Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Proportionaler Gesammtverlust der Organe.
die wichtigeren Organe und insbesondere das Hirn tägliche Verluste auf
Kosten des Fettes und der Skelettmuskeln wieder ersetzen, so lange diese
vorhanden. Zur Unterstützung der letzteren Alternative dient nament-
lich die Beobachtung, dass das Hirn unter allen Organen durch den
Hunger den geringsten proportionalen Verlust erlitten hat, obwohl dieses
Organ, so lange es lebt, nothwendig auch umgesetzt werden muss, denn
ohne dies würde weder sein arterielles Blut in kohlensäurehaltiges ve-
nöses umgewandelt werden können, noch könnte das Organ fortwährend
lebendige Kräfte entwickeln.

Von einem nicht untergeordneten Interesse sind die Beobachtungen über den
proportionalen Gesammtverlust, den die einzelnen Organe durch das Hungern erlei-
den. Da begreiflich ihre Wägung nicht an einem und demselben Thiere vor Beginn
des Hungerns und nach dem Hungertode geschehen kann, so hat man ihren Verlust
auf einem Umwege ermitteln müssen. Zu diesem Ende hat Chossat die Organge-
wichte des verhungerten Thieres mit denen eines entsprechenden normal ernährten
verglichen, das von möglichst gleichem Alter und Gesammtgewicht war, wie das ver-
hungerte Thier vor Beginn des Versuches. Die Zergliederung derselben wurde un-
mittelbar nach dem Tode vorgenommen und die ausgeschnittenen Organe sogleich
gewogen. Hierbei konnte jedoch ein Verlust durch Wasserverdunstung nicht ver-
mieden werden, welcher sich bis zu 8 pCt. steigerte. Um diesen Uebelstand zu
beseitigen, wurden auch die getrockneten Organe mit einander verglichen. Das Mit-
tel aus allen Wägungen lieferte nun die folgende Tafel, in welcher die Zahlen den
Verlust bedeuten, welchen 100 Theile des betreffenden frischen oder wasserfreien
Organes während der ganzen Hungerzeit erleiden.

[Tabelle]

Auf demselben Wege hat Schuehardt für die feuchten Organe ganz ähnliche
Zahlen erhalten.

Schmidt stellte sich auf eine eigenthümliche, von der eben angegebenen ver-
schiedene Weise dadurch ein Normalthier her, dass er an einer wohl ernährten
Katze alle Organe frisch und getrocknet wog und dann das Verhältniss aller zum
Knochen berechnete. Dieselbe Operation nahm er mit der verhungerten Katze vor,
wobei er voraussetzte, dass der trockene Knochen während des Hungers nicht an
Gewicht verloren habe; indem er die Verhältnisszahlen der gefütterten Katze zu
Grunde legte, berechnete er dann, wie schwer jedes einzelne Organ der verhunger-
ten Katze zur Zeit der hinreichenden Fütterung hätte sein müssen, und bestimmte
mit Hilfe dieser hypothetischen Zahlen den Verlustantheil jedes einzelnen während
des Verhungerns. Da wir die täglichen proportionalen Verluste der lebenden Ge-
sammtkatze angegeben haben, für welche Schmidt die Organverluste berechnet hat,
so lassen wir hier auch die von ihm gegebenen Zahlen der letzteren folgen, wobei
wir uns jedoch auf die beschränken, welche mit den Beobachtungen von Chossat

28*

Proportionaler Gesammtverlust der Organe.
die wichtigeren Organe und insbesondere das Hirn tägliche Verluste auf
Kosten des Fettes und der Skelettmuskeln wieder ersetzen, so lange diese
vorhanden. Zur Unterstützung der letzteren Alternative dient nament-
lich die Beobachtung, dass das Hirn unter allen Organen durch den
Hunger den geringsten proportionalen Verlust erlitten hat, obwohl dieses
Organ, so lange es lebt, nothwendig auch umgesetzt werden muss, denn
ohne dies würde weder sein arterielles Blut in kohlensäurehaltiges ve-
nöses umgewandelt werden können, noch könnte das Organ fortwährend
lebendige Kräfte entwickeln.

