Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.Abendgebet einer Mutter. verzeihen und ihren Verdiensten Gerechtigkeit wieder-fahren zu lassen. Jch komme mit weisen und tugend- haften Menschen zusammen, deren Beyspiel mich zu gleichen edlen Gesinnungen und Handlungen anreizen muß. Jch finde Thoren und Lasterhafte, die ich, wenn es meine Kräfte und Verhältnisse verstatten, liebreich warnen, die ich auf den Pfad der Wahrheit und Tugend zurückzuführen bemühet seyn soll. Jch gehöre zu einer Familie, und habe mich anheischig ge- macht, für dieselbe zu sorgen, ihr Bestes auf alle Weise zu befördern, durch Fleiß und Arbeitsamkeit ih- ren Wohlstand zu erhalten und zu erhöhen, an den Schicksalen aller der Meinigen thätigen Antheil zu nehmen, ihnen meine vorzüglichste Liebe und Achtung zu schenken und alles beyzutragen, was dieselben froh und zufrieden und glücklich machen kann. Habe ich mich heute in der Beobachtung aller dieser Pflichten recht treu und gewissenhaft bewiesen, bin ich allen das gewefen, was ich ihnen seyn konnte und sollte, ist die Summe des durch mich gestifteten Guten groß, so war der heutige Tag, den ich auf diese Weise seiner Wichtigkeit gemäs angewendet habe, ein ausgezeich- neter, ein recht merkwürdiger Tag für mich. Jch bin Mutter und Erzieherin meiner Kinder. Ernst X 4
Abendgebet einer Mutter. verzeihen und ihren Verdienſten Gerechtigkeit wieder-fahren zu laſſen. Jch komme mit weiſen und tugend- haften Menſchen zuſammen, deren Beyſpiel mich zu gleichen edlen Geſinnungen und Handlungen anreizen muß. Jch finde Thoren und Laſterhafte, die ich, wenn es meine Kräfte und Verhältniſſe verſtatten, liebreich warnen, die ich auf den Pfad der Wahrheit und Tugend zurückzuführen bemühet ſeyn ſoll. Jch gehöre zu einer Familie, und habe mich anheiſchig ge- macht, für dieſelbe zu ſorgen, ihr Beſtes auf alle Weiſe zu befördern, durch Fleiß und Arbeitſamkeit ih- ren Wohlſtand zu erhalten und zu erhöhen, an den Schickſalen aller der Meinigen thätigen Antheil zu nehmen, ihnen meine vorzüglichſte Liebe und Achtung zu ſchenken und alles beyzutragen, was dieſelben froh und zufrieden und glücklich machen kann. Habe ich mich heute in der Beobachtung aller dieſer Pflichten recht treu und gewiſſenhaft bewieſen, bin ich allen das gewefen, was ich ihnen ſeyn konnte und ſollte, iſt die Summe des durch mich geſtifteten Guten groß, ſo war der heutige Tag, den ich auf dieſe Weiſe ſeiner Wichtigkeit gemäs angewendet habe, ein ausgezeich- neter, ein recht merkwürdiger Tag für mich. Jch bin Mutter und Erzieherin meiner Kinder. Ernſt X 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0339" n="327"/><fw place="top" type="header">Abendgebet einer Mutter.</fw><lb/> verzeihen und ihren Verdienſten Gerechtigkeit wieder-<lb/> fahren zu laſſen. Jch komme mit weiſen und tugend-<lb/> haften Menſchen zuſammen, deren Beyſpiel mich zu<lb/> gleichen edlen Geſinnungen und Handlungen anreizen<lb/> muß. Jch finde Thoren und Laſterhafte, die ich,<lb/> wenn es meine Kräfte und Verhältniſſe verſtatten,<lb/> liebreich warnen, die ich auf den Pfad der Wahrheit<lb/> und Tugend zurückzuführen bemühet ſeyn ſoll. Jch<lb/> gehöre zu einer Familie, und habe mich anheiſchig ge-<lb/> macht, für dieſelbe zu ſorgen, ihr Beſtes auf alle<lb/> Weiſe zu befördern, durch Fleiß und Arbeitſamkeit ih-<lb/> ren Wohlſtand zu erhalten und zu erhöhen, an den<lb/> Schickſalen aller der Meinigen thätigen Antheil zu<lb/> nehmen, ihnen meine vorzüglichſte Liebe und Achtung<lb/> zu ſchenken und alles beyzutragen, was dieſelben froh<lb/> und zufrieden und glücklich machen kann. Habe ich<lb/> mich heute in der Beobachtung aller dieſer Pflichten<lb/> recht treu und gewiſſenhaft bewieſen, bin ich allen das<lb/> gewefen, was ich ihnen ſeyn konnte und ſollte, iſt die<lb/> Summe des durch mich geſtifteten Guten groß, ſo<lb/> war der heutige Tag, den ich auf dieſe Weiſe ſeiner<lb/> Wichtigkeit gemäs angewendet habe, ein ausgezeich-<lb/> neter, ein recht merkwürdiger Tag für mich.</p><lb/> <p>Jch bin Mutter und Erzieherin meiner Kinder.<lb/> Jch ſoll dieſelben zu verſtändigen und tugendhaften<lb/> Menſchen und Chriſten bilden helfen. Dieſe Pflicht<lb/> muß mir die heiligſte, dieſes Geſchäfft das angenehm-<lb/> ſte ſeyn. Es erfordert Mühe, Geduld, Anſtrengung,<lb/> Standhaftigkeit, Selbſtverleugnung, Aufopferung.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">X 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Ernſt</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0339]
Abendgebet einer Mutter.
verzeihen und ihren Verdienſten Gerechtigkeit wieder-
fahren zu laſſen. Jch komme mit weiſen und tugend-
haften Menſchen zuſammen, deren Beyſpiel mich zu
gleichen edlen Geſinnungen und Handlungen anreizen
muß. Jch finde Thoren und Laſterhafte, die ich,
wenn es meine Kräfte und Verhältniſſe verſtatten,
liebreich warnen, die ich auf den Pfad der Wahrheit
und Tugend zurückzuführen bemühet ſeyn ſoll. Jch
gehöre zu einer Familie, und habe mich anheiſchig ge-
macht, für dieſelbe zu ſorgen, ihr Beſtes auf alle
Weiſe zu befördern, durch Fleiß und Arbeitſamkeit ih-
ren Wohlſtand zu erhalten und zu erhöhen, an den
Schickſalen aller der Meinigen thätigen Antheil zu
nehmen, ihnen meine vorzüglichſte Liebe und Achtung
zu ſchenken und alles beyzutragen, was dieſelben froh
und zufrieden und glücklich machen kann. Habe ich
mich heute in der Beobachtung aller dieſer Pflichten
recht treu und gewiſſenhaft bewieſen, bin ich allen das
gewefen, was ich ihnen ſeyn konnte und ſollte, iſt die
Summe des durch mich geſtifteten Guten groß, ſo
war der heutige Tag, den ich auf dieſe Weiſe ſeiner
Wichtigkeit gemäs angewendet habe, ein ausgezeich-
neter, ein recht merkwürdiger Tag für mich.
Jch bin Mutter und Erzieherin meiner Kinder.
Jch ſoll dieſelben zu verſtändigen und tugendhaften
Menſchen und Chriſten bilden helfen. Dieſe Pflicht
muß mir die heiligſte, dieſes Geſchäfft das angenehm-
ſte ſeyn. Es erfordert Mühe, Geduld, Anſtrengung,
Standhaftigkeit, Selbſtverleugnung, Aufopferung.
Ernſt
X 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |