Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
der auf den Grundbaß erbaueten Methode etc.
§. 283.

Jch kenne zwanzig Anleitungen zur Harmonie, in deren
keiner der Verwandtschaft der Accorde mit einer Sylbe
gedacht wird. Man erfähret also nicht, daß, wenn keine
andere Umstände es verhindern,
1) der Dreyklang, Sext-
und Quartsextenaccord *) einander substituiret werden können;
2) Daß jeder Septimenaccord mit dem in ihm enthaltnen tie-
fern Dreyklang, z. E. g h d f mit g h d, in dem Verhältniß
einer gegenseitigen Substitution stehet. 3) daß der Septimen-
Quintsexten- Terzquarten- und Secundenaccord einander sub-
stituiret werden können; und 4) daß die innerhalb der Octave
erzeugten Accorde mit denen ausserhalb derselben, in so ferne
sie unter einander verwandt sind, in dem Verhältniß einer ge-
genseitigen Substitution stehen. Jn wie weniger Zeit kann
ein Schüler der Harmonie vermittelst der auf rechte Art
angewandten Lehte von der Verwandtschaft der Ac-
corde,
sich die Känntniß einer Menge von harmonischen
Phrasen und Consecutionen erwerben!

§. 284.

Jn der Lehre von den Jntervallen erblicket der Schüler der
Harmonie die reine Quinte und die große und kleine Terz
überall als Consonanzen. Er fänget an den Generalbaß zu
studiren, und erfähret, daß die Quinte im Quintsexten- und die
Terz im Terzquartenaecord als Dissonanzen behandelt werden.
Nach gewissen Methoden erfähret er kein Wort von der Ur-
sach dieser Behandlung. Der Grundbaß löset ihm das Problem
auf. Jn der Lehre von den Jntervallen wird die None mit der
Secunde verwechselt, und in der Lehre von den Accorden
wird das eine Jntervall von dem andern unterschieden. Die
Erfahrung lehret, daß dieser Unterscheid von den meisten Schü-
lern schwer begriffen wird, da es Tonmeister giebet, welche
ihn nicht zu machen wissen. Durch Hülfe des Grundbasses
kann dieser Unterscheid aufs deutlichste und geschwindeste dar-

geleget
*) Der Quartsextenaccord erfordert indessen auch eine besondere Ab-
handlung, man mag nach der gemeinen oder philosophischen Methode
die Gesetze der Harmonie erklären.
R 4
der auf den Grundbaß erbaueten Methode ꝛc.
§. 283.

Jch kenne zwanzig Anleitungen zur Harmonie, in deren
keiner der Verwandtſchaft der Accorde mit einer Sylbe
gedacht wird. Man erfaͤhret alſo nicht, daß, wenn keine
andere Umſtaͤnde es verhindern,
1) der Dreyklang, Sext-
und Quartſextenaccord *) einander ſubſtituiret werden koͤnnen;
2) Daß jeder Septimenaccord mit dem in ihm enthaltnen tie-
fern Dreyklang, z. E. g h d f mit g h d, in dem Verhaͤltniß
einer gegenſeitigen Subſtitution ſtehet. 3) daß der Septimen-
Quintſexten- Terzquarten- und Secundenaccord einander ſub-
ſtituiret werden koͤnnen; und 4) daß die innerhalb der Octave
erzeugten Accorde mit denen auſſerhalb derſelben, in ſo ferne
ſie unter einander verwandt ſind, in dem Verhaͤltniß einer ge-
genſeitigen Subſtitution ſtehen. Jn wie weniger Zeit kann
ein Schuͤler der Harmonie vermittelſt der auf rechte Art
angewandten Lehte von der Verwandtſchaft der Ac-
corde,
ſich die Kaͤnntniß einer Menge von harmoniſchen
Phraſen und Conſecutionen erwerben!

§. 284.

