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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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gabe erkennen und übersehen lernen, wie er, daß keine Kluft
zwischen seinem und unserm Denken und Fühlen sich auf-
thut oder gar künstlich durch die Erziehung geschaffen wird.
Bei der Gehilfin des gebildeten Mannes unserer Zeit darf
keine Gabe brach liegen bleiben. Aber sie muß gebraucht wer-
den, nicht in selbstsüchtigem "Sichauslebenwollen", sondern
in helfender Nächstenliebe. Dann wird die tüchtigste Aus-
bildung der Frau ein Segen werden für Männer, Brüder
und Söhne.

Das zweite Wort: "Er soll dein Herr sein," ist hoch
anerkannt bei allen Gegnern des Frauenstrebens, und wenn
sie sonst jedes Bibelwort anzweifelten. Aber es ist ein
Fluchwort, und das berechtigte Streben in der Welt geht
darauf aus, den Fluch, z. B. den der Arbeit, in Segen um-
zuwandeln. Aller Segen in der Welt kommt aus der Liebe.
So auch bei diesem Verhältnis, das sich übrigens unzweifel-
haft für jede Frau nur auf ihren Mann bezieht, nicht
aber im allgemeinen von einem Geschlecht gegen das andere
ausgespielt werden darf. Auch die Apostel, die bei allen
persönlichen Vorschriften für Herren und Knechte, heiraten
und nicht heiraten, Sitten und Gebräuche an die Kultur-
verhältnisse ihrer Zeit gebunden sind, beziehen es nur auf
die Ehe und wollen es gemildert sehen durch die Liebe.
Außerdem fordern sie stille, ernste Arbeit für die Frau,
kein Versinken in Nichtigkeiten und keinen Uebermut, weisen
ihr hauptsächlich, als ihrem Wesen entsprechend, soziale Ar-
beit der Nächstenliebe zu, stellen aber die Entwickelung des
ewigen Kernes im Menschen hoch über die Zufälligkeit des
Männer-, oder Frauenlebens.

Christus selbst blickte erst recht durch die irdischen Ver-
hältnisse hin auf das Ewigkeitsleben, wie und wo das
quellen konnte unter seinem erlösenden Blick. Er ordnete
nicht nach Mann und Weib, sondern nach hungrigen und
satten Seelen. Viele Frauen wurden von seinem liebevollen
Frieden angelockt und seiner Freundschaft gewürdigt. Sie
folgten ihm nach, sie durften seine Auferstehung verkündigen,
und der heilige Geist fiel so gut auf sie als auf die Jünger.
Heute würden vielleicht einige Frauen in ihrer selbst-
ständigen Nachfolge Christi für sehr emanzipiert gehalten
werden.


Heft 17. 2

gabe erkennen und übersehen lernen, wie er, daß keine Kluft
zwischen seinem und unserm Denken und Fühlen sich auf-
thut oder gar künstlich durch die Erziehung geschaffen wird.
Bei der Gehilfin des gebildeten Mannes unserer Zeit darf
keine Gabe brach liegen bleiben. Aber sie muß gebraucht wer-
den, nicht in selbstsüchtigem „Sichauslebenwollen“, sondern
in helfender Nächstenliebe. Dann wird die tüchtigste Aus-
bildung der Frau ein Segen werden für Männer, Brüder
und Söhne.

Das zweite Wort: „Er soll dein Herr sein,“ ist hoch
anerkannt bei allen Gegnern des Frauenstrebens, und wenn
sie sonst jedes Bibelwort anzweifelten. Aber es ist ein
Fluchwort, und das berechtigte Streben in der Welt geht
darauf aus, den Fluch, z. B. den der Arbeit, in Segen um-
zuwandeln. Aller Segen in der Welt kommt aus der Liebe.
So auch bei diesem Verhältnis, das sich übrigens unzweifel-
haft für jede Frau nur auf ihren Mann bezieht, nicht
aber im allgemeinen von einem Geschlecht gegen das andere
ausgespielt werden darf. Auch die Apostel, die bei allen
persönlichen Vorschriften für Herren und Knechte, heiraten
und nicht heiraten, Sitten und Gebräuche an die Kultur-
verhältnisse ihrer Zeit gebunden sind, beziehen es nur auf
die Ehe und wollen es gemildert sehen durch die Liebe.
Außerdem fordern sie stille, ernste Arbeit für die Frau,
kein Versinken in Nichtigkeiten und keinen Uebermut, weisen
ihr hauptsächlich, als ihrem Wesen entsprechend, soziale Ar-
beit der Nächstenliebe zu, stellen aber die Entwickelung des
ewigen Kernes im Menschen hoch über die Zufälligkeit des
Männer-, oder Frauenlebens.

