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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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der vollständigen diaton. chromat. enharm. Tonleiter.
chen vergrößerten harmonischen Dreyklang c e gis bekannt.
Konnte nicht dieser Fall allein unserm Herrn Kirnberger
etwas günstigere Meinungen von den dissonirenden Dreyklän-
gen beybringen? Mir deucht, daß man diese Art von Drey-
klängen von den beyden Hauptdreyklängen, dem harten und
weichen, durch ein bequemes Beywort unterscheiden, und sie
z. E. Mitteldreyklänge nennen könnte. Die Ursache dieser
Benennung würde sich aus ihrem Gebrauch erklären lassen.

§. 108.

Jch glaube nicht, daß einer von denen, welche den Ac-
cord h d f=36, 30, 25; oder den Accord c e gis=25, 20, 16,
und einige andere Accorde zuerst für Dreyklänge erkannt ha-
ben, von der Meinung des Hrn. Georg Michael Tele-
mann,
einem Descendenten des berühmten Telemanns in
Hamburg, gewesen ist, und die übermäßige Secunde, ver-
minderte Quarte, übermäßige Quinte, verminderte
Sexte
und verminderte Septime für Consonanzen gehal-
ten hat; warum? weil diese Jntervalle mit der kleinen Terz,
großen Terz, kleinen Sexte, vollkommnen Quinte
und
großen Sexte auf dem Clavier einerley Tasten haben. Es ist
wahr, daß die Tasten dieser entgegengesetzten Jntervalle einerley
sind. Aber aus eben diesem Grunde kann man die beyden con-
sonirenden Terzen und Serten und die vollkommne Quinte auch
für Dissonanzen halten, und dieses Vorgeben würde so irrig
als jenes seyn. Wenn auch c:gis einerley Tasten mit c:as
hat, so ist ja deßwegen die Harmonie c e-gis mit c-es-as nicht
einerley, u. s. w. So lange die Verhältnisse 8:5 und 25:16
verschieden sind, welches man auf dem Monochord erfahren
kann, und so lange die harmonische und melodische Behand-
lung dieser Jntervalle verschieden ist, so lange bleiben auch die
kleine Sexte und übermäßige Quinte verschieden, und wer das
Jntervall c:gis für eine Consonanz halten wollte, der müßte
aus andern Gründen auch das Jntervall h:f dafür halten. Da
aber nur in der Folge der sechs ersten Zahlen und ihren Umkeh-
rungen alle mögliche Consonanzen enthalten sind, so werden
alle von dem Hrn. G. M. Telemann für Consonanzen aus-
gegebne Jntervalle das bleiben, was sie sind, nemlich Disso-

nanzen.
F 5

der vollſtaͤndigen diaton. chromat. enharm. Tonleiter.
chen vergroͤßerten harmoniſchen Dreyklang c e gis bekannt.
Konnte nicht dieſer Fall allein unſerm Herrn Kirnberger
etwas guͤnſtigere Meinungen von den diſſonirenden Dreyklaͤn-
gen beybringen? Mir deucht, daß man dieſe Art von Drey-
klaͤngen von den beyden Hauptdreyklaͤngen, dem harten und
weichen, durch ein bequemes Beywort unterſcheiden, und ſie
z. E. Mitteldreyklaͤnge nennen koͤnnte. Die Urſache dieſer
Benennung wuͤrde ſich aus ihrem Gebrauch erklaͤren laſſen.

§. 108.

