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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Reconvaleszenz.
[Tabelle]

Noch deutlicher tritt diese ungleichmässige Zunahme hervor, wenn
man die Gewichte der einzelnen Organe mit einander vergleicht, aus
denen sich u. A. ergiebt, dass bei Neugeborenen der Dünndarm im Ver-
hältniss zum Dickdarm gewichtiger ist, als bei Erwachsenen; dasselbe
gilt für das Pankreas verglichen mit der Milz, dem rechten und linken
Leberlappen. Bekannt ist auch, dass die Geschlechtswerkzeuge, die Brüste
und der Kehlkopf ihr lebhaftestes Wachsthum erst beginnen, wenn das
Skelett seiner vollkommenen Ausbildung nahe ist.

2. Gewichtszunahme nach einer Periode ungenügenden Ersatzes
der täglichen Verluste. Das Körpergewicht kommt in ein eigenthümliches
Steigen, wenn der genügende Stoffgewinn wiederkehrt, nachdem vorgängig
aus irgend welchem Grunde (ungenügende Nahrungsmenge, Leiden der
blutbildenden Organe u. s. w.) das Körpergewicht stetig abgenommen
hatte. Für diesen dem Arzte wichtigen Vorgang besitzen wir bis dahin
nur zwei genauer untersuchte, sich gleichartig verhaltende Beispiele, von
denen das eine pag. 446 (Taube II.) mitgetheilt wurde. Aus diesen geht
hervor, dass die Umsetzung resp. die Ausscheidung der thierischen Koh-
lenstoffatome in den ersten Tagen nach wieder begonnener normalen
Fütterung so rasch anstieg, dass sie schon nach 84 Stunden den im
gesunden Zustande vorhandenen Werth erreichte. Ganz anders das Kör-
pergewicht; in den ersten 48 Stunden steigerte es sich um 31,5 Gr.,
von da an aber wuchs es ungemein langsam, so dass es in den darauf
folgenden 432 Stunden nur um 13,6 Gr. zunahm. Diese unerklärliche
Thatsache verdient weiter verfolgt und wegen ihrer praktischen Bedeutung
auch am Menschen geprüft zu werden.

Aehnliche Versuche an Tauben mit Bestimmung des Körpergewichtes und der
Wärme siehe bei Chossat*). Sie sind nicht vollkommen mit den Beobachtungen
von Boussingault vergleichbar, da die Thiere erst im Augenblicke des bevor-
stehenden Todes wieder gefüttert wurden. Da sie so weit geschwächt waren, dass sie
im Anfange weder gehörig verdauen konnten, noch auch so viel umsetzten, um in der
gewöhnlichen Lufttemperatur ihren normalen Wärmegrad zu erhalten, so müssen die
ersten Tage der wieder beginnenden Fütterung noch als im kranken Zustande ver-
bracht angesehen werden.

3. Mästung. a. Bei sonst gleichen Lebensbedingungen muss der
Nahrung eine besondere quantitative Zusammensetzung zukommen, wenn

*) l. c. p. 195.
Reconvaleszenz.
[Tabelle]

Noch deutlicher tritt diese ungleichmässige Zunahme hervor, wenn
man die Gewichte der einzelnen Organe mit einander vergleicht, aus
denen sich u. A. ergiebt, dass bei Neugeborenen der Dünndarm im Ver-
hältniss zum Dickdarm gewichtiger ist, als bei Erwachsenen; dasselbe
gilt für das Pankreas verglichen mit der Milz, dem rechten und linken
Leberlappen. Bekannt ist auch, dass die Geschlechtswerkzeuge, die Brüste
und der Kehlkopf ihr lebhaftestes Wachsthum erst beginnen, wenn das
Skelett seiner vollkommenen Ausbildung nahe ist.

2. Gewichtszunahme nach einer Periode ungenügenden Ersatzes
der täglichen Verluste. Das Körpergewicht kommt in ein eigenthümliches
Steigen, wenn der genügende Stoffgewinn wiederkehrt, nachdem vorgängig
aus irgend welchem Grunde (ungenügende Nahrungsmenge, Leiden der
blutbildenden Organe u. s. w.) das Körpergewicht stetig abgenommen
hatte. Für diesen dem Arzte wichtigen Vorgang besitzen wir bis dahin
nur zwei genauer untersuchte, sich gleichartig verhaltende Beispiele, von
denen das eine pag. 446 (Taube II.) mitgetheilt wurde. Aus diesen geht
hervor, dass die Umsetzung resp. die Ausscheidung der thierischen Koh-
lenstoffatome in den ersten Tagen nach wieder begonnener normalen
Fütterung so rasch anstieg, dass sie schon nach 84 Stunden den im
gesunden Zustande vorhandenen Werth erreichte. Ganz anders das Kör-
pergewicht; in den ersten 48 Stunden steigerte es sich um 31,5 Gr.,
von da an aber wuchs es ungemein langsam, so dass es in den darauf
folgenden 432 Stunden nur um 13,6 Gr. zunahm. Diese unerklärliche
Thatsache verdient weiter verfolgt und wegen ihrer praktischen Bedeutung
auch am Menschen geprüft zu werden.

