen jede Vertiefung der
Frauenbildung ; denn allerdings , ihre Art Weiblichkeit ist schwer
bedroht . Sie rufen den „ galanten “ Mann an ihre Seite , und man
kann oft genug hören , daß mit der Unselbständigkeit der
Frau auch die Höflichkeitspflichten des Mannes gegen die
Frau verschwinden sollten . Ein glänzender Beweis , daß all-
zuviele unsrer gesellschaftlichen Formen ein Deckmantel der
Lüge sind , und daß die gesteigerten Höflichkeitsformen im
Verkehr der Geschlechter , die sich nicht genug tun können in
„ gnädig “ und „ Gnädigste “ , in Handküssen und Ritterdiensten ,
nicht ein Ausdruck der gesunden Achtung vor dem Weibe sind ,
sondern ein üppiges Spiel des Starken mit der Schwachen ,
eine Luxusblüte , dem Balzen des Auerhahns an Wert ver-
gleichbar . Ernste Frauen von sicherm Wertgefühl werden
solche hohle trügerische Formen gern vermissen , wenn ihnen
dafür die wahre Achtung des sittlich reifen Mannes bleibt .
Wie mag es nur kommen , daß es dem Mann so ganz
unendlich schwer fällt , klar denkend sein Verhältnis zum
Weibe zu fassen ? Immer wird ihn da in stärkster Weise sein
triebmäßiges Fühlen bestimmen , und der ruhige Intellekt
wird ihn im Stiche lassen . Keine auf Gleichheit beruhende
Konkurrenz wird so erregt und zornig bekämpft als die Kon-
kurrenz der Frau ; keine Fehler werden so milde lächelnd ver-
ziehen als die weiblichen Fehler , die dem männlichen Wesen
entgegenkommen ; keine weiblichen Fehler werden so schonungs-
los verdammt als die weiblichen Fehler , die den Trieben des
Mannes entgegenstehen . Es ist das unwiderleglichste Zeugnis
für das Ergänzungsbedürfnis der Geschlechter , noch erkennbar
in dieser Entartung , daß der Mann nicht nur mit solcher
Leidenschaft den Kampf gegen die Ungleichung der Frauenart
an männliche Lebensformen bekämpft , sondern oft die koket-
testen , oberflächlichsten Frauenkapricen oder das ödeste Frauen-
philistertum der sog. guten Hausfrau leichter und lieber er-
trägt als ebenbürtige ernste Frauenbildung .
2. Damit kommen wir zum zweiten Grund der Feind-
schaft gegen vollwertige Frauenbildung , zu der Furcht vor An-
gleichung ihres Wesens an Männerart . Zum Teil beruht sie
auf der oben besprochenen einseitigen Entwickelung der höhe-
ren Bildung zum Berechtigungsmittel , zum Teil auf einer fal-
schen Auffassung der Gefahr . Besteht der erste Grund in ei-
nem egoistischen Kraftübergriff des Mannes in die Menschen-
rechte der Frau , der sittlich überwunden werden muß , so
ist der zweite dadurch noch verhängnisvoller , daß er in der
höchsten Sittlichkeit unsrer besten und feinsinnigsten
Freunde seine Wurzeln hat . Die ritterlichsten Männer , die
beglücktesten Gatten , die dankbarsten Söhne meinen , sie müßten
sich unsrer für uns und die Welt verhängnisvollen Lust nach
den Früchten vom Baum der Erkenntnis entgegenstellen . Alles
Schöne , alles Beglückende , alle Reinheit und aller Friede ist
dem reinen Mann mit der Frau verknüpft . Was gab seiner
frommen Mutter solche Macht über seine wilde , unruhige
Seele , daß er sich vor ihren einfachen , vielleicht sehr unlogi-
schen Worten beugte ? Nicht ihre Geistesbildung , sondern die
geheimnisvoll aus Naturtiefen strömende Mutterliebe . Was
reizt , lockt und entzückt ihn am Mädchen , an der Braut , an
der Frau und der Mutter seiner Kinder ? Was gibt diesen
Frauen den unwiderstehlichen Einfluß auf sein Leben ? Wo-
durch berühren ihn überhaupt Frauen so mächtig sympathisch
und füllen eine leere tote Stelle in seiner Seele befriedigend
aus ? Immer sind es Gaben , die ihm fehlen , immer ist es
das ihn Ergänzende , nie das Gleiche in der
Frau , das ihm in Haus , Leben und Seele quellendes Glück
bringt . Dieses Glück muß er verteidigen und vor Zerfall
bewahren . Jede Angleichung der Frauenseele an Männerart
muß dieses natürliche Glück zerstören für alle Teile ; sie würde
das Menschenleben ärmer machen und seiner stärksten An-
triebe zur Vervollkommnung berauben . Wie sehr geben wir
Frauen darin diesen Männern recht ! Selbst um den Preis
eines ewig ungestillten Durstes dürften wir keine Bildung er-
sehnen , die einer so verhängnisvollen Entwickelung Vorschub
leistete . Mit Schmerz und Entrüstung weisen die ernsten
Frauen , die die Sonderaufgabe des Weibes in der Mutter-
pflicht und der Ergänzung des Mannes für ihr
Geschlecht erkennen , die grauen Theorien von den mechanisch
gleichen Menschenrechten auf gleiche Bildung ab , die eine ein-
fach radikale Forderung des Sichdurchsetzenwollens enthalten ,
das böse „ Sichausleben “ , das das Glück der Menschen narrt ,
wie die schillernde Frucht : „ Ihr werdet sein wie Gott , und
wissen , was gut und böse ist ! “ auch die Menschheit stets nur
um ihr Glück betrügt , weil sie ein tiefes wahres Sehnen der
Menschenseele in eine Lügenfratze verkehrt .
Aber wie verhängnisvoll verkehrt , wie absolut falsch ist
nun die Folgerung , die man für die weibliche Bildung aus
dieser Grundforderung zieht ! Ich sagte schon , es fällt dem
klügsten , gebildetsten Manne schwer , die Frau intellektuell zu
verstehen . In seiner Seele spiegeln sich klar nur die Gegen-
sätzlichkeiten unsrer Natur , die sein Fühlen erregen und ihn
treiben , bei uns Ergänzung zu suchen . Dagegen wird er
schwer dem Gleichen in uns gerecht , von dem Schleiermacher
sagt : „ Ich glaube an die unendliche Menschheit , die da war ,
ehe sie die Hülle der Männlichkeit oder Weiblichkeit annahm “ .
