sich, das die Frau unglücklich macht und die Harmonie ihres Wesens untergräbt. Es ist die Trennung der geistigen Welt des Mannes von unsrer geistigen Welt, die wir mehr und mehr als unser Elend und als ein Verhängnis für die Gesell- schaft empfinden. Diese Spaltung der geistigen Welten, deren Harmonie die erste Bedingung einer gesunden Kultur ist, liegt nicht in unsrer weiblichen Natur begründet, sondern ist eine bewußte Herrschertat des Mannes; aber sie ist eine Zersetzungs- erscheinung, ein unorganisches Moment in dem organischen Zu- sammenhang eines Kulturvolkes.
Die Frauen der alten Deutschen lebten in einer geisti- gen Welt mit ihren Männern, ein Wissen, ein Wollen, ein Glauben einte sie. Unsern einfachern Großmüttern schadete ebenfalls der Mangel an geistiger Bildung wenig, denn für ihre Kräfte hatten sie gesunde Betätigung in ihrer häuslichen und wirtschaftlichen Welt, und ihre Lebensinteressen ergänzten so glüklich in behaglichem Zusammenleben die Lebenssphäre ihrer Männer, daß kein Riß und Spalt sichtbar zu werden brauchte. Auch das Weib aus dem Volk kennt kaum eine Frauenbildungsfrage, die sie von ihren Männern trennen müßte; Sie kennt nur die Not der Frauenarbeitsfrage und die Brutalitäten des Lebens, die damit zusammenhängen. Aber für die Frau der modernen Kultur ist die ganze Not zu Tage getreten. Ihre Aufgabe in der geistigen Welt hatte man nicht erkannt oder bewußt zurückgedrängt, weil ihre anders gefärbte Art zu denken dem Manne unbequem, fremdartig und für die ruhige Klarheit seiner formalen Systeme störend war. Man hat ihr geistiges Leben auf einer Stufe gelassen, auf der es aus Mangel an Betätigung verkümmern oder ab- wuchern mußte und hinter dem des Mannes zurückblieb. Jetzt bleibt die Frau geistig unselbständig am Boden haften, der Mann schwingt sich erkennend und denkend auf; die geistige Gemeinschaft, seit langem allzulose, zerreißt, und es können die belebenden Kräfte nicht befruchtend und ausgleichend her-
sich, das die Frau unglücklich macht und die Harmonie ihres Wesens untergräbt. Es ist die Trennung der geistigen Welt des Mannes von unsrer geistigen Welt, die wir mehr und mehr als unser Elend und als ein Verhängnis für die Gesell- schaft empfinden. Diese Spaltung der geistigen Welten, deren Harmonie die erste Bedingung einer gesunden Kultur ist, liegt nicht in unsrer weiblichen Natur begründet, sondern ist eine bewußte Herrschertat des Mannes; aber sie ist eine Zersetzungs- erscheinung, ein unorganisches Moment in dem organischen Zu- sammenhang eines Kulturvolkes.
Die Frauen der alten Deutschen lebten in einer geisti- gen Welt mit ihren Männern, ein Wissen, ein Wollen, ein Glauben einte sie. Unsern einfachern Großmüttern schadete ebenfalls der Mangel an geistiger Bildung wenig, denn für ihre Kräfte hatten sie gesunde Betätigung in ihrer häuslichen und wirtschaftlichen Welt, und ihre Lebensinteressen ergänzten so glüklich in behaglichem Zusammenleben die Lebenssphäre ihrer Männer, daß kein Riß und Spalt sichtbar zu werden brauchte. Auch das Weib aus dem Volk kennt kaum eine Frauenbildungsfrage, die sie von ihren Männern trennen müßte; Sie kennt nur die Not der Frauenarbeitsfrage und die Brutalitäten des Lebens, die damit zusammenhängen. Aber für die Frau der modernen Kultur ist die ganze Not zu Tage getreten. Ihre Aufgabe in der geistigen Welt hatte man nicht erkannt oder bewußt zurückgedrängt, weil ihre anders gefärbte Art zu denken dem Manne unbequem, fremdartig und für die ruhige Klarheit seiner formalen Systeme störend war. Man hat ihr geistiges Leben auf einer Stufe gelassen, auf der es aus Mangel an Betätigung verkümmern oder ab- wuchern mußte und hinter dem des Mannes zurückblieb. Jetzt bleibt die Frau geistig unselbständig am Boden haften, der Mann schwingt sich erkennend und denkend auf; die geistige Gemeinschaft, seit langem allzulose, zerreißt, und es können die belebenden Kräfte nicht befruchtend und ausgleichend her-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0028"n="25"/>
sich, das die Frau unglücklich macht und die Harmonie ihres<lb/>
Wesens untergräbt. Es ist die Trennung der geistigen Welt<lb/>
des Mannes von unsrer geistigen Welt, die wir mehr und<lb/>
mehr als unser Elend und als ein Verhängnis für die Gesell-<lb/>
