Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel.
Lösung auch richtig, dies gilt aber nicht von der all-
gemeinen Formel.

Hierauf erbot sich Jakob Bernoulli, erstens den Ge-
dankengang seines Bruders zu errathen, zweitens die
Widersprüche und Fehler in demselben nachzuweisen,
und drittens die wahre Auflösung zu geben. Die gegen-
seitige Eifersucht und Gereiztheit der beiden Brüder
kam hierdurch zum Ausbruch und führte zu einem
unerquicklichen bittern und heftigen Streite, der bis zu
dem Tode Jakob's währte. Nach Jakob's Tode gestand
Johann seinen Irrthum ein, und nahm die richtige Me-
thode seines Bruders an.

Jakob Bernoulli hat wol richtig errathen, dass Jo-
hann wahrscheinlich durch die Ergebnisse seiner Unter-
suchungen über die Kettenlinie und die Segelcurve ver-
führt, wieder eine indirecte Lösung versucht hat, in-
dem er sich BFN mit Flüssigkeit von variablem spe-
cifischem Gewicht gefüllt gedacht, und die Curve BFN
für die tiefste Lage des Schwerpunktes bestimmt hat.
Setzt man die Ordinate PZ=p, so soll in der Ordi-
nate PF=x das specifische Gewicht der Flüssig-
keit
sein, und analog in jeder andern Ordinate.
Das Gewicht eines verticalen Fadens ist dann [Formel 2] ,
und dessen Moment in Bezug auf BN ist
[Formel 3] Für die tiefste Lage des Schwerpunktes wird also
1/2[integral]pdy oder [integral]pdy=BZN ein Maximum. Hierbei
wird aber, wie Jakob Bernoulli richtig bemerkt, über-
sehen, dass mit der Variation der Curve BFN auch
das Gewicht der Flüssigkeit variirt, und die Ueber-
legung in dieser einfachen Form nicht mehr zulässig ist.

Jakob Bernoulli selbst löst die Aufgabe, indem er
wieder annimmt, dass auch das kleine Curvenstück FF'''
Fig. 227 noch die verlangte Eigenschaft hat, und indem

Viertes Kapitel.
Lösung auch richtig, dies gilt aber nicht von der all-
gemeinen Formel.

Hierauf erbot sich Jakob Bernoulli, erstens den Ge-
dankengang seines Bruders zu errathen, zweitens die
Widersprüche und Fehler in demselben nachzuweisen,
und drittens die wahre Auflösung zu geben. Die gegen-
seitige Eifersucht und Gereiztheit der beiden Brüder
kam hierdurch zum Ausbruch und führte zu einem
unerquicklichen bittern und heftigen Streite, der bis zu
dem Tode Jakob’s währte. Nach Jakob’s Tode gestand
Johann seinen Irrthum ein, und nahm die richtige Me-
thode seines Bruders an.

Jakob Bernoulli hat wol richtig errathen, dass Jo-
hann wahrscheinlich durch die Ergebnisse seiner Unter-
suchungen über die Kettenlinie und die Segelcurve ver-
führt, wieder eine indirecte Lösung versucht hat, in-
dem er sich BFN mit Flüssigkeit von variablem spe-
cifischem Gewicht gefüllt gedacht, und die Curve BFN
für die tiefste Lage des Schwerpunktes bestimmt hat.
Setzt man die Ordinate PZ=p, so soll in der Ordi-
nate PF=x das specifische Gewicht der Flüssig-
keit
sein, und analog in jeder andern Ordinate.
Das Gewicht eines verticalen Fadens ist dann [Formel 2] ,
und dessen Moment in Bezug auf BN ist
[Formel 3] Für die tiefste Lage des Schwerpunktes wird also
½[∫]pdy oder [∫]pdy=BZN ein Maximum. Hierbei
wird aber, wie Jakob Bernoulli richtig bemerkt, über-
sehen, dass mit der Variation der Curve BFN auch
das Gewicht der Flüssigkeit variirt, und die Ueber-
legung in dieser einfachen Form nicht mehr zulässig ist.