Die Lebensgesetze , nach denen die weibliche Psyche sich in-
tellektuell entwickelt , faßt er offenbar außerordentlich
schwer , und er versteht den weiblichen Intellekt entweder als
etwas zu Gleiches oder als etwas zu Grundverschiedenes im
Verhältnis zum männlichen Geist . Zu grob faßt er die feinen ,
durchgehenden Unterschiede , und zu derbe glaubt er sie regu-
lieren zu können . Wie der weibliche Körper bis in jedes
Haar und jede Fingerspitze und jede Zelle hinein eben „ weib-
lich “ ist , und ist doch Fleisch von seinem Fleisch und Bein von
seinem Bein , so ist auch die Frauenseele bis in jedes Gefühl
und jeden Trieb und jede Vorstellung und jedes Einzelgesetz
der Bewußtseinsvorgänge hinein absolut anders abgetönt als
die männliche Psyche und doch so gleich in jedem Bedürfnis
und aller Entwickelungsfähigkeit . Sie ist geradezu einer Ver-
männlichung gar nicht fähig , höchstens einer Verkümmerung
zur Geschlechtslosigkeit , wenn ihre besten Kräfte brach liegen
gelassen werden . Wenn sich die bedenklichen Erscheinungen
des sog. Mannweibtums in einem Volk zu mehren beginnen ,
wie viele jetzt bei uns behaupten wollen , dann hängt das
nicht von männlichen Bildungselementen ab , sondern von einer
allgemeinen tiefbegründeten Volkskrankheit . Wo die Männer
weibisch werden und das Rückgrad verlieren , da werden die
Weiber männisch . Dem hohlen Strebertum , dem Stutzertum ,
dem kleinlichen Egoismus und zügellosen Genießen des männ-
lichen Geschlechts entspricht stets Emanzipationssucht , Unweib-
lichkeit , Unfähigkeit zur Hingabe an das Muttertum bei der
Frau . Wenn bei einem Geschlecht diese Verkümmerungserschei-
nungen stärker zu Tage treten als beim andern , so würde
das höchstens ein Beweis dafür sein , daß es momentan unter
noch naturwidrigere Lebensbedingungen gestellt ist als das
andre . Aber an Bildungseinflüssen liegt es nicht . So wenig
es männliche Speisen gibt , die den Körper männlich machen ,
wenn er nicht männlich war , oder weibliche Speisen , die zarte
Weiblichkeit produzieren , so wenig gibt es ein Wissen , oder
eine Kraftübung , die den Geist männlich macht , oder Erkennt-
nisse , die die angeborene Weiblichkeit gefährden könnten in
ihrem Wesen . Sondern soweit Wissen und Erkennen Wahr-
heit gibt , so weit gibt es Kraft , die innern Anlagen zu
entwickeln ; soweit Denken eine Kraftübung ist , wird es
der männlichen wie weiblichen Entwickelung zu gute
kommen ; soweit die geistige Entwickelung in falsche Bahnen
geleitet wird , soweit bietet sie die Verkümmerungsgefahr so-
wohl dem männlichen wie dem weiblichen Wesen . Es ist einer
der folgenschwersten psychologischen Irrtümer : Unterricht , Aus-
bildung , wissenschaftliche Arbeit für Schöpfer arbeit , statt
für Entwicklelungs arbeit zu erklären . Die Seele ein
unbeschriebenes Blatt , jedem Schreiber preisgegeben , ein leerer
Raum , den weisheittriefende Erzieher und Professoren mit
Vorstellungen füllen können , damit das Getriebe des geistigen
Lebens erwache : da steckt der Irrtum ! Wie kann man im
Jahrhundert der Naturwissenschaften , bei unbestrittener Aner-
kennung der biologischen Grundgesetze des Lebens , so heillos
rückständig an der Bildungsfrage herumdoktern , gleich den
alten Quacksalbern , die mit Pillen und Mixturen glaubten
den Krankheiten zu Leibe gehen und durch ihre Kunst im
Menschen beliebig Neues schaffen zu können !
Nimmermehr kann Frauenart durch „ männliche “ Bildung
gefährdet werden . Unsre Freunde sollten wirklich das Vor-
urteil überwinden , als hätten sie die Aufgabe , Weiblichkeit
im Mädchen zu züchten ; als müßten sie die Rationen des
Wissens so vorschneiden , daß ja nicht plötzlich Männlichkeit
des Wesens herauswüchse . Denn Männlichkeit ist doch nicht
eine höhere Potenz , ein weiterer Entwickelungsgrad der Weib-
lichkeit , sondern ein in der Grundanlage verschiedener Gegen-
satz , der sich jedenfalls vor der Zeit entscheidet und heraus-
bildet , in der die Schulmeister mit ihren ABCbüchern an
das junge Wesen herankönnen . Darum ist es eine lächerlich
veraltete Anschauung , deren gröblicher Irrtum schon durch
die Elemente naturwissenschaftlicher Erkenntnisse aufgedeckt
wird , Wissenschaft und Entwickelung des Intellekts für dem
männlichen Wesen naturentsprechend , Halbbildung und geistige
Unklarheit für die Atmosphäre wahrer Weiblichkeit zu er-
klären . Der Verwechselung von Art- mit Gradunterschieden
bei der Auffassung der psychischen Geschlechtseigentümlichkeiten
haben wir es zu danken , daß man niemals , außer in den
technischen , also mehr körperlichen Unterrichtsfächern , den Mäd-
chen einen andern Unterricht zu geben wußte als den
Knaben , trotz aller Theorie über weibliche
Eigentümlichkeiten . In Stoffen , wie in Lehr- und
Erziehungsmethoden mußten wir durch dick und dünn die Irr-
fahrten der Knabenbildung mitmachen , nur war beides , Stoff
und Methoden , quantitativ und qualitativ geringer und ober-
flächlicher und krauser . Nicht eine lebendige Beziehung
zwischen den Lebensinteressen des Mädchens und dem verwäs-
serten Bildungsbrei wußte man in dem Mädchenunterricht
recht zu schaffen , und das hängt mit noch anderem eng zu-
sammen . Denn noch eine andre Konsequenz zog man nicht für
die Mädchenbildung . Obwohl man weiß , daß die Familie
nicht für die Bildung ihrer Töchter sorgen kann , erklärte man
Mädchenbildung für Privatsache und überließ sie dem Zufall
der Privatindustrie , dem Unternehmertum von mehr oder we-
niger qualifizierten Frauen und Männern , die , hätten sie sich
auch eine noch so sorgfältige Berufsvorbildung erworben , ab-
solut abhängig sind von den jeweiligen Launen ihres Publi-
kums und allen Irrtümern einer bunten , vorurteilsvollen , von
egoistischen Interessen durchsetzten Gesellschaft . Wo aber die
Oeffentlichkeit einmal schläfrig die Augen aufschlug und sich
um Mädchenbildung kümmerte , da hätte sie konsequenter
Weise , wenn der Mädchennatur alle männliche Art und Bil-
dung so verhängnisvoll sein sollte , doch vor allem Frauen
heranbilden müssen zu bewußten Erzieherinnen und Bild-
nerinnen ihres Geschlechts . Nichts davon . soweit Mädchen-
bildung öffentliche Angelegenheit , Sache von Staat und Kom-
munen wurde , soweit wurde sie auch Männersache , denn
Männer haben die Verwaltung allen Wissens unter den Hän-
den ! Noch heute gilt es für ein gefährliches Experiment ,
eine Frau vollwertig an der geistigen Bildung ihres Geschlechts
teilnehmen zu lassen . Dann beginnt man plötzlich eine Min-
derwertigkeit der Mädchenbildung zu fürchten , die man sonst
mit allen Mitteln zu Ehren der Weiblichkeit anstrebt .