schaft empfinden. Diese Spaltung der geistigen Welten, deren<lb/>
Harmonie die erste Bedingung einer gesunden Kultur ist, liegt<lb/>
nicht in unsrer weiblichen Natur begründet, sondern ist eine<lb/>
bewußte Herrschertat des Mannes; aber sie ist eine Zersetzungs-<lb/>
erscheinung, ein unorganisches Moment in dem organischen Zu-<lb/>
sammenhang eines Kulturvolkes.</p><lb/><p>Die Frauen der alten Deutschen lebten in <hirendition="#g">einer</hi> geisti-<lb/>
gen Welt mit ihren Männern, <hirendition="#g">ein</hi> Wissen, <hirendition="#g">ein</hi> Wollen, <hirendition="#g">ein</hi><lb/>
Glauben einte sie. Unsern einfachern Großmüttern schadete<lb/>
ebenfalls der Mangel an geistiger Bildung wenig, denn für<lb/>
ihre Kräfte hatten sie gesunde Betätigung in ihrer häuslichen<lb/>
und wirtschaftlichen Welt, und ihre Lebensinteressen ergänzten<lb/>
so glüklich in behaglichem Zusammenleben die Lebenssphäre<lb/>
ihrer Männer, daß kein Riß und Spalt sichtbar zu werden<lb/>
brauchte. Auch das Weib aus dem Volk kennt kaum eine<lb/>
Frauenbildungsfrage, die sie von ihren Männern trennen<lb/>
müßte; Sie kennt nur die Not der Frauenarbeitsfrage und die<lb/>
Brutalitäten des Lebens, die damit zusammenhängen. Aber<lb/>
für die Frau der modernen Kultur ist die ganze Not zu Tage<lb/>
getreten. Ihre Aufgabe in der geistigen Welt hatte man<lb/>
nicht erkannt oder bewußt zurückgedrängt, weil ihre anders<lb/>
gefärbte Art zu denken dem Manne unbequem, fremdartig<lb/>
und für die ruhige Klarheit seiner formalen Systeme störend<lb/>
war. Man hat ihr geistiges Leben auf einer Stufe gelassen,<lb/>
auf der es aus Mangel an Betätigung verkümmern oder ab-<lb/>
wuchern mußte und hinter dem des Mannes zurückblieb. Jetzt<lb/>
bleibt die Frau geistig unselbständig am Boden haften, der<lb/>
Mann schwingt sich erkennend und denkend auf; die geistige<lb/>
Gemeinschaft, seit langem allzulose, zerreißt, und es können<lb/>
die belebenden Kräfte nicht befruchtend und ausgleichend her-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0028]
sich, das die Frau unglücklich macht und die Harmonie ihres
Wesens untergräbt. Es ist die Trennung der geistigen Welt
des Mannes von unsrer geistigen Welt, die wir mehr und
mehr als unser Elend und als ein Verhängnis für die Gesell-
schaft empfinden. Diese Spaltung der geistigen Welten, deren
Harmonie die erste Bedingung einer gesunden Kultur ist, liegt
nicht in unsrer weiblichen Natur begründet, sondern ist eine
bewußte Herrschertat des Mannes; aber sie ist eine Zersetzungs-
erscheinung, ein unorganisches Moment in dem organischen Zu-
sammenhang eines Kulturvolkes.
Die Frauen der alten Deutschen lebten in einer geisti-
gen Welt mit ihren Männern, ein Wissen, ein Wollen, ein
Glauben einte sie. Unsern einfachern Großmüttern schadete
ebenfalls der Mangel an geistiger Bildung wenig, denn für
ihre Kräfte hatten sie gesunde Betätigung in ihrer häuslichen
und wirtschaftlichen Welt, und ihre Lebensinteressen ergänzten
so glüklich in behaglichem Zusammenleben die Lebenssphäre
ihrer Männer, daß kein Riß und Spalt sichtbar zu werden
brauchte. Auch das Weib aus dem Volk kennt kaum eine
Frauenbildungsfrage, die sie von ihren Männern trennen
müßte; Sie kennt nur die Not der Frauenarbeitsfrage und die
Brutalitäten des Lebens, die damit zusammenhängen. Aber
für die Frau der modernen Kultur ist die ganze Not zu Tage
getreten. Ihre Aufgabe in der geistigen Welt hatte man
nicht erkannt oder bewußt zurückgedrängt, weil ihre anders
gefärbte Art zu denken dem Manne unbequem, fremdartig
und für die ruhige Klarheit seiner formalen Systeme störend
war. Man hat ihr geistiges Leben auf einer Stufe gelassen,
auf der es aus Mangel an Betätigung verkümmern oder ab-
wuchern mußte und hinter dem des Mannes zurückblieb. Jetzt
bleibt die Frau geistig unselbständig am Boden haften, der
Mann schwingt sich erkennend und denkend auf; die geistige
Gemeinschaft, seit langem allzulose, zerreißt, und es können
die belebenden Kräfte nicht befruchtend und ausgleichend her-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate.
(2013-06-11T19:37:41Z)
Weitere Informationen:
Verfahrung der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/28>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.