Du hast mich nicht dazu bestimmt, o Gott, daß ich durch Macht und Stärke, sondern daß ich durch Liebe über andere herrschen soll. Schon das Gefühl meiner Schwachheit muß mir dieses sagen. Mein ganzer Zustand ist ein Stand der Abhängig- keit. Ich bedarf vielmehr des Schutzes anderer, als daß ich sie beschützen könnte. Aber durch Sanftmuth und Liebe vermag ich alles. Sie sind auch meinem Geschlechte ganz vorzüglich eigen. Sie sind in unse- rer ganzen Natur gegründet. Sie sind ein Hauptzug in unserm weiblichen Charakter. Durch Sanftmuth und Liebe kann ich über die Herzen regieren. Wenn sich mein Ansehen nicht auf Gewalt gründet, so wird es desto fester auf Liebe ruhen. Und wenn ich diesen Weg einschlage, kann ich meinen Zweck nicht ver- fehlen; aber ich habe es mir selbst zuzuschreiben, wenn ich auf einem andern Wege meine Absicht nicht erreiche.
Ja, die Ansprüche, welche ich mit Recht in meinem Stande machen kann, sind groß, o Gott. Es sind Ansprüche, die nicht nur meinem Geschlechte, sondern die jedem Menschen und Christen zur Ehre und zum Glücke gereichen. Wohl mir, wenn ich dieselben kenne und schätze! Wohl mir, wenn ich sie durch Weisheit, Tugend, Liebe und Gemeinnützig- keit geltend mache! Amen.
VII.
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des weiblichen Geſchlechts.
Du haſt mich nicht dazu beſtimmt, o Gott, daß ich durch Macht und Stärke, ſondern daß ich durch Liebe über andere herrſchen ſoll. Schon das Gefühl meiner Schwachheit muß mir dieſes ſagen. Mein ganzer Zuſtand iſt ein Stand der Abhängig- keit. Ich bedarf vielmehr des Schutzes anderer, als daß ich ſie beſchützen könnte. Aber durch Sanftmuth und Liebe vermag ich alles. Sie ſind auch meinem Geſchlechte ganz vorzüglich eigen. Sie ſind in unſe- rer ganzen Natur gegründet. Sie ſind ein Hauptzug in unſerm weiblichen Charakter. Durch Sanftmuth und Liebe kann ich über die Herzen regieren. Wenn ſich mein Anſehen nicht auf Gewalt gründet, ſo wird es deſto feſter auf Liebe ruhen. Und wenn ich dieſen Weg einſchlage, kann ich meinen Zweck nicht ver- fehlen; aber ich habe es mir ſelbſt zuzuſchreiben, wenn ich auf einem andern Wege meine Abſicht nicht erreiche.
Ja, die Anſprüche, welche ich mit Recht in meinem Stande machen kann, ſind groß, o Gott. Es ſind Anſprüche, die nicht nur meinem Geſchlechte, ſondern die jedem Menſchen und Chriſten zur Ehre und zum Glücke gereichen. Wohl mir, wenn ich dieſelben kenne und ſchätze! Wohl mir, wenn ich ſie durch Weisheit, Tugend, Liebe und Gemeinnützig- keit geltend mache! Amen.
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des weiblichen Geſchlechts.
Du haſt mich nicht dazu beſtimmt, o Gott,
daß ich durch Macht und Stärke, ſondern daß ich
durch Liebe über andere herrſchen ſoll. Schon das
Gefühl meiner Schwachheit muß mir dieſes ſagen.
Mein ganzer Zuſtand iſt ein Stand der Abhängig-
keit. Ich bedarf vielmehr des Schutzes anderer, als
daß ich ſie beſchützen könnte. Aber durch Sanftmuth
und Liebe vermag ich alles. Sie ſind auch meinem
Geſchlechte ganz vorzüglich eigen. Sie ſind in unſe-
rer ganzen Natur gegründet. Sie ſind ein Hauptzug
in unſerm weiblichen Charakter. Durch Sanftmuth
und Liebe kann ich über die Herzen regieren. Wenn
ſich mein Anſehen nicht auf Gewalt gründet, ſo wird
es deſto feſter auf Liebe ruhen. Und wenn ich dieſen
Weg einſchlage, kann ich meinen Zweck nicht ver-
fehlen; aber ich habe es mir ſelbſt zuzuſchreiben,
wenn ich auf einem andern Wege meine Abſicht nicht
erreiche.
Ja, die Anſprüche, welche ich mit Recht in
meinem Stande machen kann, ſind groß, o Gott.
Es ſind Anſprüche, die nicht nur meinem Geſchlechte,
ſondern die jedem Menſchen und Chriſten zur Ehre
und zum Glücke gereichen. Wohl mir, wenn ich
dieſelben kenne und ſchätze! Wohl mir, wenn ich ſie
durch Weisheit, Tugend, Liebe und Gemeinnützig-
keit geltend mache! Amen.
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/131>, abgerufen am 23.06.2024.
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