Jch glaube nicht, daß einer von denen, welche den Ac-
cord h d f=36, 30, 25; oder den Accord c e gis=25, 20, 16,
und einige andere Accorde zuerſt fuͤr Dreyklaͤnge erkannt ha-
ben, von der Meinung des Hrn. Georg Michael Tele-
mann,
einem Deſcendenten des beruͤhmten Telemanns in
Hamburg, geweſen iſt, und die uͤbermaͤßige Secunde, ver-
minderte Quarte, uͤbermaͤßige Quinte, verminderte
Sexte
und verminderte Septime fuͤr Conſonanzen gehal-
ten hat; warum? weil dieſe Jntervalle mit der kleinen Terz,
großen Terz, kleinen Sexte, vollkommnen Quinte
und
großen Sexte auf dem Clavier einerley Taſten haben. Es iſt
wahr, daß die Taſten dieſer entgegengeſetzten Jntervalle einerley
ſind. Aber aus eben dieſem Grunde kann man die beyden con-
ſonirenden Terzen und Serten und die vollkommne Quinte auch
fuͤr Diſſonanzen halten, und dieſes Vorgeben wuͤrde ſo irrig
als jenes ſeyn. Wenn auch c:gis einerley Taſten mit c:as
hat, ſo iſt ja deßwegen die Harmonie c e-gis mit c-es-as nicht
einerley, u. ſ. w. So lange die Verhaͤltniſſe 8:5 und 25:16
verſchieden ſind, welches man auf dem Monochord erfahren
kann, und ſo lange die harmoniſche und melodiſche Behand-
lung dieſer Jntervalle verſchieden iſt, ſo lange bleiben auch die
kleine Sexte und uͤbermaͤßige Quinte verſchieden, und wer das
Jntervall c:gis fuͤr eine Conſonanz halten wollte, der muͤßte
aus andern Gruͤnden auch das Jntervall h:f dafuͤr halten. Da
aber nur in der Folge der ſechs erſten Zahlen und ihren Umkeh-
rungen alle moͤgliche Conſonanzen enthalten ſind, ſo werden
alle von dem Hrn. G. M. Telemann fuͤr Conſonanzen aus-
gegebne Jntervalle das bleiben, was ſie ſind, nemlich Diſſo-

nanzen.
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[89/0109] der vollſtaͤndigen diaton. chromat. enharm. Tonleiter. chen vergroͤßerten harmoniſchen Dreyklang c e gis bekannt. Konnte nicht dieſer Fall allein unſerm Herrn Kirnberger etwas guͤnſtigere Meinungen von den diſſonirenden Dreyklaͤn- gen beybringen? Mir deucht, daß man dieſe Art von Drey- klaͤngen von den beyden Hauptdreyklaͤngen, dem harten und weichen, durch ein bequemes Beywort unterſcheiden, und ſie z. E. Mitteldreyklaͤnge nennen koͤnnte. Die Urſache dieſer Benennung wuͤrde ſich aus ihrem Gebrauch erklaͤren laſſen. §. 108. Jch glaube nicht, daß einer von denen, welche den Ac- cord h d f=36, 30, 25; oder den Accord c e gis=25, 20, 16, und einige andere Accorde zuerſt fuͤr Dreyklaͤnge erkannt ha- ben, von der Meinung des Hrn. Georg Michael Tele- mann, einem Deſcendenten des beruͤhmten Telemanns in Hamburg, geweſen iſt, und die uͤbermaͤßige Secunde, ver- minderte Quarte, uͤbermaͤßige Quinte, verminderte Sexte und verminderte Septime fuͤr Conſonanzen gehal- ten hat; warum? weil dieſe Jntervalle mit der kleinen Terz, großen Terz, kleinen Sexte, vollkommnen Quinte und großen Sexte auf dem Clavier einerley Taſten haben. Es iſt wahr, daß die Taſten dieſer entgegengeſetzten Jntervalle einerley ſind. Aber aus eben dieſem Grunde kann man die beyden con- ſonirenden Terzen und Serten und die vollkommne Quinte auch fuͤr Diſſonanzen halten, und dieſes Vorgeben wuͤrde ſo irrig als jenes ſeyn. Wenn auch c:gis einerley Taſten mit c:as hat, ſo iſt ja deßwegen die Harmonie c e-gis mit c-es-as nicht einerley, u. ſ. w. So lange die Verhaͤltniſſe 8:5 und 25:16 verſchieden ſind, welches man auf dem Monochord erfahren kann, und ſo lange die harmoniſche und melodiſche Behand- lung dieſer Jntervalle verſchieden iſt, ſo lange bleiben auch die kleine Sexte und uͤbermaͤßige Quinte verſchieden, und wer das Jntervall c:gis fuͤr eine Conſonanz halten wollte, der muͤßte aus andern Gruͤnden auch das Jntervall h:f dafuͤr halten. Da aber nur in der Folge der ſechs erſten Zahlen und ihren Umkeh- rungen alle moͤgliche Conſonanzen enthalten ſind, ſo werden alle von dem Hrn. G. M. Telemann fuͤr Conſonanzen aus- gegebne Jntervalle das bleiben, was ſie ſind, nemlich Diſſo- nanzen. F 5

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/109>, abgerufen am 22.11.2024.