Wenn das Product von zwölf Quinten eine zu große Octave, und das Product von zwölf Quarten eine zu kleine Octave giebet, so folget nothwendig, daß das natürliche Ver- hältniß 3:2, und folglich jede einzelne Quinte um der Dif- ferenz 531441:524288 zu hoch; und das Verhältniß 4[unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen], folglich jede einzelne Quarte um eben soviel zu niedrig ist.
Das Product von drey großen Terzen giebet ein um die kleinere Diesin 128:125 zu kleine Octave. Folglich ist das reine Verhältniß 5:4, und also jede einzelne große Terz um 1/3 dieses Commatis zu niedrig. Um soviel aber die gros- sen Terzen in der Ration 5:4 zu niedrig sind, um soviel sind die kleinen Sexten in der Ration 8:5 zu hoch.
Das Product von vier kleinen Terzen giebet eine um die größere Diesin 648:625 zu große Octave. Folglich ist jede kleine Terz in der Ration 6:5 um 1/4 dieses Commatis zu hoch. Um so viel aber die kleinen Terzen in der Ration 6:5 zu hoch sind, um soviel sind die großen Sexten in der Ration 5:3 zu niedrig.
§. 123.
Zu hohe Jntervalle müssen natürlicher Weise erniedriget, und zu niedrige Jntervalle erhöhet werden. Jn diesem Punkt kommen die Musiker überein; nur, da sie nicht alle die Ernie- drigung und Erhöhung verhältnißmäßig fordern, so geschicht es daher, daß zweyerley Arten von Temperaturen entstehen, eine gleichschwebende und ungleichschwebende.
Gleichschwebend ist eine Temperatur, wenn jedes Jn- tervall seiner Natur gemäß verhältnißmäßig erhöhet oder ernie- driget wird; das ist, 1) wo jede Quinte 3:2 um Comm- pyth. erniedriget, und jede Quarte 4:3 um dieses Com- matis erhöhet wird; 2) wo jede große Terz 5:4 um 1/3 der klei- nern Diesis 128:125 erhöhet, und 3) wo jede kleine Terz 6:5 um 1/4 der größern Diesis 648:625 erniedriget wird. Da ver- mittest dieser Einrichtung alle gleichartige Jntervalle, und also auch die halben Töne geometrisch gleich werden: so kann man die gleichschwebende Temperatur auch als eine solche beschrei- ben, wo die zwölf halben Töne der Octave in stetiger geome- trischen Proportion fortgehen.
Ungleich-
G 2
Von der Nothwendigkeit der Temperatur.
§. 122.
Wenn das Product von zwoͤlf Quinten eine zu große Octave, und das Product von zwoͤlf Quarten eine zu kleine Octave giebet, ſo folget nothwendig, daß das natuͤrliche Ver- haͤltniß 3:2, und folglich jede einzelne Quinte um der Dif- ferenz 531441:524288 zu hoch; und das Verhaͤltniß 4[unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen], folglich jede einzelne Quarte um eben ſoviel zu niedrig iſt.
Das Product von drey großen Terzen giebet ein um die kleinere Dieſin 128:125 zu kleine Octave. Folglich iſt das reine Verhaͤltniß 5:4, und alſo jede einzelne große Terz um ⅓ dieſes Commatis zu niedrig. Um ſoviel aber die groſ- ſen Terzen in der Ration 5:4 zu niedrig ſind, um ſoviel ſind die kleinen Sexten in der Ration 8:5 zu hoch.
Das Product von vier kleinen Terzen giebet eine um die groͤßere Dieſin 648:625 zu große Octave. Folglich iſt jede kleine Terz in der Ration 6:5 um ¼ dieſes Commatis zu hoch. Um ſo viel aber die kleinen Terzen in der Ration 6:5 zu hoch ſind, um ſoviel ſind die großen Sexten in der Ration 5:3 zu niedrig.
§. 123.
Zu hohe Jntervalle muͤſſen natuͤrlicher Weiſe erniedriget, und zu niedrige Jntervalle erhoͤhet werden. Jn dieſem Punkt kommen die Muſiker uͤberein; nur, da ſie nicht alle die Ernie- drigung und Erhoͤhung verhaͤltnißmaͤßig fordern, ſo geſchicht es daher, daß zweyerley Arten von Temperaturen entſtehen, eine gleichſchwebende und ungleichſchwebende.
Gleichſchwebend iſt eine Temperatur, wenn jedes Jn- tervall ſeiner Natur gemaͤß verhaͤltnißmaͤßig erhoͤhet oder ernie- driget wird; das iſt, 1) wo jede Quinte 3:2 um Comm- pyth. erniedriget, und jede Quarte 4:3 um dieſes Com- matis erhoͤhet wird; 2) wo jede große Terz 5:4 um ⅓ der klei- nern Dieſis 128:125 erhoͤhet, und 3) wo jede kleine Terz 6:5 um ¼ der groͤßern Dieſis 648:625 erniedriget wird. Da ver- mitteſt dieſer Einrichtung alle gleichartige Jntervalle, und alſo auch die halben Toͤne geometriſch gleich werden: ſo kann man die gleichſchwebende Temperatur auch als eine ſolche beſchrei- ben, wo die zwoͤlf halben Toͤne der Octave in ſtetiger geome- triſchen Proportion fortgehen.
Ungleich-
G 2
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Von der Nothwendigkeit der Temperatur.
§. 122.
Wenn das Product von zwoͤlf Quinten eine zu große
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Octave giebet, ſo folget nothwendig, daß das natuͤrliche Ver-
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die kleinere Dieſin 128:125 zu kleine Octave. Folglich iſt
das reine Verhaͤltniß 5:4, und alſo jede einzelne große Terz
um ⅓ dieſes Commatis zu niedrig. Um ſoviel aber die groſ-
ſen Terzen in der Ration 5:4 zu niedrig ſind, um ſoviel ſind
die kleinen Sexten in der Ration 8:5 zu hoch.
Das Product von vier kleinen Terzen giebet eine um
die groͤßere Dieſin 648:625 zu große Octave. Folglich iſt
jede kleine Terz in der Ration 6:5 um ¼ dieſes Commatis zu
hoch. Um ſo viel aber die kleinen Terzen in der Ration 6:5 zu
hoch ſind, um ſoviel ſind die großen Sexten in der Ration
5:3 zu niedrig.
§. 123.
Zu hohe Jntervalle muͤſſen natuͤrlicher Weiſe erniedriget,
und zu niedrige Jntervalle erhoͤhet werden. Jn dieſem Punkt
kommen die Muſiker uͤberein; nur, da ſie nicht alle die Ernie-
drigung und Erhoͤhung verhaͤltnißmaͤßig fordern, ſo geſchicht
es daher, daß zweyerley Arten von Temperaturen entſtehen,
eine gleichſchwebende und ungleichſchwebende.
Gleichſchwebend iſt eine Temperatur, wenn jedes Jn-
tervall ſeiner Natur gemaͤß verhaͤltnißmaͤßig erhoͤhet oder ernie-
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mitteſt dieſer Einrichtung alle gleichartige Jntervalle, und alſo
auch die halben Toͤne geometriſch gleich werden: ſo kann man
die gleichſchwebende Temperatur auch als eine ſolche beſchrei-
ben, wo die zwoͤlf halben Toͤne der Octave in ſtetiger geome-
triſchen Proportion fortgehen.
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G 2
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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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