Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel.
stante Kraft, folglich erzeugt sie in jedem gleichen
Zeitelement den gleichen Geschwindigkeitszuwachs, und
die Bewegung wird eine gleichförmig beschleunigte."
Eine solche Darstellung wäre deshalb unhistorisch, und
würde die ganze Entdeckung in ein falsches Licht
stellen, weil durch Galilei erst der heutige Kraftbegriff
geschaffen worden ist. Vor Galilei kannte man die
Kraft nur als einen Druck. Nun kann niemand, der
es nicht erfahren hat, wissen, dass Druck überhaupt
Bewegung mit sich bringt, noch viel weniger aber wie
Druck in Bewegung übergeht, dass durch den Druck
keine Lage und auch keine Geschwindigkeit, sondern
eine Beschleunigung bestimmt ist. Das lässt sich nicht
herausphilosophiren. Es lassen sich darüber Ver-
muthungen aufstellen. Die Erfahrung allein kann aber
darüber endgültig belehren.

10. Dass also die bewegungsbestimmenden Umstände
(Kräfte) Beschleunigungen bestimmen, ist durchaus
nicht selbstverständlich. Ein Blick auf andere physi-
kalische Gebiete macht das sofort deutlich. Die Tem-
peraturdifferenzen der Körper bestimmen auch Ver-
änderungen. Durch die Temperaturdifferenzen sind
aber nicht Ausgleichsbeschleunigungen, sondern
Ausgleichsgeschwindigkeiten bestimmt.

Dass durch die bewegungsbestimmenden Umstände
Beschleunigungen gesetzt werden, hat Galilei in den
Naturvorgängen erschaut. Auch andere vor ihm ha-
ben manches erschaut. Wenn man sagt, dass jedes
Ding seinen Ort suche, so liegt darin auch eine richtige
Beobachtung. Die Beobachtung gilt nur nicht überall
und ist nicht erschöpfend. Wenn wir z. B. einen Stein
aufwärts werfen, so sucht er seinen Ort, welcher unten
ist, nicht mehr. Die Beschleunigung gegen die Erde,
die Verzögerung der Aufwärtsbewegung, die Galilei zu-
erst gesehen hat, ist aber immer noch vorhanden. Seine
Beobachtung bleibt immer richtig, sie gilt allgemeiner, sie
erfasst viel mehr mit einem Blick.

11. Wir haben schon erwähnt, dass Galilei ganz

Zweites Kapitel.
stante Kraft, folglich erzeugt sie in jedem gleichen
Zeitelement den gleichen Geschwindigkeitszuwachs, und
die Bewegung wird eine gleichförmig beschleunigte.‟
Eine solche Darstellung wäre deshalb unhistorisch, und
würde die ganze Entdeckung in ein falsches Licht
stellen, weil durch Galilei erst der heutige Kraftbegriff
geschaffen worden ist. Vor Galilei kannte man die
Kraft nur als einen Druck. Nun kann niemand, der
es nicht erfahren hat, wissen, dass Druck überhaupt
Bewegung mit sich bringt, noch viel weniger aber wie
Druck in Bewegung übergeht, dass durch den Druck
keine Lage und auch keine Geschwindigkeit, sondern
eine Beschleunigung bestimmt ist. Das lässt sich nicht
herausphilosophiren. Es lassen sich darüber Ver-
muthungen aufstellen. Die Erfahrung allein kann aber
darüber endgültig belehren.

10. Dass also die bewegungsbestimmenden Umstände
(Kräfte) Beschleunigungen bestimmen, ist durchaus
nicht selbstverständlich. Ein Blick auf andere physi-
kalische Gebiete macht das sofort deutlich. Die Tem-
peraturdifferenzen der Körper bestimmen auch Ver-
änderungen. Durch die Temperaturdifferenzen sind
aber nicht Ausgleichsbeschleunigungen, sondern
Ausgleichsgeschwindigkeiten bestimmt.

Dass durch die bewegungsbestimmenden Umstände
Beschleunigungen gesetzt werden, hat Galilei in den
Naturvorgängen erschaut. Auch andere vor ihm ha-
ben manches erschaut. Wenn man sagt, dass jedes
Ding seinen Ort suche, so liegt darin auch eine richtige
Beobachtung. Die Beobachtung gilt nur nicht überall
und ist nicht erschöpfend. Wenn wir z. B. einen Stein
aufwärts werfen, so sucht er seinen Ort, welcher unten
ist, nicht mehr. Die Beschleunigung gegen die Erde,
die Verzögerung der Aufwärtsbewegung, die Galilei zu-
erst gesehen hat, ist aber immer noch vorhanden. Seine
Beobachtung bleibt immer richtig, sie gilt allgemeiner, sie
erfasst viel mehr mit einem Blick.

