Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

Bild:
<< vorherige Seite

Geben wir es ruhig zu: nicht der Welt, sondern uns
sind diese Berufe nötig. Jch bin aber gewiß, daß wir sie
mit gutem Gewissen erstreben dürfen. Denn die Frau hat
von Natur Eigenschaften, die sie für einige dieser Berufe
besonders ausrüsten: ein weiches Herz, ein feines, intui-
tives Verständnis für die Not und das Wesen Anderer, eine
große innere Beweglichkeit und Fähigkeit der Hingabe.
Sie hat mit einem Wort den Jnstinkt der Mütterlichkeit,
der in der Welt soviel Wärme und Segen schafft. Nur
Magenfrage ist wohl keiner Frau die Berufsfrage. Wir
wollen uns nicht nur satt essen, wir wollen uns auch aus-
leben, d. h. wir wollen mit unseren Pfunden wuchern, so
sehr das möglich ist. Damit komme ich zu dem zweiten
Grund für die Forderung des Frauenstudiums.

Wir wollen möglichst tüchtig werden für den Lebenskreis,
in dem wir stehen, und für die große soziale Aufgabe der
Zeit, die an allen Ecken auf eifrige Hände wartet. Wir
suchen nicht nur die Stellung, wir suchen auch die
Arbeit.

Unter denen, die ihr Pfund im Schweißtuch vergruben,
und ein träges Tändelleben führten, waren in rasch steigen-
dem Prozentsatz die Frauen der "guten Gesellschaft" zu
finden. Oder wie wollen Sie das Leben so vieler unserer
"Damen" beurteilen, dem in der Schule schon das hoch-
mütige Stichwort: "Jch habe es ja nicht nötig!" ausgeprägt
war, das dann durch französische und englische Kränzchen,
durch Tanz-, Musik-, Spritz- und Gott weiß was für Dilet-
tantenkünste, durch Gesellschaftstreiben aller Art ausge-
füllt ward? Das, was das Leben vergänglich ziert, war
Lebensinhalt, ja Lebens zweck geworden. Suchen Sie die
Nervosität so vieler Mädchen und Frauen nicht in der Ar-
beitsfülle, sondern in der Leere einer vertändelten und
verträumten Jugendzeit, in der Unfähigkeit, dann als Frau
und Mutter den Ernst der Lebensaufgabe zu erfassen. Je
unnötiger im modernen Hause tüchtige Frauenarbeit wurde,
um so verderblicher lastete das Blumendasein der Dame
auf einer ernsten Frauenseele. Es fing uns an zu ekeln
vor diesem Nichts, und die Sehnsucht nach solider Arbeit
erwachte.


Geben wir es ruhig zu: nicht der Welt, sondern uns
sind diese Berufe nötig. Jch bin aber gewiß, daß wir sie
mit gutem Gewissen erstreben dürfen. Denn die Frau hat
von Natur Eigenschaften, die sie für einige dieser Berufe
besonders ausrüsten: ein weiches Herz, ein feines, intui-
tives Verständnis für die Not und das Wesen Anderer, eine
große innere Beweglichkeit und Fähigkeit der Hingabe.
Sie hat mit einem Wort den Jnstinkt der Mütterlichkeit,
der in der Welt soviel Wärme und Segen schafft. Nur
Magenfrage ist wohl keiner Frau die Berufsfrage. Wir
wollen uns nicht nur satt essen, wir wollen uns auch aus-
leben, d. h. wir wollen mit unseren Pfunden wuchern, so
sehr das möglich ist. Damit komme ich zu dem zweiten
Grund für die Forderung des Frauenstudiums.

Wir wollen möglichst tüchtig werden für den Lebenskreis,
in dem wir stehen, und für die große soziale Aufgabe der
Zeit, die an allen Ecken auf eifrige Hände wartet. Wir
suchen nicht nur die Stellung, wir suchen auch die
Arbeit.

