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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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der Lehre des Hrn. Kirnberg. v. der ungleichschw. etc.
zwey Moltöne, als die auf einerley Art temperirten Töne Es
dur und As dur zwey Durtöne sind. Die Tonart ist einer-
ley, die Töne sind nur verschieden.

§. 212.

Erste Fortsetzung der Anmerk. über das zweyte
Argument.
Ein anders ist es, wenn man die harten und
weichen Tonarten nach der mehrern oder wenigern Rei-
nigkeit ihrer Töne,
(das sind Sachen, womit die Tempe-
ratur zu thun hat,) characterisiren will, und hier fraget es sich:

1) ob jede harte und jede weiche Tonart auf verschiedne Art
characterisiret werden soll oder nicht?
2) wie jede dieser Tonarten characterisiret werden soll?

Soll jede Tonart auf verschiedene Art characterisiret werden,
so ist weder die erste noch zweyte Kirnbergersche Temperatur
genug characterisiret. Sie sollte vier und zwanzigerley
Arten von Charactern
haben, indem jede Tonart auf zwöl-
ferley Art möglich, und zwey mal zwölf vier und zwanzig ist.
Es hat aber die erste Temperatur nur zehn und die zweyte nur
dreyzehn Charactere. -- Soll nicht jede Tonart auf
verschiedne Art characterisiret werden, so muß man ausma-
chen, welche Tonarten, und warum sie, nicht characterisiret
werden sollen. Da ist die Frage, ob der Hr. Kirnberger die
rechten getroffen hat. -- Endlich kömmt die Art der Cha-
racterisirung an sich in Betracht, und da möchten wohl,
wenn eine größere Unreinigkeit einer wenigern vorge-
zogen wird,
die beyden Temperaturen gewinnen; im Ge-
gentheil aber würden sie verliehren. Man siehet, daß viele
Dinge auseinander zu setzen sind, ehe man diese oder jene Art
von Temperatur wegen ihrer Characterisirung empfehlen kann.
Wir wollen aber dieses bey Seite setzen, und die Frage wird
seyn, was der Zweck der verschiednen Characterisirung der
Tonarten ist? Vermuthlich um den Character eines Tonstücks
zu erheben. Wir müssen hier das Clavier in den zweyerley
Fällen betrachten, worinnen es sich befinden kann, da es ent-
weder in Gesellschaft anderer Jnstrumente, oder allein tractiret
wird. Es sey zuvörderst der erste Fall, und hier behaupte ich,
daß, da es nach dem §. 204. besser ist, bey einer aus ver-

schiednen
N

der Lehre des Hrn. Kirnberg. v. der ungleichſchw. ꝛc.
zwey Moltoͤne, als die auf einerley Art temperirten Toͤne Es
dur und As dur zwey Durtoͤne ſind. Die Tonart iſt einer-
ley, die Toͤne ſind nur verſchieden.

§. 212.

Erſte Fortſetzung der Anmerk. uͤber das zweyte
Argument.
Ein anders iſt es, wenn man die harten und
weichen Tonarten nach der mehrern oder wenigern Rei-
nigkeit ihrer Toͤne,
(das ſind Sachen, womit die Tempe-
ratur zu thun hat,) characteriſiren will, und hier fraget es ſich:

1) ob jede harte und jede weiche Tonart auf verſchiedne Art
characteriſiret werden ſoll oder nicht?
2) wie jede dieſer Tonarten characteriſiret werden ſoll?

