Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Die kranke Mutter.
als den Höchstweisen und Gütigen; und dich als einen
solchen kennen, dich christlich verehren, dich aufrich-
tig und von ganzem Herzen lieben, dieß giebt Trost
und Ruhe und Seligkeit. Amen.



IV.
Die kranke Mutter.


Gott, du führest die Menschen, deine Kinder,
gemeiniglich ganz anders, als sie wünschen und
sich vorstellen. Du wählest meistentheils ganz an-
dere Mittel, deine Absichten mit uns zu erreichen
als wir wählen würden, wenn unsere Schicksale in
unsrer eigenen Macht und Willkühr stünden. Dieß
erfahre auch ich itzt, da mich mein schwacher, kraftloser
Körper an das Krankenbett fesselt. Und vielleicht
war nichts geschickter, mich an meine Abhängigkeit
von dir und an meine Bestimmung zu erinnern, als
dieser Zufall, der mich zum ernsthaften Nachdenken
auffordert und meinem Nachdenken eine neue, heil-
same Richtung giebt.

Freylich ist der Wunsch zu leben jedem Men-
schen natürlich. Du selbst hast ihn unsern Seelen
eingepflanzt; und wir thun blos das, was wir thun
müssen, wenn wir unser Daseyn so lange als möglich

zu

Die kranke Mutter.
als den Höchſtweiſen und Gütigen; und dich als einen
ſolchen kennen, dich chriſtlich verehren, dich aufrich-
tig und von ganzem Herzen lieben, dieß giebt Troſt
und Ruhe und Seligkeit. Amen.



IV.
Die kranke Mutter.


Gott, du führeſt die Menſchen, deine Kinder,
gemeiniglich ganz anders, als ſie wünſchen und
ſich vorſtellen. Du wähleſt meiſtentheils ganz an-
dere Mittel, deine Abſichten mit uns zu erreichen
als wir wählen würden, wenn unſere Schickſale in
unſrer eigenen Macht und Willkühr ſtünden. Dieß
erfahre auch ich itzt, da mich mein ſchwacher, kraftloſer
Körper an das Krankenbett feſſelt. Und vielleicht
war nichts geſchickter, mich an meine Abhängigkeit
von dir und an meine Beſtimmung zu erinnern, als
dieſer Zufall, der mich zum ernſthaften Nachdenken
auffordert und meinem Nachdenken eine neue, heil-
ſame Richtung giebt.

Freylich iſt der Wunſch zu leben jedem Men-
ſchen natürlich. Du ſelbſt haſt ihn unſern Seelen
eingepflanzt; und wir thun blos das, was wir thun
müſſen, wenn wir unſer Daſeyn ſo lange als möglich

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="252"/><fw place="top" type="header">Die kranke Mutter.</fw><lb/>
als den Höch&#x017F;twei&#x017F;en und Gütigen; und dich als einen<lb/>
&#x017F;olchen kennen, dich chri&#x017F;tlich verehren, dich aufrich-<lb/>
tig und von ganzem Herzen lieben, dieß giebt Tro&#x017F;t<lb/>
und Ruhe und Seligkeit. Amen.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">IV.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Die kranke Mutter.</hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p><hi rendition="#in">G</hi>ott, du führe&#x017F;t die Men&#x017F;chen, deine Kinder,<lb/>
gemeiniglich ganz anders, als &#x017F;ie wün&#x017F;chen und<lb/>
&#x017F;ich vor&#x017F;tellen. Du wähle&#x017F;t mei&#x017F;tentheils ganz an-<lb/>
dere Mittel, deine Ab&#x017F;ichten mit uns zu erreichen<lb/>
als wir wählen würden, wenn un&#x017F;ere Schick&#x017F;ale in<lb/>
un&#x017F;rer eigenen Macht und Willkühr &#x017F;tünden. Dieß<lb/>
erfahre auch ich itzt, da mich mein &#x017F;chwacher, kraftlo&#x017F;er<lb/>
Körper an das Krankenbett fe&#x017F;&#x017F;elt. Und vielleicht<lb/>
war nichts ge&#x017F;chickter, mich an meine Abhängigkeit<lb/>
von dir und an meine Be&#x017F;timmung zu erinnern, als<lb/>
die&#x017F;er Zufall, der mich zum ern&#x017F;thaften Nachdenken<lb/>
auffordert und meinem Nachdenken eine neue, heil-<lb/>
&#x017F;ame Richtung giebt.</p><lb/>
          <p>Freylich i&#x017F;t der Wun&#x017F;ch zu leben jedem Men-<lb/>
&#x017F;chen natürlich. Du &#x017F;elb&#x017F;t ha&#x017F;t ihn un&#x017F;ern Seelen<lb/>
eingepflanzt; und wir thun blos das, was wir thun<lb/>&#x017F;&#x017F;en, wenn wir un&#x017F;er Da&#x017F;eyn &#x017F;o lange als möglich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0264] Die kranke Mutter. als den Höchſtweiſen und Gütigen; und dich als einen ſolchen kennen, dich chriſtlich verehren, dich aufrich- tig und von ganzem Herzen lieben, dieß giebt Troſt und Ruhe und Seligkeit. Amen. IV. Die kranke Mutter. Gott, du führeſt die Menſchen, deine Kinder, gemeiniglich ganz anders, als ſie wünſchen und ſich vorſtellen. Du wähleſt meiſtentheils ganz an- dere Mittel, deine Abſichten mit uns zu erreichen als wir wählen würden, wenn unſere Schickſale in unſrer eigenen Macht und Willkühr ſtünden. Dieß erfahre auch ich itzt, da mich mein ſchwacher, kraftloſer Körper an das Krankenbett feſſelt. Und vielleicht war nichts geſchickter, mich an meine Abhängigkeit von dir und an meine Beſtimmung zu erinnern, als dieſer Zufall, der mich zum ernſthaften Nachdenken auffordert und meinem Nachdenken eine neue, heil- ſame Richtung giebt. Freylich iſt der Wunſch zu leben jedem Men- ſchen natürlich. Du ſelbſt haſt ihn unſern Seelen eingepflanzt; und wir thun blos das, was wir thun müſſen, wenn wir unſer Daſeyn ſo lange als möglich zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/264
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/264>, abgerufen am 27.09.2024.