Unverletzlichkeit u. Unabhängigkeit des Gesandten.
daher würde weder dessen Auslieferung als ein vollkomm- nes Recht begehrt, noch er mit Gewalt herausgezogen wer- den dürfen.
Aber das allgemeine Völkerrecht geht so weit nicht, und das positive leidet Beschränkungen, wenn unbeschadet des Zwecks der Gesandschaft die Sicherheit des Staats sie erfordert. Nun hat der Gesandte kein Recht einen ihm nicht unterworfenen Verbrecher der Justiz des Landes vor- zuenthalten; wenn er daher demjenigen den der Staat er- wiesener oder geargwohnter Verbrechen wegen verfolgt, in seinem Hause Zuflucht ertheilet, und auf erfolgte Requisi- tion dessen Auslieferung verweigert, so ist der Staat, wenn er von der Aufnahme gewiß ist, berechtiget nicht nur die Flucht des Aufgenommenen durch alle zweckmäßige Mittel von außen zu verhindern, sondern selbst ihn mit Gewalt aus dem Hause des Gesandten wegzuführen, der alle Fol- gen seines unrechtmäßigen Betragens sich selbst beyzumes- sen hat c).
Nach der Praxis ward zwar ehemahls, so lange über- haupt mit den privilegiis asyli verschwenderisch umgegan- gen, wurde den Gesandten ein ius asyli für ihre Häuser fast durchgehends eingeräumt, und noch jetzt behauptet es jeder Gesandte, auch giebt es noch einige Höfe in welchen das Herkommen zum Vortheil der Gesandten ist d), und an manchen andren wird in Fällen von Privatverbrechen (für welche aber der Gesandte selten Schutz ertheilt) nach- gesehn, aber jeder Staat hält sich für berechtiget diejenigen die er als Staatsverbrecher verfolgt, im Weigerungsfall mit Gewalt aus den Häusern der Gesandten wegzuführen e); daher sind Streitigkeiten in solchen Fällen unvermeidlich, die aber mehrentheils schon eine Mißhelligkeit der Höfe zum Grunde haben.
Was von dem Hotel des Gesandten gesagt worden, gilt auch von dessen Wägen, die wenn sie gleich an den mehresten Höfen von der gewöhnlichen Durchsuchung der
Zollbeam-
R 2
Unverletzlichkeit u. Unabhaͤngigkeit des Geſandten.
daher wuͤrde weder deſſen Auslieferung als ein vollkomm- nes Recht begehrt, noch er mit Gewalt herausgezogen wer- den duͤrfen.
Aber das allgemeine Voͤlkerrecht geht ſo weit nicht, und das poſitive leidet Beſchraͤnkungen, wenn unbeſchadet des Zwecks der Geſandſchaft die Sicherheit des Staats ſie erfordert. Nun hat der Geſandte kein Recht einen ihm nicht unterworfenen Verbrecher der Juſtiz des Landes vor- zuenthalten; wenn er daher demjenigen den der Staat er- wieſener oder geargwohnter Verbrechen wegen verfolgt, in ſeinem Hauſe Zuflucht ertheilet, und auf erfolgte Requiſi- tion deſſen Auslieferung verweigert, ſo iſt der Staat, wenn er von der Aufnahme gewiß iſt, berechtiget nicht nur die Flucht des Aufgenommenen durch alle zweckmaͤßige Mittel von außen zu verhindern, ſondern ſelbſt ihn mit Gewalt aus dem Hauſe des Geſandten wegzufuͤhren, der alle Fol- gen ſeines unrechtmaͤßigen Betragens ſich ſelbſt beyzumeſ- ſen hat c).
Nach der Praxis ward zwar ehemahls, ſo lange uͤber- haupt mit den privilegiis aſyli verſchwenderiſch umgegan- gen, wurde den Geſandten ein ius aſyli fuͤr ihre Haͤuſer faſt durchgehends eingeraͤumt, und noch jetzt behauptet es jeder Geſandte, auch giebt es noch einige Hoͤfe in welchen das Herkommen zum Vortheil der Geſandten iſt d), und an manchen andren wird in Faͤllen von Privatverbrechen (fuͤr welche aber der Geſandte ſelten Schutz ertheilt) nach- geſehn, aber jeder Staat haͤlt ſich fuͤr berechtiget diejenigen die er als Staatsverbrecher verfolgt, im Weigerungsfall mit Gewalt aus den Haͤuſern der Geſandten wegzufuͤhren e); daher ſind Streitigkeiten in ſolchen Faͤllen unvermeidlich, die aber mehrentheils ſchon eine Mißhelligkeit der Hoͤfe zum Grunde haben.
