Ja, so unüberlegt und thöricht es von mir ge- handelt seyn würde, wenn ich ohne Rücksicht auf die Zukunft zu nehmen, ohne an die Mittel zur Befrie- digung nothwendiger Bedürfnisse zu denken und blos nach leidenschaftlicher Reigung das wichtigste Band knüpfte: so niedrig und unedel würde es seyn, wenn ich einem verständigen, arbeitsamen, tugendhaften Freunde, einem gutdenkenden und gemeinnützigen Manne, der mich liebet und hochschätzet, der mich glücklich machen kann und will, an welchem ich nichts als den Mangel des Reichthums und großer Ehren- stellen auszusetzen habe, meine Hand versagen wollte. Mag es immer eine unleugbare Erfahrung seyn, daß sich Mancher hinter der Maske der Verstellung zu ver- bergen und unsre Vorsicht zu hintergehen weiß: desto mehr muß ich mich aber freuen, wenn ich nicht in diese Verlegenheit komme, wenn ich von den schlech- ten, lasterhaften Gesinnungen eines solchen im vor- aus überzeugt bin, wenn ich den reichen und angese- henen Tugendfeind kenne und, vor ihm gewarnt, nicht die Beute seiner Bosheit und die Mitgenossin seiner Thorheiten und Vergehungen werden darf. Oder soll ich mir wohl einbilden, daß sein Ansehen und Vermö- gen den Mangel des Verstandes und der Tugend bey ihm ersetzen, daß er mich blos durch jenes beglücken könne und werde?
Nein, o Gott, das häusliche, das eheliche Glück kommt mir nur an der Hand der Weisheit und der Tugend entgegen. Nur die wahre, edle Liebe, die auf gegenseitigen Verdiensten und liebens-
wür-
Die Vorſicht bey der Wahl eines Gatten.
Ja, ſo unüberlegt und thöricht es von mir ge- handelt ſeyn würde, wenn ich ohne Rückſicht auf die Zukunft zu nehmen, ohne an die Mittel zur Befrie- digung nothwendiger Bedürfniſſe zu denken und blos nach leidenſchaftlicher Reigung das wichtigſte Band knüpfte: ſo niedrig und unedel würde es ſeyn, wenn ich einem verſtändigen, arbeitſamen, tugendhaften Freunde, einem gutdenkenden und gemeinnützigen Manne, der mich liebet und hochſchätzet, der mich glücklich machen kann und will, an welchem ich nichts als den Mangel des Reichthums und großer Ehren- ſtellen auszuſetzen habe, meine Hand verſagen wollte. Mag es immer eine unleugbare Erfahrung ſeyn, daß ſich Mancher hinter der Maske der Verſtellung zu ver- bergen und unſre Vorſicht zu hintergehen weiß: deſto mehr muß ich mich aber freuen, wenn ich nicht in dieſe Verlegenheit komme, wenn ich von den ſchlech- ten, laſterhaften Geſinnungen eines ſolchen im vor- aus überzeugt bin, wenn ich den reichen und angeſe- henen Tugendfeind kenne und, vor ihm gewarnt, nicht die Beute ſeiner Bosheit und die Mitgenoſſin ſeiner Thorheiten und Vergehungen werden darf. Oder ſoll ich mir wohl einbilden, daß ſein Anſehen und Vermö- gen den Mangel des Verſtandes und der Tugend bey ihm erſetzen, daß er mich blos durch jenes beglücken könne und werde?
Nein, o Gott, das häusliche, das eheliche Glück kommt mir nur an der Hand der Weisheit und der Tugend entgegen. Nur die wahre, edle Liebe, die auf gegenſeitigen Verdienſten und liebens-
wür-
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Die Vorſicht bey der Wahl eines Gatten.
Ja, ſo unüberlegt und thöricht es von mir ge-
handelt ſeyn würde, wenn ich ohne Rückſicht auf die
Zukunft zu nehmen, ohne an die Mittel zur Befrie-
digung nothwendiger Bedürfniſſe zu denken und blos
nach leidenſchaftlicher Reigung das wichtigſte Band
knüpfte: ſo niedrig und unedel würde es ſeyn, wenn
ich einem verſtändigen, arbeitſamen, tugendhaften
Freunde, einem gutdenkenden und gemeinnützigen
Manne, der mich liebet und hochſchätzet, der mich
glücklich machen kann und will, an welchem ich nichts
als den Mangel des Reichthums und großer Ehren-
ſtellen auszuſetzen habe, meine Hand verſagen wollte.
Mag es immer eine unleugbare Erfahrung ſeyn, daß
ſich Mancher hinter der Maske der Verſtellung zu ver-
bergen und unſre Vorſicht zu hintergehen weiß: deſto
mehr muß ich mich aber freuen, wenn ich nicht in
dieſe Verlegenheit komme, wenn ich von den ſchlech-
ten, laſterhaften Geſinnungen eines ſolchen im vor-
aus überzeugt bin, wenn ich den reichen und angeſe-
henen Tugendfeind kenne und, vor ihm gewarnt, nicht
die Beute ſeiner Bosheit und die Mitgenoſſin ſeiner
Thorheiten und Vergehungen werden darf. Oder ſoll
ich mir wohl einbilden, daß ſein Anſehen und Vermö-
gen den Mangel des Verſtandes und der Tugend bey
ihm erſetzen, daß er mich blos durch jenes beglücken
könne und werde?
Nein, o Gott, das häusliche, das eheliche
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/158>, abgerufen am 23.06.2024.
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