Allerdings , anders steht die Sache , wenn die höhere wis-
senschaftliche Bildung zur Berechtigungs- und Berufsvorbil-
dung herabgesunken ist . Ist es so weit , daß man nicht die
Glieder des Volkes zu Persönlichkeiten , sondern die Bürger
des Staats zu möglichst brauchbaren Beamten der verschiede-
nen Ressorts heranzüchten will , und gibt dieser praktische Grund-
satz , daß nicht der Staat für das Volk , sondern das Volk für
den Staat gemodelt werde müsse , der höhern Bildung einen
andern , von den idealen Zielen allseitiger Persönlichkeitsbil-
dung abgelenkten Charakter , so haben unsre Freunde doch
recht , wenn sie diese höhere Bildung für verderblich für
unsre Weiblichkeit erklären . Eine Bildung , die Wissen an-
häuft , statt lebendige Kraft des Wollens und Könnens zu ent-
wickeln ; die für Berechtigungen zustutzt , statt die Seele zu
weiten ; die zu gelehrtem Fachmenschentum , statt zu geistiger
Freiheit führt ; die nicht bildet , sondern dressiert ; die zu Un-
natur , statt zu Veredelung und Vertiefung der Natur führt :
eine solche Bildung können wir Frauen nicht brauchen . Die
würde unsre besten weiblichen Kräfte vernichten . So ist des
Pudels Kern , daß eine einseitig intellektuelle Bildung , die die
Seele trocken läßt und den Willen nicht keimen und quellen
macht , das Weib noch viel mehr von seiner Art ablocken kann
in die Irre eines einseitigen , also verkümmerten Fachinteres-
senkreises und widerlicher geistiger Eitelkeit als den Mann ,
und daß diese Abirrung von der natürlichen Entwickelung
beim Weibe viel verhängnisvoller wirkt . Mit aller Kraft
muß das weibliche Geschlecht geschützt werden vor einem trocke-
nen , formalen Intellektualismus und einem öden Fachphi-
listertum , die auch so viele Männerseelen arm machen . Darum
fällt ja selbst das bischen Wissen , das den Mädchen in ihren
Schulen frei gegeben wurde , im Leben so bald wieder tot von
ihnen ab , denn es sind Rudimente einer einseitig intellektuellen
Berechtigungsbildung , auf die praktischen Interessen der
Männerwelt zugeschnitten . Daneben quellen und versickern
ungebraucht die frischen Kräfte der Mädchen , deren Seelen
nach höhern Erkenntnissen , stärkerer Betätigung verlangen ,
bis sie , durch die fremden , unassimilierbaren Bildungsformen
zerrieben , an den Hunger gewöhnt , vom Nichtstun geschwächt ,
sich einrichten in ihrer kleinlichen , unklaren , lediglich von lo-
dernden Gefühlen und undisziplinierten Trieben beherrschten
Welt . Dann sind sie geknetet und zugerichtet , gefügige , weil
bewußtlose Werkzeuge jeden Vorurteils und jeder Oberfläch-
lichkeit , Eitelkeit und ödesten Philistertums zu werden und
nur aufzumucken , wenn in diese ihre Triebwelt ein unge-
wohnter Lichtstrahl fällt , der die süße , freundliche Gewohnheit
des hindämmernden Daseins unterbricht .
Den Segen der steigenden höheren Bildung hat man ängst-
lich den Frauen vorenthalten ; von ihrem Fluch als höhere
Halbbildung kann uns niemand befreien . Stets hat uns der
Schatten höherer Kultur genarrt . Es ist nicht ihr Fehlen an
sich , das die Frau unglücklich macht und die Harmonie ihres
Wesens untergräbt . Es ist die Trennung der geistigen Welt
des Mannes von unsrer geistigen Welt , die wir mehr und
mehr als unser Elend und als ein Verhängnis für die Gesell-
schaft empfinden . Diese Spaltung der geistigen Welten , deren
Harmonie die erste Bedingung einer gesunden Kultur ist , liegt
nicht in unsrer weiblichen Natur begründet , sondern ist eine
bewußte Herrschertat des Mannes ; aber sie ist eine Zersetzungs-
erscheinung , ein unorganisches Moment in dem organischen Zu-
sammenhang eines Kulturvolkes .
Die Frauen der alten Deutschen lebten in einer geisti-
gen Welt mit ihren Männern , ein Wissen , ein Wollen , ein
Glauben einte sie . Unsern einfachern Großmüttern schadete
ebenfalls der Mangel an geistiger Bildung wenig , denn für
ihre Kräfte hatten sie gesunde Betätigung in ihrer häuslichen
und wirtschaftlichen Welt , und ihre Lebensinteressen ergänzten
so glüklich in behaglichem Zusammenleben die Lebenssphäre
ihrer Männer , daß kein Riß und Spalt sichtbar zu werden
brauchte . Auch das Weib aus dem Volk kennt kaum eine
Frauenbildungsfrage , die sie von ihren Männern trennen
müßte ; Sie kennt nur die Not der Frauenarbeitsfrage und die
Brutalitäten des Lebens , die damit zusammenhängen . Aber
für die Frau der modernen Kultur ist die ganze Not zu Tage
getreten . Ihre Aufgabe in der geistigen Welt hatte man
nicht erkannt oder bewußt zurückgedrängt , weil ihre anders
gefärbte Art zu denken dem Manne unbequem , fremdartig
und für die ruhige Klarheit seiner formalen Systeme störend
war . Man hat ihr geistiges Leben auf einer Stufe gelassen ,
auf der es aus Mangel an Betätigung verkümmern oder ab-
wuchern mußte und hinter dem des Mannes zurückblieb . Jetzt
bleibt die Frau geistig unselbständig am Boden haften , der
Mann schwingt sich erkennend und denkend auf ; die geistige
Gemeinschaft , seit langem allzulose , zerreißt , und es können
die belebenden Kräfte nicht befruchtend und ausgleichend her-
über und hinüber strömen . Der Mann mit seiner intellektu-
ellen Geschlossenheit findet von sich aus nicht mehr die bele-
bende Gefühlswärme ; das Weib mit seiner lohenden und
sprudelnden Gefühlskraft findet nicht die nötige intellektuelle
Klärung , daß in beiden ein gemeinsamer lebendiger Wille zum
sittlichen Leben mit Ewigkeitsgehalt erwachsen könnte . Denn
die männliche , wie die weibliche Psyche sind zwar vollwertig
ausgestaltet mit Entwickelungsfähigkeiten . Aber sie sind gegen-
sätzlich abgetönt , so daß beim Manne das vorwärtsdrängende
Erkennen , beim Weibe das tiefe , fühlende Umfassen den
Grundton der Seele zu bilden pflegt . Den tiefsten Lebensge-
setzen der organischen Natur entsprechend , die immer in Kon-
trasten und durch Polarisation wirkt , ist natürlich bei den
höchst organisierten Geschöpfen , den Menschen , diese Polarisa-
tion , dieses gegenseitige Ergänzungsbedürfnis bis in die fein-
sten Fibern des Wesens hinein am höchsten entwickelt . Nur
wenn das den Geschlechtern angeborene natürliche Verhältnis
der Ergänzungsfähigkeit und der gegenseitigen belebenden
Einwirkung weiter entwickelt und auf allen Kulturstufen in
Harmonie erhalten wird , ist eine gesunde Menschheitskultur
möglich . Das ist versäumt , immer mehr , bis es endlich ins
Bewußtsein treten mußte . Daran krankt , wenn das
Versäumte nicht bald nachgeholt wird , unsre deutsche Kultur
immer unheilbarer und würde daran zu Grunde gehen müssen ,
wenn von keiner Seite Hilfe kommt . Das Bedürfnis unsres
Volkes ist dabei ein doppeltes :
Die männliche Geisteskultur muß aus der intellek-
tuellen Trockenheit erlöst und mit lebendig strömenden Ge-
fühlswerten und kraftvollem Wollen erfüllt werden . Sie
muß zurückgerissen werden aus dem dünnen Aether des ab-
strakten Gelehrtentums einerseits , der dumpfen Streberschwüle
der Berechtigungen andrerseits in die gesunde , frühlingwe-
hende Luft einer lebendigen Persönlichkeitsbildung von har-
monischem Wert . Das ist nur möglich , wenn aus der geistigen
Welt der gesunden Frau belebende , warme Erquickung hin-
überströmt .