Von einem nicht untergeordneten Interesse sind die Beobachtungen über den
proportionalen Gesammtverlust, den die einzelnen Organe durch das Hungern erlei-
den. Da begreiflich ihre Wägung nicht an einem und demselben Thiere vor Beginn
des Hungerns und nach dem Hungertode geschehen kann, so hat man ihren Verlust
auf einem Umwege ermitteln müssen. Zu diesem Ende hat Chossat die Organge-
wichte des verhungerten Thieres mit denen eines entsprechenden normal ernährten
verglichen, das von möglichst gleichem Alter und Gesammtgewicht war, wie das ver-
hungerte Thier vor Beginn des Versuches. Die Zergliederung derselben wurde un-
mittelbar nach dem Tode vorgenommen und die ausgeschnittenen Organe sogleich
gewogen. Hierbei konnte jedoch ein Verlust durch Wasserverdunstung nicht ver-
mieden werden, welcher sich bis zu 8 pCt. steigerte. Um diesen Uebelstand zu
beseitigen, wurden auch die getrockneten Organe mit einander verglichen. Das Mit-
tel aus allen Wägungen lieferte nun die folgende Tafel, in welcher die Zahlen den
Verlust bedeuten, welchen 100 Theile des betreffenden frischen oder wasserfreien
Organes während der ganzen Hungerzeit erleiden.

[Tabelle]

Auf demselben Wege hat Schuehardt für die feuchten Organe ganz ähnliche
Zahlen erhalten.

Schmidt stellte sich auf eine eigenthümliche, von der eben angegebenen ver-
schiedene Weise dadurch ein Normalthier her, dass er an einer wohl ernährten
Katze alle Organe frisch und getrocknet wog und dann das Verhältniss aller zum
Knochen berechnete. Dieselbe Operation nahm er mit der verhungerten Katze vor,
wobei er voraussetzte, dass der trockene Knochen während des Hungers nicht an
Gewicht verloren habe; indem er die Verhältnisszahlen der gefütterten Katze zu
Grunde legte, berechnete er dann, wie schwer jedes einzelne Organ der verhunger-
ten Katze zur Zeit der hinreichenden Fütterung hätte sein müssen, und bestimmte
mit Hilfe dieser hypothetischen Zahlen den Verlustantheil jedes einzelnen während
des Verhungerns. Da wir die täglichen proportionalen Verluste der lebenden Ge-
sammtkatze angegeben haben, für welche Schmidt die Organverluste berechnet hat,
so lassen wir hier auch die von ihm gegebenen Zahlen der letzteren folgen, wobei
wir uns jedoch auf die beschränken, welche mit den Beobachtungen von Chossat

