können, wurde ein behaglicher Scheinbeweis. Jeder Mann, der dies holde Frauenwunder in seinem Leben und seinem Hause erlebte, wurde zum begeisterten Apostel der Lehre, daß man an der Frauennatur durch bewußte geistige Bildung nur verderben könne. Und es war so poetisch, wenn das junge knospende Mädchen in der träumenden, gefühlsseligen Warte- stimmung nicht gestört wurde, bis der Mann kam, der in das unfertige Traumleben den realen Inhalt brachte, und das Mädchen in jeder Beziehung aus der hilflosen Unschuld des Nichtwissens erlöste zu einem plötzlich reichen Leben voller ernster Pflichten. Die Männer neigen stets zu der Auffassung, sie könnten und sollten unserm Frauenleben den Inhalt geben. Den können sie uns nimmermehr geben, den gibt uns nur die Natur und unser eignes Herz. Der gesunde Pflichten- inhalt aber kommt für ein Frauenleben nicht als selige Traum- erfüllung, sondern er fordert weibliche Kraftentwickelung in sorgfältiger Schulung und Erziehung, um zu einem Willen zu kommen, zum Willen zur Pflicht, zum Willen zur Diszip- lin unsrer Gefühle, zum Willen zur Selbsthingabe. Darum ist es irreführendes Locken von gesunder Entwickelung ab, wenn der Mann singt im Frühling des Lebens:
"Mir ist, als ob ich die HändeAuf's Haupt dir legen sollt,Betend, daß Gott dich erhalteso rein, so schön, so hold!"
Das Frauenglück, wie es die Dichter singen, ist ein Glück, das von jedem Wind des Zufalls der hilflosen Frau ausein- andergeweht werden kann. Auch das reale Glück der Haus- frau und Mutter, die schlecht und recht ihren Lebensberuf in der Ehe und Familie findet und somit den geeignetsten Boden hat, den Reichtum ihrer natürlichen Gaben zu entfalten, wird schwer bedroht durch das falsche Bildungsideal, das für das weibliche Geschlecht herrscht. Sie fühlt doch bitter die Kluft, die sie von der Gedankenwelt ihres Mannes und ihrer Söhne
können, wurde ein behaglicher Scheinbeweis. Jeder Mann, der dies holde Frauenwunder in seinem Leben und seinem Hause erlebte, wurde zum begeisterten Apostel der Lehre, daß man an der Frauennatur durch bewußte geistige Bildung nur verderben könne. Und es war so poetisch, wenn das junge knospende Mädchen in der träumenden, gefühlsseligen Warte- stimmung nicht gestört wurde, bis der Mann kam, der in das unfertige Traumleben den realen Inhalt brachte, und das Mädchen in jeder Beziehung aus der hilflosen Unschuld des Nichtwissens erlöste zu einem plötzlich reichen Leben voller ernster Pflichten. Die Männer neigen stets zu der Auffassung, sie könnten und sollten unserm Frauenleben den Inhalt geben. Den können sie uns nimmermehr geben, den gibt uns nur die Natur und unser eignes Herz. Der gesunde Pflichten- inhalt aber kommt für ein Frauenleben nicht als selige Traum- erfüllung, sondern er fordert weibliche Kraftentwickelung in sorgfältiger Schulung und Erziehung, um zu einem Willen zu kommen, zum Willen zur Pflicht, zum Willen zur Diszip- lin unsrer Gefühle, zum Willen zur Selbsthingabe. Darum ist es irreführendes Locken von gesunder Entwickelung ab, wenn der Mann singt im Frühling des Lebens:
„Mir ist, als ob ich die HändeAuf's Haupt dir legen sollt,Betend, daß Gott dich erhalteso rein, so schön, so hold!“
Das Frauenglück, wie es die Dichter singen, ist ein Glück, das von jedem Wind des Zufalls der hilflosen Frau ausein- andergeweht werden kann. Auch das reale Glück der Haus- frau und Mutter, die schlecht und recht ihren Lebensberuf in der Ehe und Familie findet und somit den geeignetsten Boden hat, den Reichtum ihrer natürlichen Gaben zu entfalten, wird schwer bedroht durch das falsche Bildungsideal, das für das weibliche Geschlecht herrscht. Sie fühlt doch bitter die Kluft, die sie von der Gedankenwelt ihres Mannes und ihrer Söhne
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0032"n="29"/><hirendition="#g">können</hi>, wurde ein behaglicher Scheinbeweis. Jeder Mann,<lb/>
der dies holde Frauenwunder in seinem Leben und seinem<lb/>
Hause erlebte, wurde zum begeisterten Apostel der Lehre, daß<lb/>
man an der Frauennatur durch bewußte geistige Bildung nur<lb/>