Die weibliche Geisteskultur muß aus der Halbheit und
ziellosen Unklarheit erlöst und durch intellektuelle Schulung
zu reinen Formen und zielbewußter Kraft gehoben werden .
Das reiche Gefühlsleben und die Triebe der Hingabe müssen
geläutert werden durch geistige Zucht zu klarer Selbstbehaup-
tung der reifen Persönlichkeit , reif für den Dienst an andern .
Das beste Mittel dazu ist Freigabe der höchsten Bildungs-
mittel und die freiwillige Hilfe des Mannes , der aus seiner
geistigen Welt die Klarheit seiner Denkformen und die prä-
zise Schärfe seiner intellektuellen Kraft herüberleuchten läßt .
So könnten beide geistige Welten sich wieder innig durch-
dringen , und eine schönere , gesundere Kultur würde den kommen-
den Geschlechtern blühen .
Das Ziel
Was bedeutet die Frauenbewegung ? Sie bedeutet , daß
wir Frauen uns des Irrtums bewußt geworden sind , der
unsre Erziehung , unsre Bildung leitete , als ob man unsre be-
glückenden Naturanlagen dadurch rein und unverwirrt und
kräftig halten könne , daß man sie nicht der geistigen Zucht
unterwerfe , durch die die männlichen Anlagen sich zu bewußter
Kraft entfalten sollen . Und sie bedeutet die Forderung , daß
für unsre Bildung das Maß in uns und nicht im Manne
gesucht werde , daß man die Entwickelung unsrer Anlagen für
die Aufgaben des Lebens bestimme aus uns selbst , aus un-
serem Wesen , und nicht nach den bequemen Wünschen einer
eitlen Gesellschaft . Warum fordern wir das ? Nicht nur für
uns — denn wir sind nicht um unsertwillen auf der Welt —
sondern für unsre Männer , für unsre Söhne , für unser Volk ,
dem unsre vollentfalteten Frauenkräfte hoch nötig sind , wenn
es die Gefahren der Unmäßigkeit , der Unsittlichkeit , der Gott-
entfremdung und des Umsturzes überwinden soll , die wie böse
Dünste aufsteigen aus einer Gesellschaft , der die Harmonie
verloren ging . Wodurch haben wir endlich den Irrtum er-
kannt , dem unsre besten Kräfte zum Opfer fallen ? Durch die
steigende Berufsnot der Frau . Denn das Ideal von Frauen-
bildung , das man so künstlich zurechtgezimmert hatte , weil
es für die übrige Kulturentwickelung zunächst das bequemste
war , das hielt nur so lange notdürftig stand , als man sich
weismachen konnte , es finde auch wirklich jede Frau den be-
glückenden natürlichen Beruf , dem ihre Instinkte entgegen
treiben , ohne daß sie theoretisch und geistig vorgebildet sei .
Daß da gesunde Frauennaturen oft reiche Kräfte entfalten
können , wurde ein behaglicher Scheinbeweis . Jeder Mann ,
der dies holde Frauenwunder in seinem Leben und seinem
Hause erlebte , wurde zum begeisterten Apostel der Lehre , daß
man an der Frauennatur durch bewußte geistige Bildung nur
verderben könne . Und es war so poetisch , wenn das junge
knospende Mädchen in der träumenden , gefühlsseligen Warte-
stimmung nicht gestört wurde , bis der Mann kam , der in das
unfertige Traumleben den realen Inhalt brachte , und das
Mädchen in jeder Beziehung aus der hilflosen Unschuld des
Nichtwissens erlöste zu einem plötzlich reichen Leben voller
ernster Pflichten . Die Männer neigen stets zu der Auffassung ,
sie könnten und sollten unserm Frauenleben den Inhalt geben .
Den können sie uns nimmermehr geben , den gibt uns nur
die Natur und unser eignes Herz . Der gesunde Pflichten-
inhalt aber kommt für ein Frauenleben nicht als selige Traum-
erfüllung , sondern er fordert weibliche Kraftentwickelung in
sorgfältiger Schulung und Erziehung , um zu einem Willen
zu kommen , zum Willen zur Pflicht , zum Willen zur Diszip-
lin unsrer Gefühle , zum Willen zur Selbsthingabe . Darum
ist es irreführendes Locken von gesunder Entwickelung ab ,
wenn der Mann singt im Frühling des Lebens :
„ Mir ist , als ob ich die Hände
Auf 's Haupt dir legen sollt ,
Betend , daß Gott dich erhalte
so rein , so schön , so hold ! “
Das Frauenglück , wie es die Dichter singen , ist ein Glück ,
das von jedem Wind des Zufalls der hilflosen Frau ausein-
andergeweht werden kann . Auch das reale Glück der Haus-
frau und Mutter , die schlecht und recht ihren Lebensberuf in
der Ehe und Familie findet und somit den geeignetsten Boden
hat , den Reichtum ihrer natürlichen Gaben zu entfalten , wird
schwer bedroht durch das falsche Bildungsideal , das für das
weibliche Geschlecht herrscht . Sie fühlt doch bitter die Kluft ,
die sie von der Gedankenwelt ihres Mannes und ihrer Söhne
trennt . Der Gegensatz zwischen diesen weiten Interessenkreisen
und dem engen geistigen Horizont der Frau kann lange halb
vertuscht , halb überbrückt werden . Um das enge und unsicher
gebundene Wissen der Frau strömt von Natur eine breite
glänzende Flut tiefer Gefühle , die ihre Seele weitet und ihr
eine intuitive Bildung vornehmer Art , eine sog . Herzens-
bildung , geben kann . Die ist dem Mann so erquicklich
in ihrer andersartigen Schönheit , daß er gern seine Gedanken
da eintaucht und doppelt schön , weil warm und belebt , wieder
nimmt . Auch wird die Kluft wohl öfter durch die große Be-
weglichkeit der Frauenseele verdeckt , die eine besondere Fähig-
keit besitzt , sich in Anpassung an den Gedankeninhalt von
Mann , Söhnen , Brüdern , wenn sie in hochgebildetem Kreis
von früh auf Fühlung hatte mit der geistigen Welt der
Männer , eine autodidaktische Bildung anzuleben . Aber doch
werden die meisten glücklichen Frauen heute sagen , daß sie die
Mängel ihrer geistigen Bildung oft und bitter störend em-
pfinden als Tochter , Schwester , Frau und Mutter , daß sie
diese Minderwertigkeit beklagen und bei ihren Töchtern an-
ders wünschten . Noch schlimmer ist es freilich , wenn sie als
Frau und Mutter die geistige Kluft nicht empfinden und
nicht zu überbrücken versuchen und meinen , ihr Frauenleben
und ihr Familienleben sei ausgefüllt durch ehrliche , treue Liebe
einerseits und Sorge für das körperliche Behagen andrerseits .
Die Frauenliebe kann nicht immer im Königsgewand gehen ,
wie sie sich zu den Hoch- und Glückszeiten des Lebens und in
Not und Tod zeigt . Aber warum muß sie für gewöhnlich so
im Bettlerkleid verhüllt im Staube waten , daß es scheint , als
lebe der Mensch vom Brot allein ? Diese Philisterverhältnisse
des Lebens mit ihrer dumpfen Genügsamkeit und zufriedenen
Fachsimpelei sind das böseste Zeichen für den Wert unsrer Bil-
dung . Die Frauen aus diesen genügsamen Philisterschichten ,
die sind die bittersten Feindinnen der weiblichen Entwickelung .
