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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Kraft der Herzzusammenziehung.
kurze Zeit, minutenlang, während sie stundenlang andauern nach starken Ermüdun-
gen der Muskulatur des Gehapparates. Daraus ergiebt sich, dass der Puls im Stehen
ein anderer ist, als im Sitzen und hier ein anderer, als im Liegen. Bei vielen Men-
schen ist schon durch Kieferbewegung der Pulsschlag zu beschleunigen. -- Nach
Guy*) soll mit passiven Bewegungen des Körpers die Zahl der Pulsschläge wach-
sen und durch Niederhängen des Kopfes abnehmen. Im Schlaf nimmt zum Theil aus
hier entwickelten Gründen die Zahl der Pulsschläge ab.

3. Nach Volkmann**) und Guy nimmt in den ersten Jahren die mittlere Puls-
zahl rasch ab, dann aber allmählig bis zur Zeit der Pubertät zu, von da an erhält sie
sich constant, bis in das höhere Greisenalter, wo sie sich wieder um etwas hebt.
Die Beobachtungen, welche diesen Behauptungen zu Grunde liegen, sind sämmtlich
im Sitzen vor dem Mittagsmahl genommen; wie lange nach dem Genuss von Nah-
rung oder nach Bewegungen, ist nicht angegeben.

4. Mit der Körperlänge nimmt der Puls ab, so dass namentlich das grössere
unter zwei gleich alten Individuen einen langsameren Puls hat, als das kleinere.
Versuche, Pulszahl und Körperlänge durch eine empirische Formel in Zusammenhang
zu bringen, siehe bei Volkmann***), Rameaux und Serrus+) etc.

5. Der Puls der Frauen ist im Allgemeinen schneller, als der der Männer bei
Gleichheit des Alters, der Lebensart und Körpergrösse. Im Kindesalter tritt die
Differenz weniger zu Tage, als im spätern.

6. Nach einem voluminösem Aderlasse steigt die Geschwindigkeit des Herz-
schlags (Volkmann)++).

4. Die Kraft, mit welcher sich der Herzmuskel zusammen-
zieht, kann zwar, wie aus früher entwickelten Gründen+++) hervorgeht,
nicht gemessen werden; aber es ist immerhin möglich, grobe Unter-
schiede zwischen der von ihm zu verschiedenen Zeiten entwickelten Kraft
aufzufassen. Denn einmal ändert sich mit den Umständen ebensowohl
der Umfang der Verkürzung, indem z. B. ein stark mit Blut erfülltes
Herz sich mehr oder weniger vollständig entleert, und anderweit ändert
sich auch bei gleichem Umfang der Zusammenziehung die Härte des
zusammengezogenen Herzens, oder anders ausgedrückt, die Spannung,
in welche die Herzmuskeln gerathen. Da diese verschiedene Leistungs-
fähigkeit abhängig sein kann von dem Erregungswerth, welchen der auto-
matische Apparat aussendet, von der gleichzeitigen Anwesenheit ander-
weiter Erreger und endlich von dem Erregbarkeitsgrad der Nerven und
Muskeln des Herzens, so würde man sich eine unlösbare Aufgabe stellen,
wenn man den Antheil der verschiedenen Bedingungen an der jeweiligen Er-
scheinung angeben wollte. Statt dessen müssen wir uns beschränken auf die
Angabe einiger Umstände, in denen die Kraft der Bewegungen veränderlich
wird. Hierher zählen wir: a. Der Umfang der Zusammenziehung wird
geringer, wenn das Herz abgekühlt, wenn der Blutstrom in ihm ge-

*) Valentins Jahresbericht über Physiologie. 1848. p. 123.
**) Haemodynamik. p. 433.
***) l. c. p. 430.
+) Bulletin de l'academie de Bruxelles. 1839.
++) l. c. p. 371. -- Die andere hierhergehörige Litteratur siehe in der sorgsamen Handleiding von
Donders und Bauduin. II. Bd. 102.
+++) I. Bd. p. 342.