Unter denen, die ihr Pfund im Schweißtuch vergruben,
und ein träges Tändelleben führten, waren in rasch steigen-
dem Prozentsatz die Frauen der „guten Gesellschaft“ zu
finden. Oder wie wollen Sie das Leben so vieler unserer
„Damen“ beurteilen, dem in der Schule schon das hoch-
mütige Stichwort: „Jch habe es ja nicht nötig!“ ausgeprägt
war, das dann durch französische und englische Kränzchen,
durch Tanz-, Musik-, Spritz- und Gott weiß was für Dilet-
tantenkünste, durch Gesellschaftstreiben aller Art ausge-
füllt ward? Das, was das Leben vergänglich ziert, war
Lebensinhalt, ja Lebens zweck geworden. Suchen Sie die
Nervosität so vieler Mädchen und Frauen nicht in der Ar-
beitsfülle, sondern in der Leere einer vertändelten und
verträumten Jugendzeit, in der Unfähigkeit, dann als Frau
und Mutter den Ernst der Lebensaufgabe zu erfassen. Je
unnötiger im modernen Hause tüchtige Frauenarbeit wurde,
um so verderblicher lastete das Blumendasein der Dame
auf einer ernsten Frauenseele. Es fing uns an zu ekeln
vor diesem Nichts, und die Sehnsucht nach solider Arbeit
erwachte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0006" n="6"/>
            <p>Geben wir es ruhig zu: <hi rendition="#g">nicht</hi> der Welt, sondern <hi rendition="#g">uns</hi><lb/>
sind diese Berufe nötig. Jch bin                             aber gewiß, daß wir sie<lb/>
mit gutem Gewissen erstreben dürfen. Denn                             die Frau hat<lb/>
von Natur Eigenschaften, die sie für einige dieser                             Berufe<lb/>
besonders ausrüsten: ein weiches Herz, ein feines,                             intui-<lb/>
tives Verständnis für die Not und das Wesen Anderer,                             eine<lb/>
große innere Beweglichkeit und Fähigkeit der Hingabe.<lb/>
Sie                             hat mit einem Wort den Jnstinkt der Mütterlichkeit,<lb/>
der in der Welt                             soviel Wärme und Segen schafft. <hi rendition="#g">Nur</hi><lb/>
Magenfrage ist wohl keiner Frau die Berufsfrage. Wir<lb/>
wollen uns                             nicht nur satt essen, wir wollen uns auch aus-<lb/>
leben, d. h. wir                             wollen mit unseren Pfunden wuchern, so<lb/>
sehr das möglich ist. Damit                             komme ich zu dem zweiten<lb/>
Grund für die Forderung des                             Frauenstudiums.</p><lb/>
            <p>Wir wollen möglichst tüchtig werden für den Lebenskreis,<lb/>
in dem wir                             stehen, und für die große soziale Aufgabe der<lb/>
Zeit, die an allen                             Ecken auf eifrige Hände wartet. Wir<lb/>
suchen nicht <hi rendition="#g">nur</hi> die <hi rendition="#g">Stellung</hi>, wir suchen auch die<lb/><hi rendition="#g">Arbeit</hi>.</p><lb/>
            <p>Unter denen, die ihr Pfund im Schweißtuch vergruben,<lb/>
und ein träges                             Tändelleben führten, waren in rasch steigen-<lb/>
dem Prozentsatz die                             Frauen der &#x201E;guten Gesellschaft&#x201C; zu<lb/>
finden. Oder wie                             wollen Sie das Leben so vieler unserer<lb/>
&#x201E;Damen&#x201C;                             beurteilen, dem in der Schule schon das hoch-<lb/>
mütige Stichwort:                             &#x201E;Jch habe es ja nicht nötig!&#x201C; ausgeprägt<lb/>
war, das                             dann durch französische und englische Kränzchen,<lb/>
durch Tanz-,                             Musik-, Spritz- und Gott weiß was für Dilet-<lb/>
tantenkünste, durch                             Gesellschaftstreiben aller Art ausge-<lb/>
füllt ward? Das, was das                             Leben vergänglich <hi rendition="#g">ziert</hi>, war<lb/>
Lebensinhalt,                             ja Lebens <hi rendition="#g">zweck</hi> geworden. Suchen Sie die<lb/>
Nervosität so vieler Mädchen und Frauen nicht in der Ar-<lb/>
beitsfülle, sondern in der Leere einer vertändelten und<lb/>
verträumten                             Jugendzeit, in der Unfähigkeit, dann als Frau<lb/>
und Mutter den Ernst                             der Lebensaufgabe zu erfassen. Je<lb/>
unnötiger im modernen Hause                             tüchtige Frauenarbeit wurde,<lb/>
um so verderblicher lastete das                             Blumendasein der Dame<lb/>
auf einer ernsten Frauenseele. Es fing uns an                             zu ekeln<lb/>
vor diesem Nichts, und die Sehnsucht nach solider                             Arbeit<lb/>
erwachte.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0006] Geben wir es ruhig zu: nicht der Welt, sondern uns sind diese Berufe nötig. Jch bin aber gewiß, daß wir sie mit gutem Gewissen erstreben dürfen. Denn die Frau hat von Natur Eigenschaften, die sie für einige dieser Berufe besonders ausrüsten: ein weiches Herz, ein feines, intui- tives Verständnis für die Not und das Wesen Anderer, eine große innere Beweglichkeit und Fähigkeit der Hingabe. Sie hat mit einem Wort den Jnstinkt der Mütterlichkeit, der in der Welt soviel Wärme und Segen schafft. Nur Magenfrage ist wohl keiner Frau die Berufsfrage. Wir wollen uns nicht nur satt essen, wir wollen uns auch aus- leben, d. h. wir wollen mit unseren Pfunden wuchern, so sehr das möglich ist. Damit komme ich zu dem zweiten Grund für die Forderung des Frauenstudiums. Wir wollen möglichst tüchtig werden für den Lebenskreis, in dem wir stehen, und für die große soziale Aufgabe der Zeit, die an allen Ecken auf eifrige Hände wartet. Wir suchen nicht nur die Stellung, wir suchen auch die Arbeit. Unter denen, die ihr Pfund im Schweißtuch vergruben, und ein träges Tändelleben führten, waren in rasch steigen- dem Prozentsatz die Frauen der „guten Gesellschaft“ zu finden. Oder wie wollen Sie das Leben so vieler unserer „Damen“ beurteilen, dem in der Schule schon das hoch- mütige Stichwort: „Jch habe es ja nicht nötig!“ ausgeprägt war, das dann durch französische und englische Kränzchen, durch Tanz-, Musik-, Spritz- und Gott weiß was für Dilet- tantenkünste, durch Gesellschaftstreiben aller Art ausge- füllt ward? Das, was das Leben vergänglich ziert, war Lebensinhalt, ja Lebens zweck geworden. Suchen Sie die Nervosität so vieler Mädchen und Frauen nicht in der Ar- beitsfülle, sondern in der Leere einer vertändelten und verträumten Jugendzeit, in der Unfähigkeit, dann als Frau und Mutter den Ernst der Lebensaufgabe zu erfassen. Je unnötiger im modernen Hause tüchtige Frauenarbeit wurde, um so verderblicher lastete das Blumendasein der Dame auf einer ernsten Frauenseele. Es fing uns an zu ekeln vor diesem Nichts, und die Sehnsucht nach solider Arbeit erwachte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-07-13T16:21:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-07-13T16:21:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/6
Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/6>, abgerufen am 21.11.2024.