Jn der Lehre von den Jntervallen erblicket der Schuͤler der
Harmonie die reine Quinte und die große und kleine Terz
uͤberall als Conſonanzen. Er faͤnget an den Generalbaß zu
ſtudiren, und erfaͤhret, daß die Quinte im Quintſexten- und die
Terz im Terzquartenaecord als Diſſonanzen behandelt werden.
Nach gewiſſen Methoden erfaͤhret er kein Wort von der Ur-
ſach dieſer Behandlung. Der Grundbaß loͤſet ihm das Problem
auf. Jn der Lehre von den Jntervallen wird die None mit der
Secunde verwechſelt, und in der Lehre von den Accorden
wird das eine Jntervall von dem andern unterſchieden. Die
Erfahrung lehret, daß dieſer Unterſcheid von den meiſten Schuͤ-
lern ſchwer begriffen wird, da es Tonmeiſter giebet, welche
ihn nicht zu machen wiſſen. Durch Huͤlfe des Grundbaſſes
kann dieſer Unterſcheid aufs deutlichſte und geſchwindeſte dar-

geleget
*) Der Quartſextenaccord erfordert indeſſen auch eine beſondere Ab-
handlung, man mag nach der gemeinen oder philoſophiſchen Methode
die Geſetze der Harmonie erklaͤren.
R 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0283" n="263"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der auf den Grundbaß erbaueten Methode &#xA75B;c.</hi> </fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 283.</head><lb/>
              <p>Jch kenne zwanzig Anleitungen zur Harmonie, in deren<lb/>
keiner der <hi rendition="#fr">Verwandt&#x017F;chaft der Accorde</hi> mit einer Sylbe<lb/>
gedacht wird. Man erfa&#x0364;hret al&#x017F;o nicht, daß, <hi rendition="#fr">wenn keine<lb/>
andere Um&#x017F;ta&#x0364;nde es verhindern,</hi> 1) der Dreyklang, Sext-<lb/>
und Quart&#x017F;extenaccord <note place="foot" n="*)">Der <hi rendition="#fr">Quart&#x017F;extenaccord</hi> erfordert inde&#x017F;&#x017F;en auch eine be&#x017F;ondere Ab-<lb/>
handlung, man mag nach der gemeinen oder philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Methode<lb/>
die Ge&#x017F;etze der Harmonie erkla&#x0364;ren.</note> einander &#x017F;ub&#x017F;tituiret werden ko&#x0364;nnen;<lb/>
2) Daß jeder Septimenaccord mit dem in ihm enthaltnen tie-<lb/>
fern Dreyklang, z. E. <hi rendition="#aq">g h d f</hi> mit <hi rendition="#aq">g h d,</hi> in dem Verha&#x0364;ltniß<lb/>
einer gegen&#x017F;eitigen Sub&#x017F;titution &#x017F;tehet. 3) daß der Septimen-<lb/>
Quint&#x017F;exten- Terzquarten- und Secundenaccord einander &#x017F;ub-<lb/>
&#x017F;tituiret werden ko&#x0364;nnen; und 4) daß die innerhalb der Octave<lb/>
erzeugten Accorde mit denen au&#x017F;&#x017F;erhalb der&#x017F;elben, in &#x017F;o ferne<lb/>
&#x017F;ie unter einander verwandt &#x017F;ind, in dem Verha&#x0364;ltniß einer ge-<lb/>
gen&#x017F;eitigen Sub&#x017F;titution &#x017F;tehen. Jn wie weniger Zeit kann<lb/>
ein Schu&#x0364;ler der Harmonie vermittel&#x017F;t der <hi rendition="#fr">auf rechte Art<lb/>
angewandten Lehte von der Verwandt&#x017F;chaft der Ac-<lb/>
corde,</hi> &#x017F;ich die Ka&#x0364;nntniß einer Menge von harmoni&#x017F;chen<lb/>
Phra&#x017F;en und Con&#x017F;ecutionen erwerben!</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 284.</head><lb/>
              <p>Jn der Lehre von den Jntervallen erblicket der Schu&#x0364;ler der<lb/>
Harmonie die reine Quinte und die große und kleine Terz<lb/>
u&#x0364;berall als Con&#x017F;onanzen. Er fa&#x0364;nget an den Generalbaß zu<lb/>