Kraft der Herzzusammenziehung.
kurze Zeit, minutenlang, während sie stundenlang andauern nach starken Ermüdun-
gen der Muskulatur des Gehapparates. Daraus ergiebt sich, dass der Puls im Stehen
ein anderer ist, als im Sitzen und hier ein anderer, als im Liegen. Bei vielen Men-
schen ist schon durch Kieferbewegung der Pulsschlag zu beschleunigen. — Nach
Guy*) soll mit passiven Bewegungen des Körpers die Zahl der Pulsschläge wach-
sen und durch Niederhängen des Kopfes abnehmen. Im Schlaf nimmt zum Theil aus
hier entwickelten Gründen die Zahl der Pulsschläge ab.

3. Nach Volkmann**) und Guy nimmt in den ersten Jahren die mittlere Puls-
zahl rasch ab, dann aber allmählig bis zur Zeit der Pubertät zu, von da an erhält sie
sich constant, bis in das höhere Greisenalter, wo sie sich wieder um etwas hebt.
Die Beobachtungen, welche diesen Behauptungen zu Grunde liegen, sind sämmtlich
im Sitzen vor dem Mittagsmahl genommen; wie lange nach dem Genuss von Nah-
rung oder nach Bewegungen, ist nicht angegeben.

4. Mit der Körperlänge nimmt der Puls ab, so dass namentlich das grössere
unter zwei gleich alten Individuen einen langsameren Puls hat, als das kleinere.
Versuche, Pulszahl und Körperlänge durch eine empirische Formel in Zusammenhang
zu bringen, siehe bei Volkmann***), Rameaux und Serrus†) etc.

5. Der Puls der Frauen ist im Allgemeinen schneller, als der der Männer bei
Gleichheit des Alters, der Lebensart und Körpergrösse. Im Kindesalter tritt die
Differenz weniger zu Tage, als im spätern.

6. Nach einem voluminösem Aderlasse steigt die Geschwindigkeit des Herz-
schlags (Volkmann)††).

4. Die Kraft, mit welcher sich der Herzmuskel zusammen-
zieht, kann zwar, wie aus früher entwickelten Gründen†††) hervorgeht,
nicht gemessen werden; aber es ist immerhin möglich, grobe Unter-
schiede zwischen der von ihm zu verschiedenen Zeiten entwickelten Kraft
aufzufassen. Denn einmal ändert sich mit den Umständen ebensowohl
der Umfang der Verkürzung, indem z. B. ein stark mit Blut erfülltes
Herz sich mehr oder weniger vollständig entleert, und anderweit ändert
sich auch bei gleichem Umfang der Zusammenziehung die Härte des
zusammengezogenen Herzens, oder anders ausgedrückt, die Spannung,
in welche die Herzmuskeln gerathen. Da diese verschiedene Leistungs-
fähigkeit abhängig sein kann von dem Erregungswerth, welchen der auto-
matische Apparat aussendet, von der gleichzeitigen Anwesenheit ander-
weiter Erreger und endlich von dem Erregbarkeitsgrad der Nerven und
Muskeln des Herzens, so würde man sich eine unlösbare Aufgabe stellen,
wenn man den Antheil der verschiedenen Bedingungen an der jeweiligen Er-
scheinung angeben wollte. Statt dessen müssen wir uns beschränken auf die
Angabe einiger Umstände, in denen die Kraft der Bewegungen veränderlich
wird. Hierher zählen wir: a. Der Umfang der Zusammenziehung wird
geringer, wenn das Herz abgekühlt, wenn der Blutstrom in ihm ge-

