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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Entwickelung der Principien der Statik.
selbst erklärt, und welches durch deren Vorhandensein, das
ja eine Thatsache für sich ist, wieder gestützt wird. So
verhält es sich auch, wenn man genau zusieht, in dem
Stevin'schen Fall.

3. Die Betrachtung von Stevin erscheint uns so
geistreich, weil das Resultat, zu welchem er gelangt,
mehr zu enthalten scheint, als die Voraussetzung, von
welcher er ausgeht. Während wir einerseits das Resul-
tat zur Vermeidung von Widersprüchen gelten lassen
müssen, bleibt andererseits ein Reiz übrig, der uns an-
treibt, nach weiterer Einsicht zu streben. Hätte Stevin
die ganze Thatsache nach allen Seiten klar gelegt, wie
dies später Galilei gethan hat, so würde uns seine
Ueberlegung nicht mehr geistreich erscheinen, wir wür-
den aber einen viel mehr befriedigenden und klaren Ein-
blick erhalten. In der geschlossenen Kette, welche auf
dem Prisma nicht gleitet, liegt in der That schon alles.
Wir könnten sagen, die Kette gleitet nicht, weil hier-
bei kein Sinken der schweren Körper eintritt. Dies
wäre nicht genau, denn manche Kettenglieder sinken
wirklich bei der Bewegung der Kette, während andere
dafür steigen. Wir müssen also genauer sagen, die
Kette gleitet nicht, weil für jeden Körper, der sinken
könnte, ein gleich schwerer, gleich hoch, oder ein Kör-
per von doppeltem Gewicht zur halben Höhe u. s. w.
steigen müsste. Dieses Verhältniss war Stevin, der es
auch in seiner Lehre von den Rollen darlegte und be-
nutzte, bekannt; er war aber offenbar zu mistrauisch
gegen sich, das Gesetz auch ohne weitere Stütze als
für die schiefe Ebene gültig hinzustellen. Bestünde
aber ein solches Gesetz nicht allgemein, so hätte die
instinctive Erkenntniss bezüglich der geschlossenen
Kette gar nie entstehen können. Hiermit sind wir
vollständig aufgeklärt. -- Dass Stevin in seinen Ueber-
legungen nicht so weit gegangen ist, und sich damit
begnügt hat, seine (indirect gefundenen) Begriffe mit
seinem instinctiven Denken in Uebereinstimmung zu
bringen, braucht uns nicht weiter zu stören.

Entwickelung der Principien der Statik.
selbst erklärt, und welches durch deren Vorhandensein, das
ja eine Thatsache für sich ist, wieder gestützt wird. So
verhält es sich auch, wenn man genau zusieht, in dem
Stevin’schen Fall.

3. Die Betrachtung von Stevin erscheint uns so
geistreich, weil das Resultat, zu welchem er gelangt,
mehr zu enthalten scheint, als die Voraussetzung, von
welcher er ausgeht. Während wir einerseits das Resul-
tat zur Vermeidung von Widersprüchen gelten lassen
müssen, bleibt andererseits ein Reiz übrig, der uns an-
treibt, nach weiterer Einsicht zu streben. Hätte Stevin
die ganze Thatsache nach allen Seiten klar gelegt, wie
dies später Galilei gethan hat, so würde uns seine
Ueberlegung nicht mehr geistreich erscheinen, wir wür-
den aber einen viel mehr befriedigenden und klaren Ein-
blick erhalten. In der geschlossenen Kette, welche auf
dem Prisma nicht gleitet, liegt in der That schon alles.
Wir könnten sagen, die Kette gleitet nicht, weil hier-
bei kein Sinken der schweren Körper eintritt. Dies
wäre nicht genau, denn manche Kettenglieder sinken
wirklich bei der Bewegung der Kette, während andere
dafür steigen. Wir müssen also genauer sagen, die
Kette gleitet nicht, weil für jeden Körper, der sinken
könnte, ein gleich schwerer, gleich hoch, oder ein Kör-
per von doppeltem Gewicht zur halben Höhe u. s. w.
steigen müsste. Dieses Verhältniss war Stevin, der es
auch in seiner Lehre von den Rollen darlegte und be-
nutzte, bekannt; er war aber offenbar zu mistrauisch
gegen sich, das Gesetz auch ohne weitere Stütze als
für die schiefe Ebene gültig hinzustellen. Bestünde
aber ein solches Gesetz nicht allgemein, so hätte die
instinctive Erkenntniss bezüglich der geschlossenen
Kette gar nie entstehen können. Hiermit sind wir
vollständig aufgeklärt. — Dass Stevin in seinen Ueber-
legungen nicht so weit gegangen ist, und sich damit
begnügt hat, seine (indirect gefundenen) Begriffe mit
seinem instinctiven Denken in Uebereinstimmung zu
bringen, braucht uns nicht weiter zu stören.

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[27/0039] Entwickelung der Principien der Statik. selbst erklärt, und welches durch deren Vorhandensein, das ja eine Thatsache für sich ist, wieder gestützt wird. So verhält es sich auch, wenn man genau zusieht, in dem Stevin’schen Fall. 3. Die Betrachtung von Stevin erscheint uns so geistreich, weil das Resultat, zu welchem er gelangt, mehr zu enthalten scheint, als die Voraussetzung, von welcher er ausgeht. Während wir einerseits das Resul- tat zur Vermeidung von Widersprüchen gelten lassen müssen, bleibt andererseits ein Reiz übrig, der uns an- treibt, nach weiterer Einsicht zu streben. Hätte Stevin die ganze Thatsache nach allen Seiten klar gelegt, wie dies später Galilei gethan hat, so würde uns seine Ueberlegung nicht mehr geistreich erscheinen, wir wür- den aber einen viel mehr befriedigenden und klaren Ein- blick erhalten. In der geschlossenen Kette, welche auf dem Prisma nicht gleitet, liegt in der That schon alles. Wir könnten sagen, die Kette gleitet nicht, weil hier- bei kein Sinken der schweren Körper eintritt. Dies wäre nicht genau, denn manche Kettenglieder sinken wirklich bei der Bewegung der Kette, während andere dafür steigen. Wir müssen also genauer sagen, die Kette gleitet nicht, weil für jeden Körper, der sinken könnte, ein gleich schwerer, gleich hoch, oder ein Kör- per von doppeltem Gewicht zur halben Höhe u. s. w. steigen müsste. Dieses Verhältniss war Stevin, der es auch in seiner Lehre von den Rollen darlegte und be- nutzte, bekannt; er war aber offenbar zu mistrauisch gegen sich, das Gesetz auch ohne weitere Stütze als für die schiefe Ebene gültig hinzustellen. Bestünde aber ein solches Gesetz nicht allgemein, so hätte die instinctive Erkenntniss bezüglich der geschlossenen Kette gar nie entstehen können. Hiermit sind wir vollständig aufgeklärt. — Dass Stevin in seinen Ueber- legungen nicht so weit gegangen ist, und sich damit begnügt hat, seine (indirect gefundenen) Begriffe mit seinem instinctiven Denken in Uebereinstimmung zu bringen, braucht uns nicht weiter zu stören.

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/39>, abgerufen am 24.11.2024.