Aehnliche Versuche an Tauben mit Bestimmung des Körpergewichtes und der
Wärme siehe bei Chossat*). Sie sind nicht vollkommen mit den Beobachtungen
von Boussingault vergleichbar, da die Thiere erst im Augenblicke des bevor-
stehenden Todes wieder gefüttert wurden. Da sie so weit geschwächt waren, dass sie
im Anfange weder gehörig verdauen konnten, noch auch so viel umsetzten, um in der
gewöhnlichen Lufttemperatur ihren normalen Wärmegrad zu erhalten, so müssen die
ersten Tage der wieder beginnenden Fütterung noch als im kranken Zustande ver-
bracht angesehen werden.

3. Mästung. a. Bei sonst gleichen Lebensbedingungen muss der
Nahrung eine besondere quantitative Zusammensetzung zukommen, wenn

*) l. c. p. 195.
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[456/0472] Reconvaleszenz. Noch deutlicher tritt diese ungleichmässige Zunahme hervor, wenn man die Gewichte der einzelnen Organe mit einander vergleicht, aus denen sich u. A. ergiebt, dass bei Neugeborenen der Dünndarm im Ver- hältniss zum Dickdarm gewichtiger ist, als bei Erwachsenen; dasselbe gilt für das Pankreas verglichen mit der Milz, dem rechten und linken Leberlappen. Bekannt ist auch, dass die Geschlechtswerkzeuge, die Brüste und der Kehlkopf ihr lebhaftestes Wachsthum erst beginnen, wenn das Skelett seiner vollkommenen Ausbildung nahe ist. 2. Gewichtszunahme nach einer Periode ungenügenden Ersatzes der täglichen Verluste. Das Körpergewicht kommt in ein eigenthümliches Steigen, wenn der genügende Stoffgewinn wiederkehrt, nachdem vorgängig aus irgend welchem Grunde (ungenügende Nahrungsmenge, Leiden der blutbildenden Organe u. s. w.) das Körpergewicht stetig abgenommen hatte. Für diesen dem Arzte wichtigen Vorgang besitzen wir bis dahin nur zwei genauer untersuchte, sich gleichartig verhaltende Beispiele, von denen das eine pag. 446 (Taube II.) mitgetheilt wurde. Aus diesen geht hervor, dass die Umsetzung resp. die Ausscheidung der thierischen Koh- lenstoffatome in den ersten Tagen nach wieder begonnener normalen Fütterung so rasch anstieg, dass sie schon nach 84 Stunden den im gesunden Zustande vorhandenen Werth erreichte. Ganz anders das Kör- pergewicht; in den ersten 48 Stunden steigerte es sich um 31,5 Gr., von da an aber wuchs es ungemein langsam, so dass es in den darauf folgenden 432 Stunden nur um 13,6 Gr. zunahm. Diese unerklärliche Thatsache verdient weiter verfolgt und wegen ihrer praktischen Bedeutung auch am Menschen geprüft zu werden. Aehnliche Versuche an Tauben mit Bestimmung des Körpergewichtes und der Wärme siehe bei Chossat *). Sie sind nicht vollkommen mit den Beobachtungen von Boussingault vergleichbar, da die Thiere erst im Augenblicke des bevor- stehenden Todes wieder gefüttert wurden. Da sie so weit geschwächt waren, dass sie im Anfange weder gehörig verdauen konnten, noch auch so viel umsetzten, um in der gewöhnlichen Lufttemperatur ihren normalen Wärmegrad zu erhalten, so müssen die ersten Tage der wieder beginnenden Fütterung noch als im kranken Zustande ver- bracht angesehen werden. 3. Mästung. a. Bei sonst gleichen Lebensbedingungen muss der Nahrung eine besondere quantitative Zusammensetzung zukommen, wenn *) l. c. p. 195.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/472>, abgerufen am 03.05.2024.