Soll jede Tonart auf verſchiedene Art characteriſiret werden,
ſo iſt weder die erſte noch zweyte Kirnbergerſche Temperatur
genug characteriſiret. Sie ſollte vier und zwanzigerley
Arten von Charactern
haben, indem jede Tonart auf zwoͤl-
ferley Art moͤglich, und zwey mal zwoͤlf vier und zwanzig iſt.
Es hat aber die erſte Temperatur nur zehn und die zweyte nur
dreyzehn Charactere. — Soll nicht jede Tonart auf
verſchiedne Art characteriſiret werden, ſo muß man ausma-
chen, welche Tonarten, und warum ſie, nicht characteriſiret
werden ſollen. Da iſt die Frage, ob der Hr. Kirnberger die
rechten getroffen hat. — Endlich koͤmmt die Art der Cha-
racteriſirung an ſich in Betracht, und da moͤchten wohl,
wenn eine groͤßere Unreinigkeit einer wenigern vorge-
zogen wird,
die beyden Temperaturen gewinnen; im Ge-
gentheil aber wuͤrden ſie verliehren. Man ſiehet, daß viele
Dinge auseinander zu ſetzen ſind, ehe man dieſe oder jene Art
von Temperatur wegen ihrer Characteriſirung empfehlen kann.
Wir wollen aber dieſes bey Seite ſetzen, und die Frage wird
ſeyn, was der Zweck der verſchiednen Characteriſirung der
Tonarten iſt? Vermuthlich um den Character eines Tonſtuͤcks
zu erheben. Wir muͤſſen hier das Clavier in den zweyerley
Faͤllen betrachten, worinnen es ſich befinden kann, da es ent-
weder in Geſellſchaft anderer Jnſtrumente, oder allein tractiret
wird. Es ſey zuvoͤrderſt der erſte Fall, und hier behaupte ich,
daß, da es nach dem §. 204. beſſer iſt, bey einer aus ver-

ſchiednen
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[193/0213] der Lehre des Hrn. Kirnberg. v. der ungleichſchw. ꝛc. zwey Moltoͤne, als die auf einerley Art temperirten Toͤne Es dur und As dur zwey Durtoͤne ſind. Die Tonart iſt einer- ley, die Toͤne ſind nur verſchieden. §. 212. Erſte Fortſetzung der Anmerk. uͤber das zweyte Argument. Ein anders iſt es, wenn man die harten und weichen Tonarten nach der mehrern oder wenigern Rei- nigkeit ihrer Toͤne, (das ſind Sachen, womit die Tempe- ratur zu thun hat,) characteriſiren will, und hier fraget es ſich: 1) ob jede harte und jede weiche Tonart auf verſchiedne Art characteriſiret werden ſoll oder nicht? 2) wie jede dieſer Tonarten characteriſiret werden ſoll? Soll jede Tonart auf verſchiedene Art characteriſiret werden, ſo iſt weder die erſte noch zweyte Kirnbergerſche Temperatur genug characteriſiret. Sie ſollte vier und zwanzigerley Arten von Charactern haben, indem jede Tonart auf zwoͤl- ferley Art moͤglich, und zwey mal zwoͤlf vier und zwanzig iſt. Es hat aber die erſte Temperatur nur zehn und die zweyte nur dreyzehn Charactere. — Soll nicht jede Tonart auf verſchiedne Art characteriſiret werden, ſo muß man ausma- chen, welche Tonarten, und warum ſie, nicht characteriſiret werden ſollen. Da iſt die Frage, ob der Hr. Kirnberger die rechten getroffen hat. — Endlich koͤmmt die Art der Cha- racteriſirung an ſich in Betracht, und da moͤchten wohl, wenn eine groͤßere Unreinigkeit einer wenigern vorge- zogen wird, die beyden Temperaturen gewinnen; im Ge- gentheil aber wuͤrden ſie verliehren. Man ſiehet, daß viele Dinge auseinander zu ſetzen ſind, ehe man dieſe oder jene Art von Temperatur wegen ihrer Characteriſirung empfehlen kann. Wir wollen aber dieſes bey Seite ſetzen, und die Frage wird ſeyn, was der Zweck der verſchiednen Characteriſirung der Tonarten iſt? Vermuthlich um den Character eines Tonſtuͤcks zu erheben. Wir muͤſſen hier das Clavier in den zweyerley Faͤllen betrachten, worinnen es ſich befinden kann, da es ent- weder in Geſellſchaft anderer Jnſtrumente, oder allein tractiret wird. Es ſey zuvoͤrderſt der erſte Fall, und hier behaupte ich, daß, da es nach dem §. 204. beſſer iſt, bey einer aus ver- ſchiednen N

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/213>, abgerufen am 02.05.2024.