11. Wir haben schon erwähnt, dass Galilei ganz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="130"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel.</fw><lb/>
stante Kraft, <hi rendition="#g">folglich</hi> erzeugt sie in jedem gleichen<lb/>
Zeitelement den gleichen Geschwindigkeitszuwachs, und<lb/>
die Bewegung wird eine gleichförmig beschleunigte.&#x201F;<lb/>
Eine solche Darstellung wäre deshalb unhistorisch, und<lb/>
würde die ganze Entdeckung in ein falsches Licht<lb/>
stellen, weil durch Galilei erst der heutige Kraftbegriff<lb/>
geschaffen worden ist. Vor Galilei kannte man die<lb/><hi rendition="#g">Kraft</hi> nur als einen <hi rendition="#g">Druck</hi>. Nun kann niemand, der<lb/>
es nicht erfahren hat, wissen, dass Druck überhaupt<lb/>
Bewegung mit sich bringt, noch viel weniger aber <hi rendition="#g">wie</hi><lb/>
Druck in Bewegung übergeht, dass durch den Druck<lb/>
keine Lage und auch keine Geschwindigkeit, sondern<lb/>
eine Beschleunigung bestimmt ist. Das lässt sich nicht<lb/>
herausphilosophiren. Es lassen sich darüber Ver-<lb/>
muthungen aufstellen. Die Erfahrung allein kann aber<lb/>
darüber endgültig belehren.</p><lb/>
          <p>10. Dass also die bewegungsbestimmenden Umstände<lb/>
(Kräfte) <hi rendition="#g">Beschleunigungen</hi> bestimmen, ist durchaus<lb/>
nicht selbstverständlich. Ein Blick auf andere physi-<lb/>
kalische Gebiete macht das sofort deutlich. Die Tem-<lb/>
peraturdifferenzen der Körper bestimmen auch Ver-<lb/>
änderungen. Durch die Temperaturdifferenzen sind<lb/>
aber nicht Ausgleichs<hi rendition="#g">beschleunigungen,</hi> sondern<lb/>
Ausgleichs<hi rendition="#g">geschwindigkeiten</hi> bestimmt.</p><lb/>
          <p>Dass durch die bewegungsbestimmenden Umstände<lb/>
Beschleunigungen gesetzt werden, hat Galilei in den<lb/>
Naturvorgängen <hi rendition="#g">erschaut</hi>. Auch andere vor ihm ha-<lb/>
ben manches erschaut. Wenn man sagt, dass jedes<lb/>
Ding seinen Ort suche, so liegt darin auch eine richtige<lb/>
Beobachtung. Die Beobachtung gilt nur nicht überall<lb/>
und ist nicht erschöpfend. Wenn wir z. B. einen Stein<lb/>
aufwärts werfen, so sucht er seinen Ort, welcher unten<lb/>
ist, nicht mehr. Die Beschleunigung gegen die Erde,<lb/>
die Verzögerung der Aufwärtsbewegung, die Galilei zu-<lb/>
erst gesehen hat, ist aber immer noch vorhanden. Seine<lb/>
Beobachtung bleibt immer richtig, sie gilt allgemeiner, sie<lb/>
erfasst <hi rendition="#g">viel mehr mit einem Blick</hi>.</p><lb/>
          <p>11. Wir haben schon erwähnt, dass Galilei ganz<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0142] Zweites Kapitel. stante Kraft, folglich erzeugt sie in jedem gleichen Zeitelement den gleichen Geschwindigkeitszuwachs, und die Bewegung wird eine gleichförmig beschleunigte.‟ Eine solche Darstellung wäre deshalb unhistorisch, und würde die ganze Entdeckung in ein falsches Licht stellen, weil durch Galilei erst der heutige Kraftbegriff geschaffen worden ist. Vor Galilei kannte man die Kraft nur als einen Druck. Nun kann niemand, der es nicht erfahren hat, wissen, dass Druck überhaupt Bewegung mit sich bringt, noch viel weniger aber wie Druck in Bewegung übergeht, dass durch den Druck keine Lage und auch keine Geschwindigkeit, sondern eine Beschleunigung bestimmt ist. Das lässt sich nicht herausphilosophiren. Es lassen sich darüber Ver- muthungen aufstellen. Die Erfahrung allein kann aber darüber endgültig belehren. 10. Dass also die bewegungsbestimmenden Umstände (Kräfte) Beschleunigungen bestimmen, ist durchaus nicht selbstverständlich. Ein Blick auf andere physi- kalische Gebiete macht das sofort deutlich. Die Tem- peraturdifferenzen der Körper bestimmen auch Ver- änderungen. Durch die Temperaturdifferenzen sind aber nicht Ausgleichsbeschleunigungen, sondern Ausgleichsgeschwindigkeiten bestimmt. Dass durch die bewegungsbestimmenden Umstände Beschleunigungen gesetzt werden, hat Galilei in den Naturvorgängen erschaut. Auch andere vor ihm ha- ben manches erschaut. Wenn man sagt, dass jedes Ding seinen Ort suche, so liegt darin auch eine richtige Beobachtung. Die Beobachtung gilt nur nicht überall und ist nicht erschöpfend. Wenn wir z. B. einen Stein aufwärts werfen, so sucht er seinen Ort, welcher unten ist, nicht mehr. Die Beschleunigung gegen die Erde, die Verzögerung der Aufwärtsbewegung, die Galilei zu- erst gesehen hat, ist aber immer noch vorhanden. Seine Beobachtung bleibt immer richtig, sie gilt allgemeiner, sie erfasst viel mehr mit einem Blick. 11. Wir haben schon erwähnt, dass Galilei ganz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/142
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/142>, abgerufen am 02.05.2024.