Was von dem Hotel des Geſandten geſagt worden, gilt auch von deſſen Waͤgen, die wenn ſie gleich an den mehreſten Hoͤfen von der gewoͤhnlichen Durchſuchung der
Zollbeam-
R 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0287"n="259"/><fwplace="top"type="header">Unverletzlichkeit u. Unabhaͤngigkeit des Geſandten.</fw><lb/>
daher wuͤrde weder deſſen Auslieferung als ein vollkomm-<lb/>
nes Recht begehrt, noch er mit Gewalt herausgezogen wer-<lb/>
den duͤrfen.</p><lb/><p>Aber das allgemeine Voͤlkerrecht geht ſo weit nicht,<lb/>
und das poſitive leidet Beſchraͤnkungen, wenn unbeſchadet<lb/>
des Zwecks der Geſandſchaft die Sicherheit des Staats ſie<lb/>
erfordert. Nun hat der Geſandte kein Recht einen ihm<lb/>
nicht unterworfenen Verbrecher der Juſtiz des Landes vor-<lb/>
zuenthalten; wenn er daher demjenigen den der Staat er-<lb/>
wieſener oder geargwohnter Verbrechen wegen verfolgt, in<lb/>ſeinem Hauſe Zuflucht ertheilet, und auf erfolgte Requiſi-<lb/>
tion deſſen Auslieferung verweigert, ſo iſt der Staat, wenn<lb/>
er von der Aufnahme gewiß iſt, berechtiget nicht nur die<lb/>
Flucht des Aufgenommenen durch alle zweckmaͤßige Mittel<lb/>
von außen zu verhindern, ſondern ſelbſt ihn mit Gewalt<lb/>
aus dem Hauſe des Geſandten wegzufuͤhren, der alle Fol-<lb/>
gen ſeines unrechtmaͤßigen Betragens ſich ſelbſt beyzumeſ-<lb/>ſen hat <hirendition="#i"><hirendition="#aq">c</hi></hi>).</p><lb/><p>Nach der Praxis ward zwar ehemahls, ſo lange uͤber-<lb/>
haupt mit den <hirendition="#aq">privilegiis aſyli</hi> verſchwenderiſch umgegan-<lb/>
gen, wurde den Geſandten ein <hirendition="#aq">ius aſyli</hi> fuͤr ihre Haͤuſer<lb/>
faſt durchgehends eingeraͤumt, und noch jetzt behauptet es<lb/>
jeder Geſandte, auch giebt es noch einige Hoͤfe in welchen<lb/>
das Herkommen zum Vortheil der Geſandten iſt <hirendition="#i"><hirendition="#aq">d</hi></hi>), und<lb/>
an manchen andren wird in Faͤllen von Privatverbrechen<lb/>
(fuͤr welche aber der Geſandte ſelten Schutz ertheilt) nach-<lb/>
geſehn, aber jeder Staat haͤlt ſich fuͤr berechtiget diejenigen<lb/>
die er als Staatsverbrecher verfolgt, im Weigerungsfall<lb/>
mit Gewalt aus den Haͤuſern der Geſandten wegzufuͤhren <hirendition="#i"><hirendition="#aq">e</hi></hi>);<lb/>
daher ſind Streitigkeiten in ſolchen Faͤllen unvermeidlich,<lb/>
die aber mehrentheils ſchon eine Mißhelligkeit der Hoͤfe<lb/>
zum Grunde haben.</p><lb/><p>Was von dem Hotel des Geſandten geſagt worden,<lb/>
gilt auch von deſſen Waͤgen, die wenn ſie gleich an den<lb/>
mehreſten Hoͤfen von der gewoͤhnlichen Durchſuchung der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Zollbeam-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[259/0287]
Unverletzlichkeit u. Unabhaͤngigkeit des Geſandten.
daher wuͤrde weder deſſen Auslieferung als ein vollkomm-
nes Recht begehrt, noch er mit Gewalt herausgezogen wer-
den duͤrfen.
Aber das allgemeine Voͤlkerrecht geht ſo weit nicht,
und das poſitive leidet Beſchraͤnkungen, wenn unbeſchadet
des Zwecks der Geſandſchaft die Sicherheit des Staats ſie
erfordert. Nun hat der Geſandte kein Recht einen ihm
nicht unterworfenen Verbrecher der Juſtiz des Landes vor-
zuenthalten; wenn er daher demjenigen den der Staat er-
wieſener oder geargwohnter Verbrechen wegen verfolgt, in
ſeinem Hauſe Zuflucht ertheilet, und auf erfolgte Requiſi-
tion deſſen Auslieferung verweigert, ſo iſt der Staat, wenn
er von der Aufnahme gewiß iſt, berechtiget nicht nur die
Flucht des Aufgenommenen durch alle zweckmaͤßige Mittel
von außen zu verhindern, ſondern ſelbſt ihn mit Gewalt
aus dem Hauſe des Geſandten wegzufuͤhren, der alle Fol-
gen ſeines unrechtmaͤßigen Betragens ſich ſelbſt beyzumeſ-
ſen hat c).
Nach der Praxis ward zwar ehemahls, ſo lange uͤber-
haupt mit den privilegiis aſyli verſchwenderiſch umgegan-
gen, wurde den Geſandten ein ius aſyli fuͤr ihre Haͤuſer
faſt durchgehends eingeraͤumt, und noch jetzt behauptet es
jeder Geſandte, auch giebt es noch einige Hoͤfe in welchen
das Herkommen zum Vortheil der Geſandten iſt d), und
an manchen andren wird in Faͤllen von Privatverbrechen
(fuͤr welche aber der Geſandte ſelten Schutz ertheilt) nach-
geſehn, aber jeder Staat haͤlt ſich fuͤr berechtiget diejenigen
die er als Staatsverbrecher verfolgt, im Weigerungsfall
mit Gewalt aus den Haͤuſern der Geſandten wegzufuͤhren e);
daher ſind Streitigkeiten in ſolchen Faͤllen unvermeidlich,
die aber mehrentheils ſchon eine Mißhelligkeit der Hoͤfe
zum Grunde haben.
Was von dem Hotel des Geſandten geſagt worden,
gilt auch von deſſen Waͤgen, die wenn ſie gleich an den
mehreſten Hoͤfen von der gewoͤhnlichen Durchſuchung der
Zollbeam-
R 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/287>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.