Gott, ich lebe nicht in der Absicht auf Erden, um ein vollkommenes Glück zu genießen, um lauter angenehme Empfindungen zu haben, um das alles zu thun und zu leisten, was mein vernünftiger, unsterb- licher Geist seiner Natur und Bestimmung und seinen Fähigkeiten nach thun und leisten kann. Jch lebe hier im Stande der Kindheit und in den Vorberei- tungsjahren, die mich auf ein anderes und höheres Leben geschickt machen sollen. Wenn ich also mich und meinen gegenwärtigen Zustand nach dieser Absicht betrachte, so wird alles Licht um mich herum, so ver- wirret und ängstiget mich keine Erscheinung in der Welt, die mich oder andere betrifft, so macht mich auch meine Armuth weder muthlos noch unglücklich. Wenn ich hingegen blos auf dieses Leben sehe, und keine Rücksicht auf die Zukunft nehme, so herrscht lau- ter Finsterniß, lauter Verwirrung, lauter Wider- spruch, so kann ich mir auch deine Einrichtungen nicht erklären, so ist die Armuth ein wahres Uebel und der Mangel des Reichthums ein unersetzlicher Verlust für mich.
O wie viel kommt darauf an, daß ich meine Schicksale aus dem rechten Gesichtspunkte ansehe und
beur-
Die arme Hausfrau.
VIII. Die arme Hausfrau.
Gott, ich lebe nicht in der Abſicht auf Erden, um ein vollkommenes Glück zu genießen, um lauter angenehme Empfindungen zu haben, um das alles zu thun und zu leiſten, was mein vernünftiger, unſterb- licher Geiſt ſeiner Natur und Beſtimmung und ſeinen Fähigkeiten nach thun und leiſten kann. Jch lebe hier im Stande der Kindheit und in den Vorberei- tungsjahren, die mich auf ein anderes und höheres Leben geſchickt machen ſollen. Wenn ich alſo mich und meinen gegenwärtigen Zuſtand nach dieſer Abſicht betrachte, ſo wird alles Licht um mich herum, ſo ver- wirret und ängſtiget mich keine Erſcheinung in der Welt, die mich oder andere betrifft, ſo macht mich auch meine Armuth weder muthlos noch unglücklich. Wenn ich hingegen blos auf dieſes Leben ſehe, und keine Rückſicht auf die Zukunft nehme, ſo herrſcht lau- ter Finſterniß, lauter Verwirrung, lauter Wider- ſpruch, ſo kann ich mir auch deine Einrichtungen nicht erklären, ſo iſt die Armuth ein wahres Uebel und der Mangel des Reichthums ein unerſetzlicher Verluſt für mich.
O wie viel kommt darauf an, daß ich meine Schickſale aus dem rechten Geſichtspunkte anſehe und
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Die arme Hausfrau.
VIII.
Die arme Hausfrau.
Gott, ich lebe nicht in der Abſicht auf Erden, um
ein vollkommenes Glück zu genießen, um lauter
angenehme Empfindungen zu haben, um das alles zu
thun und zu leiſten, was mein vernünftiger, unſterb-
licher Geiſt ſeiner Natur und Beſtimmung und ſeinen
Fähigkeiten nach thun und leiſten kann. Jch lebe
hier im Stande der Kindheit und in den Vorberei-
tungsjahren, die mich auf ein anderes und höheres
Leben geſchickt machen ſollen. Wenn ich alſo mich
und meinen gegenwärtigen Zuſtand nach dieſer Abſicht
betrachte, ſo wird alles Licht um mich herum, ſo ver-
wirret und ängſtiget mich keine Erſcheinung in der
Welt, die mich oder andere betrifft, ſo macht mich
auch meine Armuth weder muthlos noch unglücklich.
Wenn ich hingegen blos auf dieſes Leben ſehe, und
keine Rückſicht auf die Zukunft nehme, ſo herrſcht lau-
ter Finſterniß, lauter Verwirrung, lauter Wider-
ſpruch, ſo kann ich mir auch deine Einrichtungen nicht
erklären, ſo iſt die Armuth ein wahres Uebel und der
Mangel des Reichthums ein unerſetzlicher Verluſt für
mich.
O wie viel kommt darauf an, daß ich meine
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/212>, abgerufen am 23.06.2024.
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