Die sitzen selbstzufrieden auf dem Sopha des Lebens , stolz auf
den Titel ihres Mannes und alle hohlen äußerlichen Vorteile
ihrer Ehe ; die drücken vor allen wahren Nöten des Lebens
mit weiblichem Anstand die Augen zu und fassen die Röcke
zusammen ; deren kleine enge Welt wird von dem jämmer-
lichsten Nichts umflossen ; die fürchten nichts so sehr als eine
Veränderung des ewig Gestrigen , das sie so nett und behag-
lich auf seinen Wogen zur zufriedenen Kaffeetasse trägt . Ihre
Seele ist verkalkt und der Erweiterung nicht fähig , so gut sie
auch vielleicht Klopps zu bereiten und ein Dienstmädchen anzu-
lernen verstehen . Unsre Zeit aber bedarf lebendiger Frauen-
kraft , die sich in den täglich sich weiter wandelnden Verhält-
nissen des modernen Lebens einzusetzen versteht , die den Ge-
fahren unsrer Zeit bewußte und sicher gewollte Hemmungen
entgegenzustemmen weiß , wie sie nur ein Wille , den hohe ,
durch klare Erkenntnisse geläuterte Gefühle hervortreiben ,
zu schaffen vermag . An dem sanften Feuer ihrer Seelen soll
die kalte Welt sich erwärmen , statt durch Frauenirrlichtelieren
in die Sümpfe des Lebens gelockt zu werden .
Wir verlangen für die Frau eine alle Kräfte
auslösende , allseitige höchste Persönlichkeitsbil-
dung .
Nur dann versteht sie ihre Zeit , wird der Welt ein Halt
und zieht den Mann mit hinauf in die reine Höhe des idealen
Strebens . Die Frau soll gerade , weil sie nicht für sich selbst
da ist , sondern für Mitwelt und Nachwelt , eine durchaus
selbständige Persönlichkeit werden , die frei über sich
zu verfügen versteht . Die Zeiten des Despotismus sind auf
allen Gebieten vorüber ; es weht keine Luft mehr , in der
irgend welche Hörigkeit gedeiht . Die Freiheit ist nicht nur
das Ideal , sondern sie ist das praktische Bedürfnis aller Indivi-
duen geworden . Daran ist , so sehr manche es angstvoll be-
klagen mögen , nichts mehr zu ändern ; man kann der natür-
lichen Entwickelung nicht in die Speichen fallen , will man nicht
einfach durch die Räder zermalmt werden . Dieses allgemeine
Erwachen zum Freiheitsbedürfnis ist auch nicht das Schlimme .
Das Schlimme ist nur , daß es so wenig Persönlich-
keiten gibt , die die Freiheit kraftvoll zu brau-
chen verstehen . Daher dieses Rufen nach Persönlichkeiten ,
wie nie vorher . Und da setzt die Mission der Frau ein . Wird
sie eine Freie , eine bewußte Persönlichkeit , dann wird sie die
kommenden Geschlechter lehren , ihre Freiheit gesund brauchen .
Es kann viel Kraft von den Frauen in einem Volk ausströmen .
Es ist kein Zufall , daß den Zerrbildern der Freiheit gegen-
über , mit denen sich das Volksleben füllt , immer bedrohlicher
die alten Mächte versuchen , mit der Peitsche der Autorität da-
zwischen zu fahren und falsche Freiheit durch Unfrei-
heit zu bekämpfen . Blinde Blindenleiter ! den Willen brechen ,
statt den Willen stärken zu wollen , daß er , tapfrer wie der
Löwensieger und der Weltbezwinger , sich selbst bekämpfen
lernt ! Woher kommt dieser gröbliche Mißgriff ? Weil in der
Oeffentlichkeit die Stimme der Frau nicht mitklingt , nicht
mitzuklingen gelehrt ist .
„ Denn die Männer sind heftig und denken nur immer das Letzte ,
Und das Hindernis treibt die Heftigen leicht von dem Wege ;
Aber ein Weib ist geschickt , auf Mittel zu denken , und wandelt
Auch den Umweg , geschickt zu ihrem Zweck zu gelangen . “
In dem Augenblick , wo wahrhaft gebildete Frauen-
persönlichkeiten ihre Kräfte vollwertig mit einsetzen dürfen ,
da wird unser Volk , gerade unser hoch veranlagtes deutsches
Volk , das edelste Wunder der Entwickelung erleben . Denn
es bedarf dieser Frauenkräfte , die es selbst brach liegen ge-
lassen hat , um zu werden , was es werden soll . Es bedarf
des Zuströmens der eminent weiblichen Gaben , um im Willen
wieder zu Blüte und in dem sittlichen Tun zu Frucht zu
kommen . Es sind die Kräfte der Hingabe , die ihm fehlen , be-
sonders der religiösen , quellenden Erneuerung formelhaft ge-
wordener Sitten . Wenn die Frauen energisch erzogen werden ,
sich als „ Herren aller Dinge und niemand untertan “ zu be-
greifen , so werden sie den Segen zurückgeben und die Men-
schen lehren , sich als „ Knechte aller Dinge und jedermann
untertan “ zu fühlen , und das ist doch die einzige Art , wie die
Volksfreiheit gesunden kann .
Man könnte argwöhnend mir den Vorwurf machen , als
wolle ich die Geisteskräfte des Christentums durch die Frauen-
naturkräfte ersetzen . Nichts liegt mir ferner . Meine heiligste
Ueberzeugung ist , daß im tiefsten Grunde eben die Lebens-
kräfte wahren Herzenschristentums unsre einzige Rettung sind ,
und daß unser Volk nur soweit gesund werden kann , als ihm
eine religiöse Erneuerung gelingt . Soweit Menschen die
herbeiführen können , hat sich aber Gott stets unverbrauch-
ter frischer Kräfte als Werkzeuge bedient . Zur Zeit unsrer
großen Reformation lag die Sehnsucht nach Befreiung und re-
ligiöser Erneuerung ebenso in der Luft wie heute . Aber trotz
aller Ansätze konnten keine Vertreter der alten Bildung , keine
Humanisten , kein Erasmus von Rotterdam , kein Reuchlin und
Melanchthon und ebenso wenig ein Hutten helfen . Sondern
aus dem frischen Volksboden , mit dem ganzen Erdgeruch des
Bauerntums noch ungebrochen umgeben , mußte ein Luther
aufsteigen mit seiner ursprünglichen Kraft . Ihm wurde das
erlösende Wort gegeben . Heute liegt die Sache etwas anders ,
wie niemals eine Entwickelung ganz genau so wiederkehrt .
Mußten damals erst einmal die Ketten falscher Glaubens-
formeln und Lehren gesprengt werden , so bedarf es heute
einer Erneuerung der inneren , trocken gewordenen Glaubens-
möglichkeit ; es bedarf nicht des Säens , sondern des stillen
Quellens und Keimens . Ist das nicht Frauenaufgabe ? Eine
Reformation des religiösen Lebens muß und wird diesmal ,
wenn sie überhaupt kommt , von der deutschen Frau aus-
gehen . Wenn ihr Wesen , ihr Fühlen , die Triebkräfte der
weiblichen Seelen soweit zum Bewußtsein erzogen sind ,
daß sie feste Richtung nehmen können , dann , und nicht eher ,
wird der neue Frühling ins Land kommen , und der Pfingst-
geist kann seinen Einzug halten . Aber man sollte hingehen
und es den Fischen predigen , es wills ja niemand glauben !
