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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Dreyzehnter Abschn. Von der Nothwendigk. etc.

Ungleichschwebend ist eine Temperatur, in welcher die
gleichartigen Jntervalle aus ungleichen Verhältnissen bestehen;
und dieses ist auf zweyerley Art möglich, nemlich 1) wenn alle
Jntervalle, obwohl auf verschiedene Art, temperiret werden;
2) wenn reine und temperirte Verhältnisse vermischet werden.

Die gleichschwebende Temperatur ist beständig einerley,
man mag sie durch den Calcul, oder durch geometrische Con-
structionen suchen. Die ungleichschwebende ist auf unzählige
Art möglich. Jn beyden sind die Quinte, und die beyden
consonirenden Terzen,
der hauptsächlichste Gegenstand.
Die Ursach ist, weil die beyden vornehmsten harmonischen Drey-
klänge, der harte und weiche, aus diesen Jntervallen, nem-
lich der harte aus der Quinte und großen Terz, und der weiche
aus der Quinte und kleinen Terz, zusammengesetzet werden,
und ihre Verhältnisse der Einheit näher sind, als die Jnter-
valle der andern Dreyklänge. Je näher aber ein Jnter-
vall der Einheit ist, und je leichter dieserhalb das Ver-
hältniß desselben von dem Ohr gefasset werden kann,
desto besser muß dieses Jntervall eingerichtet werden.

Dieses ist ein Axiom in der Lehre von der Temperatur, aus
welchem die Güte einer ungleichschwebenden Temperatur vor
der andern, und die Güte der gleichschwebenden vor allen nur
möglichen Arten der ungleichschwebenden sofort entschieden wer-
den kann. Wir werden hievon in der Folge besonders han-
deln. Hier sey es genug zu wissen, daß, da die Quinte der
Einheit näher ist, als die große Terz, und die große Terz nä-
her als die kleine, daß, sage ich, die Quinte weniger von ihrer
Reinigkeit verliehren kann, als die große Terz, und die große
Terz weniger als die kleine. Das merkwürdigste dabey ist,
daß die Excesse und Defecte der addirten reinen Ra-
tionen in solchem Verhältniß unter einander stehen, daß
kein Jntervall zum Nachtheil des andern braucht tem-
perirt zu werden,
wie man aus folgenden Abschnitten sehen
wird.



Vierzehn-
Dreyzehnter Abſchn. Von der Nothwendigk. ꝛc.

Ungleichſchwebend iſt eine Temperatur, in welcher die
gleichartigen Jntervalle aus ungleichen Verhaͤltniſſen beſtehen;
und dieſes iſt auf zweyerley Art moͤglich, nemlich 1) wenn alle
Jntervalle, obwohl auf verſchiedene Art, temperiret werden;
2) wenn reine und temperirte Verhaͤltniſſe vermiſchet werden.

Die gleichſchwebende Temperatur iſt beſtaͤndig einerley,
man mag ſie durch den Calcul, oder durch geometriſche Con-
ſtructionen ſuchen. Die ungleichſchwebende iſt auf unzaͤhlige
Art moͤglich. Jn beyden ſind die Quinte, und die beyden
conſonirenden Terzen,
der hauptſaͤchlichſte Gegenſtand.
Die Urſach iſt, weil die beyden vornehmſten harmoniſchen Drey-
klaͤnge, der harte und weiche, aus dieſen Jntervallen, nem-
lich der harte aus der Quinte und großen Terz, und der weiche
aus der Quinte und kleinen Terz, zuſammengeſetzet werden,
und ihre Verhaͤltniſſe der Einheit naͤher ſind, als die Jnter-
valle der andern Dreyklaͤnge. Je naͤher aber ein Jnter-
vall der Einheit iſt, und je leichter dieſerhalb das Ver-
haͤltniß deſſelben von dem Ohr gefaſſet werden kann,
deſto beſſer muß dieſes Jntervall eingerichtet werden.

Dieſes iſt ein Axiom in der Lehre von der Temperatur, aus
welchem die Guͤte einer ungleichſchwebenden Temperatur vor
der andern, und die Guͤte der gleichſchwebenden vor allen nur
moͤglichen Arten der ungleichſchwebenden ſofort entſchieden wer-
den kann. Wir werden hievon in der Folge beſonders han-
deln. Hier ſey es genug zu wiſſen, daß, da die Quinte der
Einheit naͤher iſt, als die große Terz, und die große Terz naͤ-
her als die kleine, daß, ſage ich, die Quinte weniger von ihrer
Reinigkeit verliehren kann, als die große Terz, und die große
Terz weniger als die kleine. Das merkwuͤrdigſte dabey iſt,
daß die Exceſſe und Defecte der addirten reinen Ra-
tionen in ſolchem Verhaͤltniß unter einander ſtehen, daß
kein Jntervall zum Nachtheil des andern braucht tem-
perirt zu werden,
wie man aus folgenden Abſchnitten ſehen
wird.



Vierzehn-
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[100/0120] Dreyzehnter Abſchn. Von der Nothwendigk. ꝛc. Ungleichſchwebend iſt eine Temperatur, in welcher die gleichartigen Jntervalle aus ungleichen Verhaͤltniſſen beſtehen; und dieſes iſt auf zweyerley Art moͤglich, nemlich 1) wenn alle Jntervalle, obwohl auf verſchiedene Art, temperiret werden; 2) wenn reine und temperirte Verhaͤltniſſe vermiſchet werden. Die gleichſchwebende Temperatur iſt beſtaͤndig einerley, man mag ſie durch den Calcul, oder durch geometriſche Con- ſtructionen ſuchen. Die ungleichſchwebende iſt auf unzaͤhlige Art moͤglich. Jn beyden ſind die Quinte, und die beyden conſonirenden Terzen, der hauptſaͤchlichſte Gegenſtand. Die Urſach iſt, weil die beyden vornehmſten harmoniſchen Drey- klaͤnge, der harte und weiche, aus dieſen Jntervallen, nem- lich der harte aus der Quinte und großen Terz, und der weiche aus der Quinte und kleinen Terz, zuſammengeſetzet werden, und ihre Verhaͤltniſſe der Einheit naͤher ſind, als die Jnter- valle der andern Dreyklaͤnge. Je naͤher aber ein Jnter- vall der Einheit iſt, und je leichter dieſerhalb das Ver- haͤltniß deſſelben von dem Ohr gefaſſet werden kann, deſto beſſer muß dieſes Jntervall eingerichtet werden. Dieſes iſt ein Axiom in der Lehre von der Temperatur, aus welchem die Guͤte einer ungleichſchwebenden Temperatur vor der andern, und die Guͤte der gleichſchwebenden vor allen nur moͤglichen Arten der ungleichſchwebenden ſofort entſchieden wer- den kann. Wir werden hievon in der Folge beſonders han- deln. Hier ſey es genug zu wiſſen, daß, da die Quinte der Einheit naͤher iſt, als die große Terz, und die große Terz naͤ- her als die kleine, daß, ſage ich, die Quinte weniger von ihrer Reinigkeit verliehren kann, als die große Terz, und die große Terz weniger als die kleine. Das merkwuͤrdigſte dabey iſt, daß die Exceſſe und Defecte der addirten reinen Ra- tionen in ſolchem Verhaͤltniß unter einander ſtehen, daß kein Jntervall zum Nachtheil des andern braucht tem- perirt zu werden, wie man aus folgenden Abſchnitten ſehen wird. Vierzehn-

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/120>, abgerufen am 22.11.2024.