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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Die Entwickelung der Principien der Dynamik.
auch die Bewegung in Kegelschnitten, speciell in Ellipsen
erklärt, nur mehr eine rein mathematische Leistung.

3. Ausser der eben besprochenen durch Kepler,
Galilei und Huyghens vollkommen vorbereiteten Ver-
standesleistung
bleibt aber noch eine durchaus nicht zu
unterschätzende Phantasieleistung Newton's zu wür-
digen übrig. Ja wir nehmen keinen Anstand, gerade diese
für die bedeutendste zu halten. Welcher Natur ist die
Beschleunigung, welche die krummlinige Bewegung der
Planeten um die Sonne, der Satelliten um die Planeten
bedingt?

Newton hat mit grosser Kühnheit des Gedankens
erkannt, und zwar zunächst am Beispiel des Mondes,
dass diese Beschleunigung von der uns bekannten
Schwerebeschleunigung nicht wesentlich verschieden sei.
Wahrscheinlich war es das bereits erwähnte Princip der
Continuität, welches auch bei Galilei so Grosses ge-
leistet hat, das ihn zu dieser Entdeckung geführt hat.
Er war gewohnt, und diese Gewohnheit scheint jedem
wahrhaft grossen Forscher eigen zu sein, eine einmal
gefasste Vorstellung auch für Fälle mit modificirten
Umständen, soweit als möglich festzuhalten, in den
Vorstellungen dieselbe Gleichförmigkeit zu bewahren,
welche uns die Natur in ihren Vorgängen kennen lehrt.
Was einmal und irgendwo eine Eigenschaft der Natur
ist, das findet sich, wenn auch nicht gleich auffallend,
immer und überall wieder. Wenn die Erdschwere nicht
nur auf der Oberfläche der Erde, sondern auch auf hohen
Bergen und in tiefen Schachten beobachtet wird, so
stellt sich der an Continuität der Gedanken gewöhnte
Naturforscher auch in grössern Höhen und Tiefen, als
sie uns zugänglich sind, die Erdschwere wirksam vor.
Er frägt sich: Wo liegt die Grenze für die Wirkung der
Erdschwere? Sollte sie nicht bis zum Monde reichen?
Mit dieser Frage ist der gewaltige Aufschwung der
Phantasie gewonnen, von dem die grosse wissenschaft-
liche Leistung bei Newton's Verstandeskraft nur eine
nothwendige Folge war.

Mach. 12

Die Entwickelung der Principien der Dynamik.
auch die Bewegung in Kegelschnitten, speciell in Ellipsen
erklärt, nur mehr eine rein mathematische Leistung.

3. Ausser der eben besprochenen durch Kepler,
Galilei und Huyghens vollkommen vorbereiteten Ver-
standesleistung
bleibt aber noch eine durchaus nicht zu
unterschätzende Phantasieleistung Newton’s zu wür-
digen übrig. Ja wir nehmen keinen Anstand, gerade diese
für die bedeutendste zu halten. Welcher Natur ist die
Beschleunigung, welche die krummlinige Bewegung der
Planeten um die Sonne, der Satelliten um die Planeten
bedingt?

Newton hat mit grosser Kühnheit des Gedankens
erkannt, und zwar zunächst am Beispiel des Mondes,
dass diese Beschleunigung von der uns bekannten
Schwerebeschleunigung nicht wesentlich verschieden sei.
Wahrscheinlich war es das bereits erwähnte Princip der
Continuität, welches auch bei Galilei so Grosses ge-
leistet hat, das ihn zu dieser Entdeckung geführt hat.
Er war gewohnt, und diese Gewohnheit scheint jedem
wahrhaft grossen Forscher eigen zu sein, eine einmal
gefasste Vorstellung auch für Fälle mit modificirten
Umständen, soweit als möglich festzuhalten, in den
Vorstellungen dieselbe Gleichförmigkeit zu bewahren,
welche uns die Natur in ihren Vorgängen kennen lehrt.
Was einmal und irgendwo eine Eigenschaft der Natur
ist, das findet sich, wenn auch nicht gleich auffallend,
immer und überall wieder. Wenn die Erdschwere nicht
nur auf der Oberfläche der Erde, sondern auch auf hohen
Bergen und in tiefen Schachten beobachtet wird, so
stellt sich der an Continuität der Gedanken gewöhnte
Naturforscher auch in grössern Höhen und Tiefen, als
sie uns zugänglich sind, die Erdschwere wirksam vor.
Er frägt sich: Wo liegt die Grenze für die Wirkung der
Erdschwere? Sollte sie nicht bis zum Monde reichen?
Mit dieser Frage ist der gewaltige Aufschwung der
Phantasie gewonnen, von dem die grosse wissenschaft-
liche Leistung bei Newton’s Verstandeskraft nur eine
nothwendige Folge war.

Mach. 12
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[177/0189] Die Entwickelung der Principien der Dynamik. auch die Bewegung in Kegelschnitten, speciell in Ellipsen erklärt, nur mehr eine rein mathematische Leistung. 3. Ausser der eben besprochenen durch Kepler, Galilei und Huyghens vollkommen vorbereiteten Ver- standesleistung bleibt aber noch eine durchaus nicht zu unterschätzende Phantasieleistung Newton’s zu wür- digen übrig. Ja wir nehmen keinen Anstand, gerade diese für die bedeutendste zu halten. Welcher Natur ist die Beschleunigung, welche die krummlinige Bewegung der Planeten um die Sonne, der Satelliten um die Planeten bedingt? Newton hat mit grosser Kühnheit des Gedankens erkannt, und zwar zunächst am Beispiel des Mondes, dass diese Beschleunigung von der uns bekannten Schwerebeschleunigung nicht wesentlich verschieden sei. Wahrscheinlich war es das bereits erwähnte Princip der Continuität, welches auch bei Galilei so Grosses ge- leistet hat, das ihn zu dieser Entdeckung geführt hat. Er war gewohnt, und diese Gewohnheit scheint jedem wahrhaft grossen Forscher eigen zu sein, eine einmal gefasste Vorstellung auch für Fälle mit modificirten Umständen, soweit als möglich festzuhalten, in den Vorstellungen dieselbe Gleichförmigkeit zu bewahren, welche uns die Natur in ihren Vorgängen kennen lehrt. Was einmal und irgendwo eine Eigenschaft der Natur ist, das findet sich, wenn auch nicht gleich auffallend, immer und überall wieder. Wenn die Erdschwere nicht nur auf der Oberfläche der Erde, sondern auch auf hohen Bergen und in tiefen Schachten beobachtet wird, so stellt sich der an Continuität der Gedanken gewöhnte Naturforscher auch in grössern Höhen und Tiefen, als sie uns zugänglich sind, die Erdschwere wirksam vor. Er frägt sich: Wo liegt die Grenze für die Wirkung der Erdschwere? Sollte sie nicht bis zum Monde reichen? Mit dieser Frage ist der gewaltige Aufschwung der Phantasie gewonnen, von dem die grosse wissenschaft- liche Leistung bei Newton’s Verstandeskraft nur eine nothwendige Folge war. Mach. 12

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/189>, abgerufen am 03.05.2024.