Hier die trockene Männerkultur , so voller edler Keime , die
jeden Tag die Köpfe heben könnten ! — und dort versickert
die Frauenkraft im seichten Gesellschaftssumpf und macht die
Sitten sauer !
Der Weg .
Es bleibt mir noch übrig nach all dem Kritisieren und
Wünschen nun positive praktische Forderungen zu erheben
an die Instanzen , die an einer Reformation der Frauen-
bildung arbeiten müssen . Auch diese praktischen Forderungen
können nimmermehr vom Manne gefunden werden ; die edelsten
Freunde können sie nicht aufstellen , sondern nur mit voller ,
erkennender Zustimmung acceptieren . Ausgehen müssen sie
von der Frau selbst . Aber es ist nur äußerlich die Stimme
einer einzelnen Frau hie und da , die sie laut werden läßt .
Herangereift und geboren sind die Forderungen in der Ge-
samtfrauenseele , die aufzuwachen und sich auf sich selbst zu be-
sinnen beginnt . Das ist das Neue heute , ein Schritt in der
Frauenentwickelung weiter , der nie wieder zurückgetan wer-
den wird , daß über allen einzelnen Frauenseelen , die sich halb
träumend aus der Masse losringen , auch schon eine Gesamt-
seele des Frauengeschlechts sich regt , die jede Einzelnot und
jedes Einzelbedürfnis als gemeinsames Interesse empfindet in
bewußtem Zusammenschluß . Alle wirtschaftlichen , alle sittlichen ,
alle Herzensnöte , alle Verderbnis und jeder Fortschritt einzelner
Frauen und Frauenkreise dringen in das allgemeine Bewußt-
sein der Frauenwelt ein und werden von dieser Zentralstelle
aus erfaßt , um wieder in den einzelnen Frauenseelen einen
energischen Willen zur Tat zu erzeugen . So wacht in den
verschiedensten Frauenkreisen unter den verschiedensten Lebens-
interessen ein einheitliches Bewußtsein von Frauenbedürfnissen
auf , dem ich hier Worte zu geben versuche . Die Instanzen ,
an die wir uns fordernd , bittend , mahnend zu wenden haben ,
denen wir uns erforderlichenfalls geschlossen entgegenstemmen ,
bis sie in den Weg einbiegen , der zu unsern Zielen des Le-
bens führt , sind Schule , Familie , Gesellschaft . Von der
Schule muß eine Erneuerung der Ziele und Wege der Frauen-
bildung ausgehen . Ihre Aufgabe ist der erziehende Unter-
richt , also vor allem eine Erweiterung und Ordnung des Vor-
stellungskreises , durch den das innere Leben des heranwachsen-
den Mädchens reguliert , geklärt , gefestigt wird . Der Schule
sind zwei Aufgaben zuzuweisen , die sie bisher sehr ungenügend
gelöst hat . Sie hat gründliches Wissen , Erkennen und Ver-
arbeiten zu lehren , und sie hat alle geistige Arbeit an reale
Interessen des weiblichen Lebens zu knüpfen . Damit
die Schule frei wird von den Nebenrücksichten auf die Launen
und Vorurteile der heutigen Gesellschaft , der nur im behag-
lichen Gestrigen wohl ist , und auf die Schwächen der einzelnen
Familie , deren Fehler sie ja eventuell zum Heil des Kindes
ausgleichen und verbessern soll , muß sie , wie die Knabenbil-
dung , den Zufälligkeiten der Privatindustrie entrissen werden .
Sie ist eine Pflicht des Volkes , das ein Interesse hat
an der Entwickelung seiner zukünftigen Mütter . Kein Geld
ist besser angelegt und trägt kostbarere Zinsen für eine Na-
tion , als die Summe , die sie für die innere Kräftigung an-
legt . Was helfen die Millionen , die in die Flotte gesteckt
werden zum Beherrschen der fernen Meere , in die Armee zur
Rüstung gegen unsere Feinde , in den Handel zum wirtschaft-
lichen Kampf gegen andere Völker ; die ungezählten Summen ,
die unser Volk an seine Grenzen wirft , um da das Deutsch-
tum nicht einschrumpfen zu lassen — wenn heimliche Wunden
brennen und die Volksseele krankt und matt und welk ist ?
Es kommt mir vor , als ob man ein kränkelndes Kind fort-
während mit kräftigem Essen stopfen wollte : es wird höchstens
aufgetrieben , aber nicht kraftvoll werden durch alle die äußeren
Mittel . Da möchte man das Wort Christi mahnend rufen :
„ Reinige zum ersten das Inwendige am Becher und Schüssel ,
daß auch das Auswendige rein werde ! “ Reichliche , selbstän-
dige , gute öffentliche Mädchenschulen , in deren vollwertige Aus-
rüstung nach jeder Richtung hin Staat und Kommunen
ihren Stolz setzen , die würden der erste Beweis sein , daß unser
Volk das Wort : „ Ehret die Frauen “ nicht bloß als Phrase
braucht . Sodann , damit diese Schulen endlich wirklich über
die Seelen der Mädchen Gewalt bekommen , müssen Frauen
in diesen Anstalten ausschlaggebenden Einfluß haben ; nur sie
können voll wissen , was den Mädchen zu ihrer Entwickelung
nötig ist , und können die Mittel ganz ungehindert anwenden .
Daß der Mann mit den ihm besonders eigentümlichen geistigen
Gaben an diesen Anstalten neben der Frau wirke , besonders
auf den Stufen , auf denen die männliche Art besonders kräftig
ergänzend eingreifen kann , wollen wir ihm nicht nur aus hi-
storischen Gründen als Berechtigung zugestehen . Wir sehen
darin vielmehr einen besonderen Vorzug der Mädchenschule ,
die der Gefahr des einseitig eingeschlechtigen Einflusses , den
die Knabenschulen aufweisen , dadurch auf das Glücklichste ent-
geht . Daß diese lehrenden Frauen wissenschaftlich vollwertig
ausgebildet werden mit derselben Gründlichkeit wie ihre männ-
lichen Kollegen , bei aller Anpassung an die Eigentümlichkeit
ihres weiblichen Wesens , ist selbstverständlich . Das liegt ein-
fach schon in der Forderung der vollen Persönlichkeitsbildung :
die Frau auszurüsten zum Geisteskampf um die sittliche
Entwickelung ihres Volkes und zum wirtschaftlichen
Kampf für ihre äußere Unabhängigkeit . Die öffentliche Schule
unter vollwertigem Fraueneinfluß muß dann vor allem Bil-
dungs stoffe finden , die in dem natürlichen weiblichen mensch-
lichen Interessenkreis liegen und an den Lebenskreis des Mäd-
chens lebendig anknüpfen , und Methoden , die der Färbung
der weiblichen Psyche entsprechen , nicht ihre Schwächen pflegend ,
sondern ihre Ansätze zur Kraft entwickelnd . Sie muß ein Vor-
bild für die Knabenschulen werden in der Ueberwindung der
toten Anhäufung von Wissen und der abstrakten rein for-
malen Kletterkünste . Ueberall Leben , kraftvoll treibendes
Leben ! Ueberall Anknüpfung an Natur und Erfahrung , strenge
logisch-formale Schulung ohne Kreuz- und Quersprünge , ohne
falsches Erbarmen , das sich mit Anregungen und Verpuffen
in Gefühlsduselei bei der „ zarten Weiblichkeit “ begnügt . Die
Milde in der Mädchenschule am unrechten Ort heißt oft
„ Ritterlichkeit “ und ist doch nur Verachtung der „ weiblichen
Minderwertigkeit “ und — Bequemlichkeit . Alle Fehler der
Knabenschule rächen sich in der Mädchenschule mit doppeltem
Fluch darum muß durchaus jeder Schimmer von Gelehr-
tentum mit doppelter Sorgfalt in der Mädchenschule ver-
mieden werden . Eine auf Anschauung gegründete Kraft-
bildung sei die Losung . Dann werden die besonderen
Fehler der heutigen Mädchenbildung , das Aufgehen in halt-
losen persönlichen Schwärmereien und in zerstreuter Ober-
flächlichkeit , vergehen wie der Schnee in den Schluchten vor
dem Maiwind . Dagegen wird dem innersten weiblichen Wesen
entsprechend ein sehr entschlossener Wille zur Pflicht sich
natürlich entwickeln , denn das Wesen des Mädchens ist von
Natur auf Hingabe gerichtet , wie sich das ja noch in seinen
jämmerlichsten Schwächen und den tiefsten Verirrungen zeigt .
