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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Morgengebet einer Mutter.
leicht auf ihre ganze Lebenszeit für das Laster zu be-
stimmen! Wie entscheidend ist also oft ein einziger
Tag in Absicht auf das Glück oder das Unglück mei-
ner Kinder! Und wenn nun eine solche verführeri-
sche Reizung zum Laster übersehen und nicht abge-
wandt, wenn ein solcher für die Tugend günstiger Um-
stand nicht bemerkt und benutzt wird: Werden sich da
die Folgen davon blos auf diesen einzigen Tag ein-
schränken? Werden sie sich nicht vielmehr mit jedem
neuen Tage vervielfältigen und immer mehrere böse
Wirkungen hervorbringen?

Ja, wichtig soll mir jeder noch so kurze Abschnitt
meines Lebens, wichtig soll auch der heutige Tag für
mich seyn. Jch kann ihn durch keine Macht der Er-
de, durch keine Reue und Thränen, durch kein noch
so kostbares und theures [ - 2 Zeichen fehlen]fer wieder zurück rufen.
Mag ich noch so viele zukünftige Tage zu zählen ha-
ben, so sind sie doch alle nicht dem heutigen Tage
gleich. Jeder Tag hat seine eigenen Geschäffte, sei-
ne eigenen Freuden, seine eigenen Leiden, seine eige-
nen Prüfungen, sein Besonderes und Eigenthümli-
ches. Jeder verlorne Tag ist unersetzlicher Verlust,
der durch keine künftigen Tage vergütet werden kann.
Was ich heute thun soll und nicht gethan habe, das
kann ich ohne Schaden nicht morgen verrichten, weil
der morgende Tag schon ohnedieß seine Bestimmung
hat.

O so sey es denn itzt in dieser Morgenstunde be-
schlossen, so sey es mein ernstlicher Vorsatz, den heu-

tigen

Morgengebet einer Mutter.
leicht auf ihre ganze Lebenszeit für das Laſter zu be-
ſtimmen! Wie entſcheidend iſt alſo oft ein einziger
Tag in Abſicht auf das Glück oder das Unglück mei-
ner Kinder! Und wenn nun eine ſolche verführeri-
ſche Reizung zum Laſter überſehen und nicht abge-
wandt, wenn ein ſolcher für die Tugend günſtiger Um-
ſtand nicht bemerkt und benutzt wird: Werden ſich da
die Folgen davon blos auf dieſen einzigen Tàg ein-
ſchränken? Werden ſie ſich nicht vielmehr mit jedem
neuen Tage vervielfältigen und immer mehrere böſe
Wirkungen hervorbringen?

Ja, wichtig ſoll mir jeder noch ſo kurze Abſchnitt
meines Lebens, wichtig ſoll auch der heutige Tag für
mich ſeyn. Jch kann ihn durch keine Macht der Er-
de, durch keine Reue und Thränen, durch kein noch
ſo koſtbares und theures [ – 2 Zeichen fehlen]fer wieder zurück rufen.
Mag ich noch ſo viele zukünftige Tage zu zählen ha-
ben, ſo ſind ſie doch alle nicht dem heutigen Tage
gleich. Jeder Tag hat ſeine eigenen Geſchäffte, ſei-
ne eigenen Freuden, ſeine eigenen Leiden, ſeine eige-
nen Prüfungen, ſein Beſonderes und Eigenthümli-
ches. Jeder verlorne Tag iſt unerſetzlicher Verluſt,
der durch keine künftigen Tage vergütet werden kann.
Was ich heute thun ſoll und nicht gethan habe, das
kann ich ohne Schaden nicht morgen verrichten, weil
der morgende Tag ſchon ohnedieß ſeine Beſtimmung
hat.

O ſo ſey es denn itzt in dieſer Morgenſtunde be-
ſchloſſen, ſo ſey es mein ernſtlicher Vorſatz, den heu-

tigen
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[322/0334] Morgengebet einer Mutter. leicht auf ihre ganze Lebenszeit für das Laſter zu be- ſtimmen! Wie entſcheidend iſt alſo oft ein einziger Tag in Abſicht auf das Glück oder das Unglück mei- ner Kinder! Und wenn nun eine ſolche verführeri- ſche Reizung zum Laſter überſehen und nicht abge- wandt, wenn ein ſolcher für die Tugend günſtiger Um- ſtand nicht bemerkt und benutzt wird: Werden ſich da die Folgen davon blos auf dieſen einzigen Tàg ein- ſchränken? Werden ſie ſich nicht vielmehr mit jedem neuen Tage vervielfältigen und immer mehrere böſe Wirkungen hervorbringen? Ja, wichtig ſoll mir jeder noch ſo kurze Abſchnitt meines Lebens, wichtig ſoll auch der heutige Tag für mich ſeyn. Jch kann ihn durch keine Macht der Er- de, durch keine Reue und Thränen, durch kein noch ſo koſtbares und theures __fer wieder zurück rufen. Mag ich noch ſo viele zukünftige Tage zu zählen ha- ben, ſo ſind ſie doch alle nicht dem heutigen Tage gleich. Jeder Tag hat ſeine eigenen Geſchäffte, ſei- ne eigenen Freuden, ſeine eigenen Leiden, ſeine eige- nen Prüfungen, ſein Beſonderes und Eigenthümli- ches. Jeder verlorne Tag iſt unerſetzlicher Verluſt, der durch keine künftigen Tage vergütet werden kann. Was ich heute thun ſoll und nicht gethan habe, das kann ich ohne Schaden nicht morgen verrichten, weil der morgende Tag ſchon ohnedieß ſeine Beſtimmung hat. O ſo ſey es denn itzt in dieſer Morgenſtunde be- ſchloſſen, ſo ſey es mein ernſtlicher Vorſatz, den heu- tigen

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/334>, abgerufen am 24.11.2024.