Ferne sey es also von mir, irgend einen Tag meines Lebens zu beschliessen, an dem ich nichts zu deiner Verherrlichung gethan hätte. So ein Tag wäre ganz für mich verloren. An einem solchen Ta- ge wäre ich völlig ungeschickt, mich meiner Verbin- dung mit dir zu freuen, dich mir als den Gott und Vater der Liebe zu denken und Gemeinschaft mit dir zu haben. An einem solchen Tage wäre ich gewiß auf dem Wege meiner Bestimmung rückwärts gegan- gen, hätte mich von der Bahn der Tugend und von dem erhabenen Ziele, nach welchem ich laufen soll, entfernt. Das Andenken eines solchen Tages würde und müßte mich beunruhigen und mich höchst unzu- frieden mit mir selbst machen. An einem solchen Ta- ge wäre ich gewiß eine schlechte Gattin und Hausfrau und auf irgend eine Art lasterhaft gewesen.
Ferne sey es von mir, dich je einen Tag durch blosse Religions - und Andachtsübungen und mehr mit dem Munde als mit dem Herzen ehren zu wollen. Dadurch würde ich mich ganz von dem Geiste des Christenthums und seines vortrefflichen Stifters entfernen. Dadurch würde ich mich selbst gefährlich täuschen und hintergehen. Dadurch würde ich mich daran gewöhnen, mehr auf das Aeusser- liche, mehr auf Gebräuche und Worte als auf das Jnnerliche, als auf meine Gesinnungen und Den- kungsart zu sehen.
Nein, nur dann kann ich dich verherrlichen, nur dann kann ich glückselig seyn, wenn ich alle mei-
ne
Abendgebet
Ferne ſey es alſo von mir, irgend einen Tag meines Lebens zu beſchlieſſen, an dem ich nichts zu deiner Verherrlichung gethan hätte. So ein Tag wäre ganz für mich verloren. An einem ſolchen Ta- ge wäre ich völlig ungeſchickt, mich meiner Verbin- dung mit dir zu freuen, dich mir als den Gott und Vater der Liebe zu denken und Gemeinſchaft mit dir zu haben. An einem ſolchen Tage wäre ich gewiß auf dem Wege meiner Beſtimmung rückwärts gegan- gen, hätte mich von der Bahn der Tugend und von dem erhabenen Ziele, nach welchem ich laufen ſoll, entfernt. Das Andenken eines ſolchen Tages würde und müßte mich beunruhigen und mich höchſt unzu- frieden mit mir ſelbſt machen. An einem ſolchen Ta- ge wäre ich gewiß eine ſchlechte Gattin und Hausfrau und auf irgend eine Art laſterhaft geweſen.
Ferne ſey es von mir, dich je einen Tag durch bloſſe Religions - und Andachtsübungen und mehr mit dem Munde als mit dem Herzen ehren zu wollen. Dadurch würde ich mich ganz von dem Geiſte des Chriſtenthums und ſeines vortrefflichen Stifters entfernen. Dadurch würde ich mich ſelbſt gefährlich täuſchen und hintergehen. Dadurch würde ich mich daran gewöhnen, mehr auf das Aeuſſer- liche, mehr auf Gebräuche und Worte als auf das Jnnerliche, als auf meine Geſinnungen und Den- kungsart zu ſehen.
Nein, nur dann kann ich dich verherrlichen, nur dann kann ich glückſelig ſeyn, wenn ich alle mei-
ne
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Abendgebet
Ferne ſey es alſo von mir, irgend einen Tag
meines Lebens zu beſchlieſſen, an dem ich nichts zu
deiner Verherrlichung gethan hätte. So ein Tag
wäre ganz für mich verloren. An einem ſolchen Ta-
ge wäre ich völlig ungeſchickt, mich meiner Verbin-
dung mit dir zu freuen, dich mir als den Gott und
Vater der Liebe zu denken und Gemeinſchaft mit dir
zu haben. An einem ſolchen Tage wäre ich gewiß
auf dem Wege meiner Beſtimmung rückwärts gegan-
gen, hätte mich von der Bahn der Tugend und von
dem erhabenen Ziele, nach welchem ich laufen ſoll,
entfernt. Das Andenken eines ſolchen Tages würde
und müßte mich beunruhigen und mich höchſt unzu-
frieden mit mir ſelbſt machen. An einem ſolchen Ta-
ge wäre ich gewiß eine ſchlechte Gattin und Hausfrau
und auf irgend eine Art laſterhaft geweſen.
Ferne ſey es von mir, dich je einen Tag
durch bloſſe Religions - und Andachtsübungen und
mehr mit dem Munde als mit dem Herzen ehren
zu wollen. Dadurch würde ich mich ganz von dem
Geiſte des Chriſtenthums und ſeines vortrefflichen
Stifters entfernen. Dadurch würde ich mich ſelbſt
gefährlich täuſchen und hintergehen. Dadurch würde
ich mich daran gewöhnen, mehr auf das Aeuſſer-
liche, mehr auf Gebräuche und Worte als auf das
Jnnerliche, als auf meine Geſinnungen und Den-
kungsart zu ſehen.
Nein, nur dann kann ich dich verherrlichen,
nur dann kann ich glückſelig ſeyn, wenn ich alle mei-
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/242>, abgerufen am 23.06.2024.
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