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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Anhang etc. Dritter Abschnitt. Vorzüge
Mannes verführet werden, und auf die Gedanken kommen,
daß man bey Verdoppelung der Stimmen die Erlaubniß habe,
verbotne Fortschreitungen zu machen? Jch bediene mich des
Ausdrucks Verdoppelung der Stimmen, weil es der Herr
Kirnberger gethan hat. Denn sonst finde ich meines Orts
nicht, daß im eigentlichen Verstande dieser Ausdruck allhier
passe. Jn diesem Verstande nemlich muß jeder Accord aus
seinen eigenen Bestandtheilen, und nicht aus denen eines fol-
genden Accords verdoppelt werden; und wenn ein Accord sol-
ches nicht kann, wenigstens nicht so vielmal, als es die An-
zahl der Stimmen eines Tonstücks erfordert, so muß er daselbst
nicht gebrauchet werden. Es lassen sich ja nicht alle Accorde auf
einerley Art behandeln. Würde es nicht ein besonderer Ein-
fall seyn, aus den Bestandtheilen des Dreyklangs e gis h den
auf selbigen herabsteigenden Septimenaccord d f a c von dem
Baßton d verdoppeln zu wollen? Wie kann denn der Hr. Kirn-
berger, ein so scharfsinniger Tonkünstler, uns den siebenstim-
migen Accord c e g h d f a für einen verdoppelten Accord aus-
geben? Es ist ja nicht eine einzige Stimme darinnen verdop-
pelt zu finden. Sed quandoque bonus dormitat Homerus.
Der Hr. Kirnberger nimmt den vom Hrn. Rameau verworf-
nen Accord mit sieben Hörnern an, leitet ihn aber anders her!
Jch misgönne ihm nicht den Einfall; ich bewundere ihn.

Dritter Abschnitt.
Vorzüge der auf den Grundbaß erbaueten
Methode die Harmonie zu erklären.


§. 278.

Jndem ich die auf den Grundbaß erbauete Methode, die
Lehre von der Harmonie abzuhandeln, als eine wahre
philosophische Methode verschiednen andern Methoden vorzie-
hen werde, so will ich nicht sagen, daß ein nach einer andern,
und sogar nach der unordentlichsten Methode von der Welt

ange-

Anhang ꝛc. Dritter Abſchnitt. Vorzuͤge
Mannes verfuͤhret werden, und auf die Gedanken kommen,
daß man bey Verdoppelung der Stimmen die Erlaubniß habe,
verbotne Fortſchreitungen zu machen? Jch bediene mich des
Ausdrucks Verdoppelung der Stimmen, weil es der Herr
Kirnberger gethan hat. Denn ſonſt finde ich meines Orts
nicht, daß im eigentlichen Verſtande dieſer Ausdruck allhier
paſſe. Jn dieſem Verſtande nemlich muß jeder Accord aus
ſeinen eigenen Beſtandtheilen, und nicht aus denen eines fol-
genden Accords verdoppelt werden; und wenn ein Accord ſol-
ches nicht kann, wenigſtens nicht ſo vielmal, als es die An-
zahl der Stimmen eines Tonſtuͤcks erfordert, ſo muß er daſelbſt
nicht gebrauchet werden. Es laſſen ſich ja nicht alle Accorde auf
einerley Art behandeln. Wuͤrde es nicht ein beſonderer Ein-
fall ſeyn, aus den Beſtandtheilen des Dreyklangs e gis h den
auf ſelbigen herabſteigenden Septimenaccord d f a c von dem
Baßton d verdoppeln zu wollen? Wie kann denn der Hr. Kirn-
berger, ein ſo ſcharfſinniger Tonkuͤnſtler, uns den ſiebenſtim-
migen Accord c e g h d f a fuͤr einen verdoppelten Accord aus-
geben? Es iſt ja nicht eine einzige Stimme darinnen verdop-
pelt zu finden. Sed quandoque bonus dormitat Homerus.
Der Hr. Kirnberger nimmt den vom Hrn. Rameau verworf-
nen Accord mit ſieben Hoͤrnern an, leitet ihn aber anders her!
Jch misgoͤnne ihm nicht den Einfall; ich bewundere ihn.

Dritter Abſchnitt.
Vorzuͤge der auf den Grundbaß erbaueten
Methode die Harmonie zu erklaͤren.


§. 278.

Jndem ich die auf den Grundbaß erbauete Methode, die
Lehre von der Harmonie abzuhandeln, als eine wahre
philoſophiſche Methode verſchiednen andern Methoden vorzie-
hen werde, ſo will ich nicht ſagen, daß ein nach einer andern,
und ſogar nach der unordentlichſten Methode von der Welt

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[258/0278] Anhang ꝛc. Dritter Abſchnitt. Vorzuͤge Mannes verfuͤhret werden, und auf die Gedanken kommen, daß man bey Verdoppelung der Stimmen die Erlaubniß habe, verbotne Fortſchreitungen zu machen? Jch bediene mich des Ausdrucks Verdoppelung der Stimmen, weil es der Herr Kirnberger gethan hat. Denn ſonſt finde ich meines Orts nicht, daß im eigentlichen Verſtande dieſer Ausdruck allhier paſſe. Jn dieſem Verſtande nemlich muß jeder Accord aus ſeinen eigenen Beſtandtheilen, und nicht aus denen eines fol- genden Accords verdoppelt werden; und wenn ein Accord ſol- ches nicht kann, wenigſtens nicht ſo vielmal, als es die An- zahl der Stimmen eines Tonſtuͤcks erfordert, ſo muß er daſelbſt nicht gebrauchet werden. Es laſſen ſich ja nicht alle Accorde auf einerley Art behandeln. Wuͤrde es nicht ein beſonderer Ein- fall ſeyn, aus den Beſtandtheilen des Dreyklangs e gis h den auf ſelbigen herabſteigenden Septimenaccord d f a c von dem Baßton d verdoppeln zu wollen? Wie kann denn der Hr. Kirn- berger, ein ſo ſcharfſinniger Tonkuͤnſtler, uns den ſiebenſtim- migen Accord c e g h d f a fuͤr einen verdoppelten Accord aus- geben? Es iſt ja nicht eine einzige Stimme darinnen verdop- pelt zu finden. Sed quandoque bonus dormitat Homerus. Der Hr. Kirnberger nimmt den vom Hrn. Rameau verworf- nen Accord mit ſieben Hoͤrnern an, leitet ihn aber anders her! Jch misgoͤnne ihm nicht den Einfall; ich bewundere ihn. Dritter Abſchnitt. Vorzuͤge der auf den Grundbaß erbaueten Methode die Harmonie zu erklaͤren. §. 278. Jndem ich die auf den Grundbaß erbauete Methode, die Lehre von der Harmonie abzuhandeln, als eine wahre philoſophiſche Methode verſchiednen andern Methoden vorzie- hen werde, ſo will ich nicht ſagen, daß ein nach einer andern, und ſogar nach der unordentlichſten Methode von der Welt ange-

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/278>, abgerufen am 28.09.2024.