verderben könne. Und es war so poetisch, wenn das junge<lb/>
knospende Mädchen in der träumenden, gefühlsseligen Warte-<lb/>
stimmung nicht gestört wurde, bis der Mann kam, der in das<lb/>
unfertige Traumleben den realen Inhalt brachte, und das<lb/>
Mädchen in jeder Beziehung aus der hilflosen Unschuld des<lb/>
Nichtwissens erlöste zu einem plötzlich reichen Leben voller<lb/>
ernster Pflichten. Die Männer neigen stets zu der Auffassung,<lb/><hirendition="#g">sie</hi> könnten und sollten unserm Frauenleben den Inhalt geben.<lb/>
Den können <hirendition="#g">sie</hi> uns nimmermehr geben, den gibt uns nur<lb/>
die <hirendition="#g">Natur und unser eignes Herz</hi>. Der gesunde Pflichten-<lb/>
inhalt aber kommt für ein Frauenleben nicht als selige Traum-<lb/>
erfüllung, sondern er fordert weibliche Kraftentwickelung in<lb/>
sorgfältiger Schulung und Erziehung, um zu einem <hirendition="#g">Willen</hi><lb/>
zu kommen, zum Willen zur Pflicht, zum Willen zur Diszip-<lb/>
lin unsrer Gefühle, zum Willen zur Selbsthingabe. Darum<lb/>
ist es irreführendes Locken von gesunder Entwickelung ab,<lb/>
wenn der Mann singt im Frühling des Lebens:</p><lb/><quote><hirendition="#c"><lg><l>„Mir ist, als ob ich die Hände</l><l>Auf's Haupt dir legen sollt,</l><l>Betend, daß Gott dich erhalte</l><l>so rein, so schön, so hold!“</l></lg></hi></quote><lb/><p>Das Frauenglück, wie es die Dichter singen, ist ein Glück,<lb/>
das von jedem Wind des Zufalls der hilflosen Frau ausein-<lb/>
andergeweht werden kann. Auch das reale Glück der Haus-<lb/>
frau und Mutter, die schlecht und recht ihren Lebensberuf in<lb/>
der Ehe und Familie findet und somit den geeignetsten Boden<lb/>
hat, den Reichtum ihrer natürlichen Gaben zu entfalten, wird<lb/>
schwer bedroht durch das falsche Bildungsideal, das für das<lb/>
weibliche Geschlecht herrscht. Sie fühlt doch bitter die Kluft,<lb/>
die sie von der Gedankenwelt ihres Mannes und ihrer Söhne<lb/></p></div></body></text></TEI>
[29/0032]
können, wurde ein behaglicher Scheinbeweis. Jeder Mann,
der dies holde Frauenwunder in seinem Leben und seinem
Hause erlebte, wurde zum begeisterten Apostel der Lehre, daß
man an der Frauennatur durch bewußte geistige Bildung nur
verderben könne. Und es war so poetisch, wenn das junge
knospende Mädchen in der träumenden, gefühlsseligen Warte-
stimmung nicht gestört wurde, bis der Mann kam, der in das
unfertige Traumleben den realen Inhalt brachte, und das
Mädchen in jeder Beziehung aus der hilflosen Unschuld des
Nichtwissens erlöste zu einem plötzlich reichen Leben voller
ernster Pflichten. Die Männer neigen stets zu der Auffassung,
sie könnten und sollten unserm Frauenleben den Inhalt geben.
Den können sie uns nimmermehr geben, den gibt uns nur
die Natur und unser eignes Herz. Der gesunde Pflichten-
inhalt aber kommt für ein Frauenleben nicht als selige Traum-
erfüllung, sondern er fordert weibliche Kraftentwickelung in
sorgfältiger Schulung und Erziehung, um zu einem Willen
zu kommen, zum Willen zur Pflicht, zum Willen zur Diszip-
lin unsrer Gefühle, zum Willen zur Selbsthingabe. Darum
ist es irreführendes Locken von gesunder Entwickelung ab,
wenn der Mann singt im Frühling des Lebens:
„Mir ist, als ob ich die Hände Auf's Haupt dir legen sollt, Betend, daß Gott dich erhalte so rein, so schön, so hold!“
Das Frauenglück, wie es die Dichter singen, ist ein Glück,
das von jedem Wind des Zufalls der hilflosen Frau ausein-
andergeweht werden kann. Auch das reale Glück der Haus-
frau und Mutter, die schlecht und recht ihren Lebensberuf in
der Ehe und Familie findet und somit den geeignetsten Boden
hat, den Reichtum ihrer natürlichen Gaben zu entfalten, wird
schwer bedroht durch das falsche Bildungsideal, das für das
weibliche Geschlecht herrscht. Sie fühlt doch bitter die Kluft,
die sie von der Gedankenwelt ihres Mannes und ihrer Söhne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Weitere Informationen:
Verfahrung der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/32>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.