326, 327. entlehnte Passage für diejenigen bey, welche eher durch die Auctorität eines großen Mannes, als durch Gründe zu überreden sind. Sie lautet folgendergestalt:
"Der Flügel und die Orgel erfordern bey einer Fantasie "eine besondere Vorsicht, jener, damit man" (wegen des fehlenden Forte und Piano,) "nicht leicht in einer Farbe "spiele; diese, damit man gut und fleißig binde, und sich "in den chromatischen Sätzen mäßige; wenigstens muß "man diese leztern nicht wohl kettenweise vorbringen, weil "die Orgeln selten gut temperiret sind. Das Clavichord "und das Fortepiano sind zu unserer Fantasie die bequem- "sten Jnstrumente. Beyde können und müssen rein ge- "stimmet seyn."
Unmöglich kann der Herr Bach das Wort rein in dem Ver- stande nehmen, nach welchem eine Quinte = 3:2, eine Quar- te = 4:3, eine große Terz = 5:4 und eine kleine = 6:5 seyn soll, weil diesem gelehrten Tonkünstler zu gut bekannt ist, was zwölf Quinten in der Ration 3:2 geben u. s. w. Auch kann er keine um sechsthalb Zwölftheil Comm. pyth. veränderte Quinten darunter verstehen, weil solche Quinten unrein sind, u. s. w. Er nimmt das Wort rein also in dem Verstande, als es oben, im §. 204. in der Note, genommen worden, und wie es insgemein genommen wird, nemlich für beynahe rein, d. i. daß jede Quinte um ein Zwölftheil Comm. pyth., welches beynahe soviel als nichts ist, erniedriget werden soll. Da dieser Pro- ceß möglich ist, so saget der Hr. Bach: daß die beyden Jn- strumente rein gestimmet werden können. Nun füget der- selbe hinzu, daß sie so gestimmet werden müssen. -- Der Hr. Bach wird also diejenige Orgeln und Flügel gut temperirt fin- den, welche wie die Clavichorde und Fortepianos temperiret sind, und wenn eine solche Temperatur zu Fantasien erfordert wird, um wieviel nöthiger wird sie zur Ausübung aufgeschrieb- ner Tonstücke seyn. Folglich setzet der Hr. Bach nicht die Kunst der Composition in die Handgriffe des auf diese oder jene Art zwischen die beyden Enden einer None eine Quinte ein- passenden Stimmmeisters.
Fünf
der gleichſchw. Temper. vor der ungleichſchw.
326, 327. entlehnte Paſſage fuͤr diejenigen bey, welche eher durch die Auctoritaͤt eines großen Mannes, als durch Gruͤnde zu uͤberreden ſind. Sie lautet folgendergeſtalt:
„Der Fluͤgel und die Orgel erfordern bey einer Fantaſie „eine beſondere Vorſicht, jener, damit man‟ (wegen des fehlenden Forte und Piano,) „nicht leicht in einer Farbe „ſpiele; dieſe, damit man gut und fleißig binde, und ſich „in den chromatiſchen Saͤtzen maͤßige; wenigſtens muß „man dieſe leztern nicht wohl kettenweiſe vorbringen, weil „die Orgeln ſelten gut temperiret ſind. Das Clavichord „und das Fortepiano ſind zu unſerer Fantaſie die bequem- „ſten Jnſtrumente. Beyde koͤnnen und muͤſſen rein ge- „ſtimmet ſeyn.‟