&#x017F;tudiren, und erfa&#x0364;hret, daß die Quinte im Quint&#x017F;exten- und die<lb/>
Terz im Terzquartenaecord als Di&#x017F;&#x017F;onanzen behandelt werden.<lb/>
Nach gewi&#x017F;&#x017F;en Methoden erfa&#x0364;hret er kein Wort von der Ur-<lb/>
&#x017F;ach die&#x017F;er Behandlung. Der Grundbaß lo&#x0364;&#x017F;et ihm das Problem<lb/>
auf. Jn der Lehre von den Jntervallen wird die <hi rendition="#fr">None</hi> mit der<lb/><hi rendition="#fr">Secunde</hi> verwech&#x017F;elt, und in der Lehre von den Accorden<lb/>
wird das eine Jntervall von dem andern unter&#x017F;chieden. Die<lb/>
Erfahrung lehret, daß die&#x017F;er Unter&#x017F;cheid von den mei&#x017F;ten Schu&#x0364;-<lb/>
lern &#x017F;chwer begriffen wird, da es Tonmei&#x017F;ter giebet, welche<lb/>
ihn nicht zu machen wi&#x017F;&#x017F;en. Durch Hu&#x0364;lfe des Grundba&#x017F;&#x017F;es<lb/>
kann die&#x017F;er Unter&#x017F;cheid aufs deutlich&#x017F;te und ge&#x017F;chwinde&#x017F;te dar-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 4</fw><fw place="bottom" type="catch">geleget</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0283] der auf den Grundbaß erbaueten Methode ꝛc. §. 283. Jch kenne zwanzig Anleitungen zur Harmonie, in deren keiner der Verwandtſchaft der Accorde mit einer Sylbe gedacht wird. Man erfaͤhret alſo nicht, daß, wenn keine andere Umſtaͤnde es verhindern, 1) der Dreyklang, Sext- und Quartſextenaccord *) einander ſubſtituiret werden koͤnnen; 2) Daß jeder Septimenaccord mit dem in ihm enthaltnen tie- fern Dreyklang, z. E. g h d f mit g h d, in dem Verhaͤltniß einer gegenſeitigen Subſtitution ſtehet. 3) daß der Septimen- Quintſexten- Terzquarten- und Secundenaccord einander ſub- ſtituiret werden koͤnnen; und 4) daß die innerhalb der Octave erzeugten Accorde mit denen auſſerhalb derſelben, in ſo ferne ſie unter einander verwandt ſind, in dem Verhaͤltniß einer ge- genſeitigen Subſtitution ſtehen. Jn wie weniger Zeit kann ein Schuͤler der Harmonie vermittelſt der auf rechte Art angewandten Lehte von der Verwandtſchaft der Ac- corde, ſich die Kaͤnntniß einer Menge von harmoniſchen Phraſen und Conſecutionen erwerben! §. 284. Jn der Lehre von den Jntervallen erblicket der Schuͤler der Harmonie die reine Quinte und die große und kleine Terz uͤberall als Conſonanzen. Er faͤnget an den Generalbaß zu ſtudiren, und erfaͤhret, daß die Quinte im Quintſexten- und die Terz im Terzquartenaecord als Diſſonanzen behandelt werden. Nach gewiſſen Methoden erfaͤhret er kein Wort von der Ur- ſach dieſer Behandlung. Der Grundbaß loͤſet ihm das Problem auf. Jn der Lehre von den Jntervallen wird die None mit der Secunde verwechſelt, und in der Lehre von den Accorden wird das eine Jntervall von dem andern unterſchieden. Die Erfahrung lehret, daß dieſer Unterſcheid von den meiſten Schuͤ- lern ſchwer begriffen wird, da es Tonmeiſter giebet, welche ihn nicht zu machen wiſſen. Durch Huͤlfe des Grundbaſſes kann dieſer Unterſcheid aufs deutlichſte und geſchwindeſte dar- geleget *) Der Quartſextenaccord erfordert indeſſen auch eine beſondere Ab- handlung, man mag nach der gemeinen oder philoſophiſchen Methode die Geſetze der Harmonie erklaͤren. R 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/283
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/283>, abgerufen am 25.11.2024.