Christus selbst blickte erst recht durch die irdischen Ver-
hältnisse hin auf das Ewigkeitsleben, wie und wo das
quellen konnte unter seinem erlösenden Blick. Er ordnete
nicht nach Mann und Weib, sondern nach hungrigen und
satten Seelen. Viele Frauen wurden von seinem liebevollen
Frieden angelockt und seiner Freundschaft gewürdigt. Sie
folgten ihm nach, sie durften seine Auferstehung verkündigen,
und der heilige Geist fiel so gut auf sie als auf die Jünger.
Heute würden vielleicht einige Frauen in ihrer selbst-
ständigen Nachfolge Christi für sehr emanzipiert gehalten
werden.


Heft 17. 2
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[17/0017] gabe erkennen und übersehen lernen, wie er, daß keine Kluft zwischen seinem und unserm Denken und Fühlen sich auf- thut oder gar künstlich durch die Erziehung geschaffen wird. Bei der Gehilfin des gebildeten Mannes unserer Zeit darf keine Gabe brach liegen bleiben. Aber sie muß gebraucht wer- den, nicht in selbstsüchtigem „Sichauslebenwollen“, sondern in helfender Nächstenliebe. Dann wird die tüchtigste Aus- bildung der Frau ein Segen werden für Männer, Brüder und Söhne. Das zweite Wort: „Er soll dein Herr sein,“ ist hoch anerkannt bei allen Gegnern des Frauenstrebens, und wenn sie sonst jedes Bibelwort anzweifelten. Aber es ist ein Fluchwort, und das berechtigte Streben in der Welt geht darauf aus, den Fluch, z. B. den der Arbeit, in Segen um- zuwandeln. Aller Segen in der Welt kommt aus der Liebe. So auch bei diesem Verhältnis, das sich übrigens unzweifel- haft für jede Frau nur auf ihren Mann bezieht, nicht aber im allgemeinen von einem Geschlecht gegen das andere ausgespielt werden darf. Auch die Apostel, die bei allen persönlichen Vorschriften für Herren und Knechte, heiraten und nicht heiraten, Sitten und Gebräuche an die Kultur- verhältnisse ihrer Zeit gebunden sind, beziehen es nur auf die Ehe und wollen es gemildert sehen durch die Liebe. Außerdem fordern sie stille, ernste Arbeit für die Frau, kein Versinken in Nichtigkeiten und keinen Uebermut, weisen ihr hauptsächlich, als ihrem Wesen entsprechend, soziale Ar- beit der Nächstenliebe zu, stellen aber die Entwickelung des ewigen Kernes im Menschen hoch über die Zufälligkeit des Männer-, oder Frauenlebens. Christus selbst blickte erst recht durch die irdischen Ver- hältnisse hin auf das Ewigkeitsleben, wie und wo das quellen konnte unter seinem erlösenden Blick. Er ordnete nicht nach Mann und Weib, sondern nach hungrigen und satten Seelen. Viele Frauen wurden von seinem liebevollen Frieden angelockt und seiner Freundschaft gewürdigt. Sie folgten ihm nach, sie durften seine Auferstehung verkündigen, und der heilige Geist fiel so gut auf sie als auf die Jünger. Heute würden vielleicht einige Frauen in ihrer selbst- ständigen Nachfolge Christi für sehr emanzipiert gehalten werden. Heft 17. 2

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/17>, abgerufen am 29.03.2024.