Jakob Bernoulli selbst löst die Aufgabe, indem er
wieder annimmt, dass auch das kleine Curvenstück FF
Fig. 227 noch die verlangte Eigenschaft hat, und indem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0418" n="406"/><fw place="top" type="header">Viertes Kapitel.</fw><lb/>
Lösung auch richtig, dies gilt aber nicht von der all-<lb/>
gemeinen Formel.</p><lb/>
          <p>Hierauf erbot sich Jakob Bernoulli, erstens den Ge-<lb/>
dankengang seines Bruders zu errathen, zweitens die<lb/>
Widersprüche und Fehler in demselben nachzuweisen,<lb/>
und drittens die wahre Auflösung zu geben. Die gegen-<lb/>
seitige Eifersucht und Gereiztheit der beiden Brüder<lb/>
kam hierdurch zum Ausbruch und führte zu einem<lb/>
unerquicklichen bittern und heftigen Streite, der bis zu<lb/>
dem Tode Jakob&#x2019;s währte. Nach Jakob&#x2019;s Tode gestand<lb/>
Johann seinen Irrthum ein, und nahm die richtige Me-<lb/>
thode seines Bruders an.</p><lb/>
          <p>Jakob Bernoulli hat wol richtig errathen, dass Jo-<lb/>
hann wahrscheinlich durch die Ergebnisse seiner Unter-<lb/>
suchungen über die Kettenlinie und die Segelcurve ver-<lb/>
führt, wieder eine <hi rendition="#g">indirecte</hi> Lösung versucht hat, in-<lb/>
dem er sich <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">BFN</hi></hi> mit Flüssigkeit von variablem spe-<lb/>
cifischem Gewicht gefüllt gedacht, und die Curve <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">BFN</hi></hi><lb/>
für die tiefste Lage des Schwerpunktes bestimmt hat.<lb/>
Setzt man die Ordinate <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">PZ=p</hi>,</hi> so soll in der Ordi-<lb/>
nate <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">PF=x</hi></hi> das specifische Gewicht der <hi rendition="#g">Flüssig-<lb/>
keit</hi> <formula notation="TeX"> \frac {p}{x}</formula> sein, und analog in jeder andern Ordinate.<lb/>
Das Gewicht eines verticalen Fadens ist dann <formula/>,<lb/>
und dessen Moment in Bezug auf <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">BN</hi></hi> ist<lb/><formula/> Für die tiefste Lage des Schwerpunktes wird also<lb/><hi rendition="#g">½<supplied>&#x222B;</supplied><hi rendition="#i">pdy</hi></hi> oder <hi rendition="#g"><supplied>&#x222B;</supplied><hi rendition="#i">pdy=BZN</hi></hi> ein Maximum. Hierbei<lb/>
wird aber, wie Jakob Bernoulli richtig bemerkt, über-<lb/>
sehen, dass mit der Variation der <hi rendition="#g">Curve <hi rendition="#i">BFN</hi></hi> auch<lb/>
das <hi rendition="#g">Gewicht</hi> der Flüssigkeit variirt, und die Ueber-<lb/>
legung in dieser einfachen Form nicht mehr zulässig ist.</p><lb/>
          <p>Jakob Bernoulli selbst löst die Aufgabe, indem er<lb/>
wieder annimmt, dass auch das kleine Curvenstück <hi rendition="#g"><hi rendition="#i">FF<hi rendition="#sub">&#x2034;</hi></hi></hi><lb/>
Fig. 227 noch die verlangte Eigenschaft hat, und indem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0418] Viertes Kapitel. Lösung auch richtig, dies gilt aber nicht von der all- gemeinen Formel. Hierauf erbot sich Jakob Bernoulli, erstens den Ge- dankengang seines Bruders zu errathen, zweitens die Widersprüche und Fehler in demselben nachzuweisen, und drittens die wahre Auflösung zu geben. Die gegen- seitige Eifersucht und Gereiztheit der beiden Brüder kam hierdurch zum Ausbruch und führte zu einem unerquicklichen bittern und heftigen Streite, der bis zu dem Tode Jakob’s währte. Nach Jakob’s Tode gestand Johann seinen Irrthum ein, und nahm die richtige Me- thode seines Bruders an. Jakob Bernoulli hat wol richtig errathen, dass Jo- hann wahrscheinlich durch die Ergebnisse seiner Unter- suchungen über die Kettenlinie und die Segelcurve ver- führt, wieder eine indirecte Lösung versucht hat, in- dem er sich BFN mit Flüssigkeit von variablem spe- cifischem Gewicht gefüllt gedacht, und die Curve BFN für die tiefste Lage des Schwerpunktes bestimmt hat. Setzt man die Ordinate PZ=p, so soll in der Ordi- nate PF=x das specifische Gewicht der Flüssig- keit [FORMEL] sein, und analog in jeder andern Ordinate. Das Gewicht eines verticalen Fadens ist dann [FORMEL], und dessen Moment in Bezug auf BN ist [FORMEL] Für die tiefste Lage des Schwerpunktes wird also ½∫pdy oder ∫pdy=BZN ein Maximum. Hierbei wird aber, wie Jakob Bernoulli richtig bemerkt, über- sehen, dass mit der Variation der Curve BFN auch das Gewicht der Flüssigkeit variirt, und die Ueber- legung in dieser einfachen Form nicht mehr zulässig ist. Jakob Bernoulli selbst löst die Aufgabe, indem er wieder annimmt, dass auch das kleine Curvenstück FF‴ Fig. 227 noch die verlangte Eigenschaft hat, und indem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/418
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/418>, abgerufen am 23.11.2024.