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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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erklärt darum den Beruf der Schneiderin, der Arzt den der
Aerztin -- während der Hebammenberuf für weiblich zulässig
erklärt wird -- der Lehrer den Beruf der Lehrerin für un-
weiblich und für die Frauen selbst verhängnisvoll! Trotzdem
wird sorgfältig darüber gewacht, daß den selbstverständlich
geringeren Rechten und einem geringern Lohn der Frauen
doch die ganz gleichen Pflichten entsprechen, die der Männer-
beruf fordert. O, es kommen im Konkurrenzkampf nicht viel
hohe und edle Regungen zu Tage, daß Gott erbarm! Die
zweite Frage, scheinbar aus Sorge für die weiblichen Kräfte,
lautet: welche Berufe erfordern die kürzeste, billigste und ein-
fachste Vorbereitung für das schwächere Geschlecht? Folge: im
Beruf können diese Frauen die Konkurrenz mit dem Manne nicht
mit Erfolg aufnehmen, denn sie sind nicht so tüchtig vorbe-
reitet, wie er. Und es entwickelt sich das Streben bei der
nachgebenden, im Kampf ängstlichen Frau, möglichst ohne
gründliche Vorbereitung zu einem Beruf zu kommen. Der
Ernst der Forderung gründlicher Berufsausbildung kommt vielen
Frauen nicht zum Bewußtsein. Daher so viel untüchtige Stützen,
Hausdamen, Gesellschafterinnen und Erzieherinnen; daher
wenden sich die Mädchen Berufen zu, die wenig Vorbereitung
erfordern, aber auch dem weiblichen Wesen wenig Befriedi-
gung gewähren. Eine Menge unbedachter oder gar nach Ent-
täuschung freudloser Mädchen strömen skrupellos in die herz-
losesten mechanischsten aller Berufe aus diesen Gewohnheits-
gründen ein. Sie werden nach kurzer, notdürftigster Vorbe-
reitung Buchhalterinnen, Telegraphistinnen, Schalterbeamtinnen
und wie diese ärmsten aller -innen alle heißen. Zunächst
freuen sich die Mädchen an dem geringen Verdienst, der ihnen
ungeahnte Fülle scheint und sie vor drängender Not schützen
wird. Bald aber kommt die öde, tötende Gleichmäßigkeit
dieser Berufe zum Bewußtsein, die trotzdem stärkste Nerven-
spannung fordern, dann dringt die Nervosität an sie heran mit
allen ihren Gefahren für Leib und Seele; die Versuchungen

erklärt darum den Beruf der Schneiderin, der Arzt den der
Aerztin — während der Hebammenberuf für weiblich zulässig
erklärt wird — der Lehrer den Beruf der Lehrerin für un-
weiblich und für die Frauen selbst verhängnisvoll! Trotzdem
wird sorgfältig darüber gewacht, daß den selbstverständlich
geringeren Rechten und einem geringern Lohn der Frauen
doch die ganz gleichen Pflichten entsprechen, die der Männer-
beruf fordert. O, es kommen im Konkurrenzkampf nicht viel
hohe und edle Regungen zu Tage, daß Gott erbarm! Die
zweite Frage, scheinbar aus Sorge für die weiblichen Kräfte,
lautet: welche Berufe erfordern die kürzeste, billigste und ein-
fachste Vorbereitung für das schwächere Geschlecht? Folge: im
Beruf können diese Frauen die Konkurrenz mit dem Manne nicht
mit Erfolg aufnehmen, denn sie sind nicht so tüchtig vorbe-
reitet, wie er. Und es entwickelt sich das Streben bei der
nachgebenden, im Kampf ängstlichen Frau, möglichst ohne
gründliche Vorbereitung zu einem Beruf zu kommen. Der
Ernst der Forderung gründlicher Berufsausbildung kommt vielen
Frauen nicht zum Bewußtsein. Daher so viel untüchtige Stützen,
Hausdamen, Gesellschafterinnen und Erzieherinnen; daher
wenden sich die Mädchen Berufen zu, die wenig Vorbereitung
erfordern, aber auch dem weiblichen Wesen wenig Befriedi-
gung gewähren. Eine Menge unbedachter oder gar nach Ent-
täuschung freudloser Mädchen strömen skrupellos in die herz-
losesten mechanischsten aller Berufe aus diesen Gewohnheits-
gründen ein. Sie werden nach kurzer, notdürftigster Vorbe-
reitung Buchhalterinnen, Telegraphistinnen, Schalterbeamtinnen
und wie diese ärmsten aller -innen alle heißen. Zunächst
freuen sich die Mädchen an dem geringen Verdienst, der ihnen
ungeahnte Fülle scheint und sie vor drängender Not schützen
wird. Bald aber kommt die öde, tötende Gleichmäßigkeit
dieser Berufe zum Bewußtsein, die trotzdem stärkste Nerven-
spannung fordern, dann dringt die Nervosität an sie heran mit
allen ihren Gefahren für Leib und Seele; die Versuchungen

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[16/0019] erklärt darum den Beruf der Schneiderin, der Arzt den der Aerztin — während der Hebammenberuf für weiblich zulässig erklärt wird — der Lehrer den Beruf der Lehrerin für un- weiblich und für die Frauen selbst verhängnisvoll! Trotzdem wird sorgfältig darüber gewacht, daß den selbstverständlich geringeren Rechten und einem geringern Lohn der Frauen doch die ganz gleichen Pflichten entsprechen, die der Männer- beruf fordert. O, es kommen im Konkurrenzkampf nicht viel hohe und edle Regungen zu Tage, daß Gott erbarm! Die zweite Frage, scheinbar aus Sorge für die weiblichen Kräfte, lautet: welche Berufe erfordern die kürzeste, billigste und ein- fachste Vorbereitung für das schwächere Geschlecht? Folge: im Beruf können diese Frauen die Konkurrenz mit dem Manne nicht mit Erfolg aufnehmen, denn sie sind nicht so tüchtig vorbe- reitet, wie er. Und es entwickelt sich das Streben bei der nachgebenden, im Kampf ängstlichen Frau, möglichst ohne gründliche Vorbereitung zu einem Beruf zu kommen. Der Ernst der Forderung gründlicher Berufsausbildung kommt vielen Frauen nicht zum Bewußtsein. Daher so viel untüchtige Stützen, Hausdamen, Gesellschafterinnen und Erzieherinnen; daher wenden sich die Mädchen Berufen zu, die wenig Vorbereitung erfordern, aber auch dem weiblichen Wesen wenig Befriedi- gung gewähren. Eine Menge unbedachter oder gar nach Ent- täuschung freudloser Mädchen strömen skrupellos in die herz- losesten mechanischsten aller Berufe aus diesen Gewohnheits- gründen ein. Sie werden nach kurzer, notdürftigster Vorbe- reitung Buchhalterinnen, Telegraphistinnen, Schalterbeamtinnen und wie diese ärmsten aller -innen alle heißen. Zunächst freuen sich die Mädchen an dem geringen Verdienst, der ihnen ungeahnte Fülle scheint und sie vor drängender Not schützen wird. Bald aber kommt die öde, tötende Gleichmäßigkeit dieser Berufe zum Bewußtsein, die trotzdem stärkste Nerven- spannung fordern, dann dringt die Nervosität an sie heran mit allen ihren Gefahren für Leib und Seele; die Versuchungen

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/19>, abgerufen am 24.11.2024.