Unmoͤglich kann der Herr Bach das Wort rein in dem Ver- ſtande nehmen, nach welchem eine Quinte = 3:2, eine Quar- te = 4:3, eine große Terz = 5:4 und eine kleine = 6:5 ſeyn ſoll, weil dieſem gelehrten Tonkuͤnſtler zu gut bekannt iſt, was zwoͤlf Quinten in der Ration 3:2 geben u. ſ. w. Auch kann er keine um ſechſthalb Zwoͤlftheil Com̃. pyth. veraͤnderte Quinten darunter verſtehen, weil ſolche Quinten unrein ſind, u. ſ. w. Er nimmt das Wort rein alſo in dem Verſtande, als es oben, im §. 204. in der Note, genommen worden, und wie es insgemein genommen wird, nemlich fuͤr beynahe rein, d. i. daß jede Quinte um ein Zwoͤlftheil Com̃. pyth., welches beynahe ſoviel als nichts iſt, erniedriget werden ſoll. Da dieſer Pro- ceß moͤglich iſt, ſo ſaget der Hr. Bach: daß die beyden Jn- ſtrumente rein geſtimmet werden koͤnnen. Nun fuͤget der- ſelbe hinzu, daß ſie ſo geſtimmet werden muͤſſen. — Der Hr. Bach wird alſo diejenige Orgeln und Fluͤgel gut temperirt fin- den, welche wie die Clavichorde und Fortepianos temperiret ſind, und wenn eine ſolche Temperatur zu Fantaſien erfordert wird, um wieviel noͤthiger wird ſie zur Ausuͤbung aufgeſchrieb- ner Tonſtuͤcke ſeyn. Folglich ſetzet der Hr. Bach nicht die Kunſt der Compoſition in die Handgriffe des auf dieſe oder jene Art zwiſchen die beyden Enden einer None eine Quinte ein- paſſenden Stimmmeiſters.
Fuͤnf
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der gleichſchw. Temper. vor der ungleichſchw.
326, 327. entlehnte Paſſage fuͤr diejenigen bey, welche eher
durch die Auctoritaͤt eines großen Mannes, als durch Gruͤnde
zu uͤberreden ſind. Sie lautet folgendergeſtalt:
„Der Fluͤgel und die Orgel erfordern bey einer Fantaſie
„eine beſondere Vorſicht, jener, damit man‟ (wegen des
fehlenden Forte und Piano,) „nicht leicht in einer Farbe
„ſpiele; dieſe, damit man gut und fleißig binde, und ſich
„in den chromatiſchen Saͤtzen maͤßige; wenigſtens muß
„man dieſe leztern nicht wohl kettenweiſe vorbringen, weil
„die Orgeln ſelten gut temperiret ſind. Das Clavichord
„und das Fortepiano ſind zu unſerer Fantaſie die bequem-
„ſten Jnſtrumente. Beyde koͤnnen und muͤſſen rein ge-
„ſtimmet ſeyn.‟
Unmoͤglich kann der Herr Bach das Wort rein in dem Ver-
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kann er keine um ſechſthalb Zwoͤlftheil Com̃. pyth. veraͤnderte
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u. ſ. w. Er nimmt das Wort rein alſo in dem Verſtande, als
es oben, im §. 204. in der Note, genommen worden, und wie es
insgemein genommen wird, nemlich fuͤr beynahe rein, d. i.
daß jede Quinte um ein Zwoͤlftheil Com̃. pyth., welches beynahe
ſoviel als nichts iſt, erniedriget werden ſoll. Da dieſer Pro-
ceß moͤglich iſt, ſo ſaget der Hr. Bach: daß die beyden Jn-
ſtrumente rein geſtimmet werden koͤnnen. Nun fuͤget der-
ſelbe hinzu, daß ſie ſo geſtimmet werden muͤſſen. — Der Hr.
Bach wird alſo diejenige Orgeln und Fluͤgel gut temperirt fin-
den, welche wie die Clavichorde und Fortepianos temperiret
ſind, und wenn eine ſolche Temperatur zu Fantaſien erfordert
wird, um wieviel noͤthiger wird ſie zur Ausuͤbung aufgeſchrieb-
ner Tonſtuͤcke ſeyn. Folglich ſetzet der Hr. Bach nicht die
Kunſt der Compoſition in die Handgriffe des auf dieſe oder jene
Art zwiſchen die beyden Enden einer None eine Quinte ein-
paſſenden Stimmmeiſters.
Fuͤnf
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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/243>, abgerufen am 17.02.2025.
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