Soll die Schule diese große Aufgabe nicht ohne allzu un-
überwindliche Schwierigkeiten lösen , so muß neben die Schule
das Haus treten . Hand in Hand müssen sie arbeiten lernen ,
nicht als Rivalen sich beeifersüchteln , wodurch die einheitliche
Charakterentwickelung des Mädchens auf das schwerste ge-
fährdet wird . Die Schule soll einsichtige , vollwertige Mütter
erziehen , aber kraftvolle Mütter müssen auch die Arbeit der
Schule unterstützen . Es handelt sich da um die Preisfrage : was
muß eher da sein , das Huhn oder das Ei ? Damit das Kind
zur guten Mutter erzogen werden kann , muß eine gute Mutter
Hand anlegen . Es gilt einen der zahllosen Kompromisse des
Lebens schließen und die Forderung an das Haus jedenfalls
so stellen , als ob die Mutter in dem neuen Geist einsichtiger
Energie schon herangebildet und der Vater für das Ziel selb-
ständiger Frauenbildung voll gewonnen sei . Gott sei Dank ,
viele Eltern haben dieses Geistes von Natur schon einen Hauch
verspürt , sonst wären wir ja hoffnungslos für unser Geschlecht .
Die ersten 6 Lebensjahre des Kindes gehören dem Hause ;
welch kostbare Zeit , um in dem weichen , biegsamen Kinder-
wesen die ersten Richtlinien für die Charakterentwickelung zu
legen . Nicht „ nur ein Mädchen “ , sondern „ sogar ein Mäd-
chen “ , eine zukünftige deutsche Frau , vielleicht eine zukünftige
Mutter ist dem Hause anvertraut . Welche Verantwortung !
Die Tochter soll für die Familie weder ein Spielball noch ein
Sorgenstein sein und soll auch nicht so behandelt werden . Der
Körper soll ohne Prüderie und den widerwärtigen , zierlichen
Mädchenanstand gekräftigt werden . Klar und offen soll dem
Mädchen wie dem Knaben die Welt als seine Welt liegen ,
in der es einst seinen Platz auszufüllen hat , wo es auch sei .
Die Erziehung soll das Mädchen wie den Knaben von sich
selbst ab in die reiche Umwelt führen ; es ist für das Mädchen
noch notwendiger wie für den Knaben , daß Eitelkeiten , Em-
pfindlichkeiten — und wie die Formen des kleinlichen Egoismus
alle heißen — mit Sorgfalt abgewehrt werden . Denn von Na-
tur liegen die zukünftigen Lebensaufgaben , die aus der eigenen
kleinen Welt herauslocken , vor dem Knaben klarer und ge-
schlossener , vor dem Mädchen nebelhafter . Darum muß das
Mädchen mit doppeltem sittlichem Ernst dazu erzogen werden ,
eine jede Aufgabe mit Wärme zu ergreifen und mit sittlichem
Ernst und festem Willen durchzuführen : das wird erleichtert
durch die weibliche Naturanlage , auch das Kleine und Kleinste
mit Liebe und lebendigem Interesse zu ergreifen und mit per-
sönlichem Eifer festzuhalten ; obwohl das Wesen des Mädchens
andrerseits bei seiner lebhafteren Gefühlsfärbung etwas Be-
weglicheres , Unruhigeres hat als das geschlossenere Wesen des
Knaben . Es gilt , das leicht erregbare Interesse des Mädchens
von der eigenen Person abzuziehen und seinen Blick für das
umgebende Leben zu schärfen . Sobald das Mädchen an etwas
Interesse hat , übernimmt es von selbst dafür Pflichten , daran
muß die Erziehung anknüpfen . Am Spielzeug , den Blumen ,
den Tieren , am Familienkreis und auch an jeder einem
Kinde verständlichen Not , an Bildern und Büchern haben die
Eltern reichstes Erziehungsmaterial zu klarer Anschauung ,
scharfer Beobachtung , geordnetem Ueberlegen , sittlichem Wollen
und frischer Tat für ihr Kind . Was wird nicht allein durch
die „ Mädchenlektüre “ gesündigt ! Man vergleiche sie mit der
immerhin auch noch ärmlichen Knabenliteratur , da hat man
das ganze Elend der Inhaltslosigkeit , unter der viele Eltern ,
oft in den besten Absichten , das Leben des kleinen Weibchens
halten . Ach und es hat doch ein Herz so voll lebendiger
Keime zum Guten , Schönen , Wahren ! Es ist ein Elend .
Sobald als möglich gebe man dem Kinde Pflichten , leichte ,
denn es ist noch in der Spielzeit des Lebens , aber Pflichten ,
die ernsthaft ohne Abweichung erfüllt werden müssen . Denn
sie sind die leichten Hemmungen auf der glatten sonnigen Bahn
der Kinderzeit , die man dem natürlichen Egoismus des Kindes
einschiebt , damit der Charakter daran in die Höhe rankt .
