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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Bey der Wahl der Lebensart
kommt nicht darauf an, daß seine Neigungen und
Wünsche in dem Wirkungskreise, der ihm angewiesen
wird, Befriedigung finden! Wie sehr hängt nicht
der glückliche Erfolg aller seiner Arbeiten von der
Stimmung seines Geistes und von dem Maaße seiner
Fähigkeiten und Kräfte ab! Wie innig ist nicht selbst
die Tugend und Rechtschaffenheit des Menschen mit
seinem Berufe verbunden! Wer das nicht leisten
kann oder nicht leisten will, was er soll; wer das
nicht thut und ausführet, was er an seiner Stelle zu
thun und auszuführen verbunden ist und was so leicht
kein anderer an seiner Statt zu thun und auszuführen
vermag; wer also die Pflichten, die er auf sich ge-
nommen hat, nicht erfüllet, weil es ihm entweder an
Lust oder an Kräften dazu fehlet: kann der tugendhaft
und gemeinnützig, kann er ein wohlthätiger Mensch
und ein guter, seine Brüder beglückender Christ seyn?
Und wenn er das nicht ist, kann er da die Zufrieden-
heit und Glückseligkeit finden, die nur dem Weisen
und Tugendhaften auf seinem Wege entgegen kommen?

Nein, o Gott, ich wünsche mein Kind als einen
brauchbaren Menschen und als ein nützliches Glied der
Gesellschaft, ich wünsche dasselbe tugendhaft und froh
und glücklich zu sehen. Ferne müsse also aller Zwang,
ferne müssen alle harte und gewaltthä[ - 1 Zeichen fehlt]ige Mittel von
mir seyn, wo es auf eine Sache ankommt, die aus
freyer Wahl und Neigung geschehen muß und die über
das Glück des ganzen Lebens entscheidet. Wie sehr
würde ich mich an meinem Kinde versündigen, welche

Vor-

Bey der Wahl der Lebensart
kommt nicht darauf an, daß ſeine Neigungen und
Wünſche in dem Wirkungskreiſe, der ihm angewieſen
wird, Befriedigung finden! Wie ſehr hängt nicht
der glückliche Erfolg aller ſeiner Arbeiten von der
Stimmung ſeines Geiſtes und von dem Maaße ſeiner
Fähigkeiten und Kräfte ab! Wie innig iſt nicht ſelbſt
die Tugend und Rechtſchaffenheit des Menſchen mit
ſeinem Berufe verbunden! Wer das nicht leiſten
kann oder nicht leiſten will, was er ſoll; wer das
nicht thut und ausführet, was er an ſeiner Stelle zu
thun und auszuführen verbunden iſt und was ſo leicht
kein anderer an ſeiner Statt zu thun und auszuführen
vermag; wer alſo die Pflichten, die er auf ſich ge-
nommen hat, nicht erfüllet, weil es ihm entweder an
Luſt oder an Kräften dazu fehlet: kann der tugendhaft
und gemeinnützig, kann er ein wohlthätiger Menſch
und ein guter, ſeine Brüder beglückender Chriſt ſeyn?
Und wenn er das nicht iſt, kann er da die Zufrieden-
heit und Glückſeligkeit finden, die nur dem Weiſen
und Tugendhaften auf ſeinem Wege entgegen kommen?

Nein, o Gott, ich wünſche mein Kind als einen
brauchbaren Menſchen und als ein nützliches Glied der
Geſellſchaft, ich wünſche daſſelbe tugendhaft und froh
und glücklich zu ſehen. Ferne müſſe alſo aller Zwang,
ferne müſſen alle harte und gewaltthä[ – 1 Zeichen fehlt]ige Mittel von
mir ſeyn, wo es auf eine Sache ankommt, die aus
freyer Wahl und Neigung geſchehen muß und die über
das Glück des ganzen Lebens entſcheidet. Wie ſehr
würde ich mich an meinem Kinde verſündigen, welche

Vor-
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[276/0288] Bey der Wahl der Lebensart kommt nicht darauf an, daß ſeine Neigungen und Wünſche in dem Wirkungskreiſe, der ihm angewieſen wird, Befriedigung finden! Wie ſehr hängt nicht der glückliche Erfolg aller ſeiner Arbeiten von der Stimmung ſeines Geiſtes und von dem Maaße ſeiner Fähigkeiten und Kräfte ab! Wie innig iſt nicht ſelbſt die Tugend und Rechtſchaffenheit des Menſchen mit ſeinem Berufe verbunden! Wer das nicht leiſten kann oder nicht leiſten will, was er ſoll; wer das nicht thut und ausführet, was er an ſeiner Stelle zu thun und auszuführen verbunden iſt und was ſo leicht kein anderer an ſeiner Statt zu thun und auszuführen vermag; wer alſo die Pflichten, die er auf ſich ge- nommen hat, nicht erfüllet, weil es ihm entweder an Luſt oder an Kräften dazu fehlet: kann der tugendhaft und gemeinnützig, kann er ein wohlthätiger Menſch und ein guter, ſeine Brüder beglückender Chriſt ſeyn? Und wenn er das nicht iſt, kann er da die Zufrieden- heit und Glückſeligkeit finden, die nur dem Weiſen und Tugendhaften auf ſeinem Wege entgegen kommen? Nein, o Gott, ich wünſche mein Kind als einen brauchbaren Menſchen und als ein nützliches Glied der Geſellſchaft, ich wünſche daſſelbe tugendhaft und froh und glücklich zu ſehen. Ferne müſſe alſo aller Zwang, ferne müſſen alle harte und gewaltthä_ige Mittel von mir ſeyn, wo es auf eine Sache ankommt, die aus freyer Wahl und Neigung geſchehen muß und die über das Glück des ganzen Lebens entſcheidet. Wie ſehr würde ich mich an meinem Kinde verſündigen, welche Vor-

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/288>, abgerufen am 22.11.2024.