*) Valentins Jahresbericht über Physiologie. 1848. p. 123.
**) Haemodynamik. p. 433.
***) l. c. p. 430.
†) Bulletin de l’academie de Bruxelles. 1839.
††) l. c. p. 371. — Die andere hierhergehörige Litteratur siehe in der sorgsamen Handleiding von
Donders und Bauduin. II. Bd. 102.
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[73/0089] Kraft der Herzzusammenziehung. kurze Zeit, minutenlang, während sie stundenlang andauern nach starken Ermüdun- gen der Muskulatur des Gehapparates. Daraus ergiebt sich, dass der Puls im Stehen ein anderer ist, als im Sitzen und hier ein anderer, als im Liegen. Bei vielen Men- schen ist schon durch Kieferbewegung der Pulsschlag zu beschleunigen. — Nach Guy *) soll mit passiven Bewegungen des Körpers die Zahl der Pulsschläge wach- sen und durch Niederhängen des Kopfes abnehmen. Im Schlaf nimmt zum Theil aus hier entwickelten Gründen die Zahl der Pulsschläge ab. 3. Nach Volkmann **) und Guy nimmt in den ersten Jahren die mittlere Puls- zahl rasch ab, dann aber allmählig bis zur Zeit der Pubertät zu, von da an erhält sie sich constant, bis in das höhere Greisenalter, wo sie sich wieder um etwas hebt. Die Beobachtungen, welche diesen Behauptungen zu Grunde liegen, sind sämmtlich im Sitzen vor dem Mittagsmahl genommen; wie lange nach dem Genuss von Nah- rung oder nach Bewegungen, ist nicht angegeben. 4. Mit der Körperlänge nimmt der Puls ab, so dass namentlich das grössere unter zwei gleich alten Individuen einen langsameren Puls hat, als das kleinere. Versuche, Pulszahl und Körperlänge durch eine empirische Formel in Zusammenhang zu bringen, siehe bei Volkmann ***), Rameaux und Serrus †) etc. 5. Der Puls der Frauen ist im Allgemeinen schneller, als der der Männer bei Gleichheit des Alters, der Lebensart und Körpergrösse. Im Kindesalter tritt die Differenz weniger zu Tage, als im spätern. 6. Nach einem voluminösem Aderlasse steigt die Geschwindigkeit des Herz- schlags (Volkmann) ††). 4. Die Kraft, mit welcher sich der Herzmuskel zusammen- zieht, kann zwar, wie aus früher entwickelten Gründen †††) hervorgeht, nicht gemessen werden; aber es ist immerhin möglich, grobe Unter- schiede zwischen der von ihm zu verschiedenen Zeiten entwickelten Kraft aufzufassen. Denn einmal ändert sich mit den Umständen ebensowohl der Umfang der Verkürzung, indem z. B. ein stark mit Blut erfülltes Herz sich mehr oder weniger vollständig entleert, und anderweit ändert sich auch bei gleichem Umfang der Zusammenziehung die Härte des zusammengezogenen Herzens, oder anders ausgedrückt, die Spannung, in welche die Herzmuskeln gerathen. Da diese verschiedene Leistungs- fähigkeit abhängig sein kann von dem Erregungswerth, welchen der auto- matische Apparat aussendet, von der gleichzeitigen Anwesenheit ander- weiter Erreger und endlich von dem Erregbarkeitsgrad der Nerven und Muskeln des Herzens, so würde man sich eine unlösbare Aufgabe stellen, wenn man den Antheil der verschiedenen Bedingungen an der jeweiligen Er- scheinung angeben wollte. Statt dessen müssen wir uns beschränken auf die Angabe einiger Umstände, in denen die Kraft der Bewegungen veränderlich wird. Hierher zählen wir: a. Der Umfang der Zusammenziehung wird geringer, wenn das Herz abgekühlt, wenn der Blutstrom in ihm ge- *) Valentins Jahresbericht über Physiologie. 1848. p. 123. **) Haemodynamik. p. 433. ***) l. c. p. 430. †) Bulletin de l’academie de Bruxelles. 1839. ††) l. c. p. 371. — Die andere hierhergehörige Litteratur siehe in der sorgsamen Handleiding von Donders und Bauduin. II. Bd. 102. †††) I. Bd. p. 342.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/89>, abgerufen am 27.04.2024.