Diese Pflichten müssen wahre Pflichten sein und keine zu-
rechtgestutzten Albernheiten , und sie müssen irgendwie eine Ar-
beit für andre bedeuten . Die zweite Art Pflichten , deren
treuste Erfüllung von den Eltern stets mit Eifer gefördert
werden muß , sind die Schulpflichten . Die können die Eltern ,
vor allem die Mutter im täglichen kleinen Leben , vorbereiten
durch Erziehung der Sinne zum scharfen Auffassen , durch An-
leitung zum ruhigen , geordneten Ueberlegen , das sich nicht
eher beruhigt , bis es zu einem Resultat gekommen ist , und
durch Uebung körperlicher Geschicklichkeit , besonders der Hände
und — des Sprechens . Würde das Sprechen der Kinder —
wahrhaftig nicht philisterhaft — zu Hause schon früh mehr
in bewußte Zucht genommen , man könnte dem Kinde seinen
Weg durch die Schule sehr erleichtern . Denn die wunderliche
Erscheinung , daß die größten Plappermäulchen in der Schule
so bald stumm werden , liegt doch nicht allein an den unglück-
lichen abstrakten Formen der Schulsprache , sondern ebenso an
dem Mangel jeder Zucht in dem Ausdruck der kindlichen Vor-
stellungen und Gedanken . Der Wert geistiger Güter und ein
lebendiges Bewußtsein von der Kraft und Macht , die Wissen
und geistige Arbeit verleihen , geht dem Kinde eigentlich nur
zu Hause auf . Wenigstens ist die Schularbeit ein Schlag ins
Wasser , wenn das Haus widertönt von der Anschauung : „ Mäd-
chen brauchen nichts zu wissen “ . Die mächtigsten Erziehungs-
mittel des Hauses sind Gewöhnung und Beispiel . Wenn die
kräftig hinleiten auf absolute Wahrhaftigkeit , auf Liebe und
auf natürliche , nicht erkünstelte Reinheit , dann errichtet das
Haus ein kräftiges Bollwerk im Herzen des Kindes gegen die
Versuchungen der Außenwelt , die an seinen werdenden Cha-
rakter herankriechen . Reinheit ! Eine besonders große Sorge
der Mütter , denen der Kopf heiß wird an der Frage : schütze
ich die Reinheit meines Kindes besser durch „ kindliche “ Un-
wissenheit und befehle es Gott , oder hebe ich sie auf die be-
wußte Willensstufe durch eine ernste Aufklärung aus Mutter-
mund , aus dem alles rein ist ? Ich will da nur an eines er-
innern in dem vollen Bewußtsein , daß eines sich nicht für alle
schickt . Es steckt in der Theorie von der unberührten kind-
lichen Unschuld immer ein Stück mütterliche Feigheit . Denn
wenn sie den Kopf nicht in den Sand steckt , weiß jede Mutter ,
daß in bestimmtem Alter ihr Kind recht wohl über manche
Dinge bescheid weiß , die sie ihm nicht gesagt hat . Woher ?
Ist ihr das nicht eine furchtbare Sorge ? Darum : „ Was Gott
gereinigt hat ( die heiligen Vorgänge des Lebens ) , das mache
du nicht unrein . “ Wo eine Mutter alle Verhältnisse des
Lebens in den Dienst ihrer ernsten Erziehung spannt und ihr
Kind keinen Schritt allein tun läßt , ohne daß es nicht weiß :
die liebende Sorge meiner Mutter geht mit mir ! da wird
der Erfolg der Erziehung , so verschieden auch die Anlagen der
Kinder sind , sicherlich ein kraftvoller sein . Das Mädchen wird
dann zu der Freiheit der Persönlichkeit kommen , die sich
hingeben will nach dem großen Wort : „ Gehorsam fühlt ' ich
meine Seele am schönsten frei . “ Nicht das adelt das Leben ,
besonders das Frauenleben , was man tut , sondern eigentlich
nur das , wie man es tut . Der Triumph der Persönlichkeit
liegt in dem Wort :
„ Der eine fragt : was kommt danach ?
Der andre fragt nur : ist es recht ?
Und also unterscheidet sich
Der Freie von dem Knecht . “
Denn von der dritten Instanz , der Gesellschaft , drohen
der weiblichen Persönlichkeitsbildung noch viele Gefahren , und
Haus und Schule , soweit sie nicht selbst schon unter den ver-
derblichen Einflüssen gesellschaftlicher Vorurteile gestanden haben ,
mögen wohl zusehen , daß sie das Mädchen für diesen Lebens-
kampf ausrüsten . An das junge Gemüt , das man auf die
Pflicht zu richten suchte , dringt die Gesellschaft heran mit
klingenden Eitelkeiten , ja mit niederschmetternder Grau-
samkeit . Unsre Mädchen sind zu anderm auf der Welt , als in
der Gesellschaft zu glänzen und sich einen Mann zu erobern ! Den
Kampf mit den minderwertigen Anschauungen der öffentlichen
Allgemeinheit können wir unsern Kindern nicht ersparen . Sitten
der Gesellschaft werden nicht vom Bewußtsein der einzelnen
kraftvollen Individuen , sondern vom Instinkt der Herden-
menschen reguliert . Diese Instinkte aber weisen alle nicht auf
den sittlichen Kampf in der eignen Brust und auf das Ringen
nach den Idealen , sondern auf den brutalen Kampf ums Da-
sein hin , mag es durch noch so glatte Formen und lächelnde
Mienen überdrapiert sein . Für das Mädchen bedeutet die Ge-
sellschaft , was man so nennt , nicht viel mehr als den Heirats-
markt , neuerdings für das im selbständigen Beruf stehende
Mädchen die Konkurrenzrennbahn . Ihren innersten Lebens-
bedingungen nach widerstrebt die Gesellschaft jeder Reforma-
tion ihres instinktiven Wohlbehagens durch ernste Zucht , die
den Willen der Einzelnen unruhig machen und von der Lebens-
jagd ab in die Stille führen könnte . Sie ist der Schauplatz
der Geld- und Konnexionsheiraten , der doppelten Moral , der
Versorgungsehen und des ganzen Plaisiers , das für diesen Zweck
heranklingeln soll . In der Gesellschaft will und soll der gei-
stige Philister sich behaglich , der sittlich Minderwertige , sich
sicher , der Streber sich gefördert fühlen . Und die Hauptkosten
trägt das weibliche Geschlecht , das um so enger an die ver-
logene , unselbständige Sitte gebunden wird , je weniger man
ihm Einfluß auf die Sittlichkeit einräumen möchte . Bei
der Gesellschaft ist erst eine gewisse Reformation zu erwarten ,
wenn Schule und Familie auf weit höhere Stufen gestiegen
sind . Doch da jede Gesamtheit aus einzelnen besteht , so ist
zunächst die einzige Hilfe , wenn die Familien sich , besonders
für ihre Kinder , zu Kreisen zusammenschließen , in denen das
Bessere obenaufkommt und eine reine , edle Geselligkeit ge-
pflegt wird . Solche Kreise mit ausgeprägtem Charakter , über
denen ernste Vateraugen wachen und liebend sorgende Mutter-
herzen horchen , haben den allergrößten Einfluß auf die jungen ,
dem öffentlichen Leben entgegenwachsenden Menschen und ihre
Charakterbildung . Je vielseitiger darin die Berührungen
sind , um so mannigfaltiger sind die Eindrücke , aus denen sich
Lebenserfahrungen und Willensimpulse zusammensetzen . Der
Charakter , der sich im Strom der Welt bilden muß , lernt hier
erst schwimmen unter schattigen Ufern auf spielenden Wellen ,
und von allen Seiten nickt doch das Bekannte , Gewohnte , das
an die Kinderzeit mahnt . Je mehr solche Familienringe feste
neue gesellschaftliche Sitten prägen , um so mehr bedrängen sie
das gefährlich Minderwertige in der Oeffentlichkeit . Und Ringe
sind's , die eine Kette bilden , die sich zuletzt um alles Niedrige ,
Unreine , Minderwertige in der Gesellschaft legen und ihm die
Lebensluft abschnüren soll . Je mehr in der Oeffentlichkeit das
niedere Triebleben bewußt bekämpft wird , um so sicherer wer-
den unsere Mädchen und Frauen in ihr blühen und gedeihen .
Dann wäre die höchste Stufe der Bildung freier Frauenper-
sönlichkeiten gesichert , denn es würde ungeschmälert das Ge-
setz regieren : erlaubt ist , was sich ziemt . Dann würde
die Harmonie zwischen den Geschlechtern gefestigt , ein freies ,
schönes geistiges Zusammenleben ermöglicht , und nicht mehr
mit Sorge , sondern mit Freude könnten wir an die Wahrheit
denken :
„ Von der deutschen Mutter hängt Deutschlands Zukunft ab “ .