28*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0451" n="435"/><fw place="top" type="header">Proportionaler Gesammtverlust der Organe.</fw><lb/>
die wichtigeren Organe und insbesondere das Hirn tägliche Verluste auf<lb/>
Kosten des Fettes und der Skelettmuskeln wieder ersetzen, so lange diese<lb/>
vorhanden. Zur Unterstützung der letzteren Alternative dient nament-<lb/>
lich die Beobachtung, dass das Hirn unter allen Organen durch den<lb/>
Hunger den geringsten proportionalen Verlust erlitten hat, obwohl dieses<lb/>
Organ, so lange es lebt, nothwendig auch umgesetzt werden muss, denn<lb/>
ohne dies würde weder sein arterielles Blut in kohlensäurehaltiges ve-<lb/>
nöses umgewandelt werden können, noch könnte das Organ fortwährend<lb/>
lebendige Kräfte entwickeln.</p><lb/>
          <p>Von einem nicht untergeordneten Interesse sind die Beobachtungen über den<lb/>
proportionalen Gesammtverlust, den die einzelnen Organe durch das Hungern erlei-<lb/>
den. Da begreiflich ihre Wägung nicht an einem und demselben Thiere vor Beginn<lb/>
des Hungerns und nach dem Hungertode geschehen kann, so hat man ihren Verlust<lb/>
auf einem Umwege ermitteln müssen. Zu diesem Ende hat <hi rendition="#g">Chossat</hi> die Organge-<lb/>
wichte des verhungerten Thieres mit denen eines entsprechenden normal ernährten<lb/>
verglichen, das von möglichst gleichem Alter und Gesammtgewicht war, wie das ver-<lb/>
hungerte Thier vor Beginn des Versuches. Die Zergliederung derselben wurde un-<lb/>
mittelbar nach dem Tode vorgenommen und die ausgeschnittenen Organe sogleich<lb/>
gewogen. Hierbei konnte jedoch ein Verlust durch Wasserverdunstung nicht ver-<lb/>
mieden werden, welcher sich bis zu 8 pCt. steigerte. Um diesen Uebelstand zu<lb/>
beseitigen, wurden auch die getrockneten Organe mit einander verglichen. Das Mit-<lb/>
tel aus allen Wägungen lieferte nun die folgende Tafel, in welcher die Zahlen den<lb/>
Verlust bedeuten, welchen 100 Theile des betreffenden frischen oder wasserfreien<lb/>
Organes während der ganzen Hungerzeit erleiden.</p><lb/>
          <table>
            <row>
              <cell/>
            </row>
          </table>
          <p>Auf demselben Wege hat <hi rendition="#g">Schuehardt</hi> für die feuchten Organe ganz ähnliche<lb/>
Zahlen erhalten.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Schmidt</hi> stellte sich auf eine eigenthümliche, von der eben angegebenen ver-<lb/>
schiedene Weise dadurch ein Normalthier her, dass er an einer wohl ernährten<lb/>
Katze alle Organe frisch und getrocknet wog und dann das Verhältniss aller zum<lb/>
Knochen berechnete. Dieselbe Operation nahm er mit der verhungerten Katze vor,<lb/>
wobei er voraussetzte, dass der trockene Knochen während des Hungers nicht an<lb/>
Gewicht verloren habe; indem er die Verhältnisszahlen der gefütterten Katze zu<lb/>
Grunde legte, berechnete er dann, wie schwer jedes einzelne Organ der verhunger-<lb/>
ten Katze zur Zeit der hinreichenden Fütterung hätte sein müssen, und bestimmte<lb/>
mit Hilfe dieser hypothetischen Zahlen den Verlustantheil jedes einzelnen während<lb/>
des Verhungerns. Da wir die täglichen proportionalen Verluste der lebenden Ge-<lb/>
sammtkatze angegeben haben, für welche <hi rendition="#g">Schmidt</hi> die Organverluste berechnet hat,<lb/>
so lassen wir hier auch die von ihm gegebenen Zahlen der letzteren folgen, wobei<lb/>
wir uns jedoch auf die beschränken, welche mit den Beobachtungen von <hi rendition="#g">Chossat</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">28*</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[435/0451] Proportionaler Gesammtverlust der Organe. die wichtigeren Organe und insbesondere das Hirn tägliche Verluste auf Kosten des Fettes und der Skelettmuskeln wieder ersetzen, so lange diese vorhanden. Zur Unterstützung der letzteren Alternative dient nament- lich die Beobachtung, dass das Hirn unter allen Organen durch den Hunger den geringsten proportionalen Verlust erlitten hat, obwohl dieses Organ, so lange es lebt, nothwendig auch umgesetzt werden muss, denn ohne dies würde weder sein arterielles Blut in kohlensäurehaltiges ve- nöses umgewandelt werden können, noch könnte das Organ fortwährend lebendige Kräfte entwickeln. Von einem nicht untergeordneten Interesse sind die Beobachtungen über den proportionalen Gesammtverlust, den die einzelnen Organe durch das Hungern erlei- den. Da begreiflich ihre Wägung nicht an einem und demselben Thiere vor Beginn des Hungerns und nach dem Hungertode geschehen kann, so hat man ihren Verlust auf einem Umwege ermitteln müssen. Zu diesem Ende hat Chossat die Organge- wichte des verhungerten Thieres mit denen eines entsprechenden normal ernährten verglichen, das von möglichst gleichem Alter und Gesammtgewicht war, wie das ver- hungerte Thier vor Beginn des Versuches. Die Zergliederung derselben wurde un- mittelbar nach dem Tode vorgenommen und die ausgeschnittenen Organe sogleich gewogen. Hierbei konnte jedoch ein Verlust durch Wasserverdunstung nicht ver- mieden werden, welcher sich bis zu 8 pCt. steigerte. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, wurden auch die getrockneten Organe mit einander verglichen. Das Mit- tel aus allen Wägungen lieferte nun die folgende Tafel, in welcher die Zahlen den Verlust bedeuten, welchen 100 Theile des betreffenden frischen oder wasserfreien Organes während der ganzen Hungerzeit erleiden. Auf demselben Wege hat Schuehardt für die feuchten Organe ganz ähnliche Zahlen erhalten. Schmidt stellte sich auf eine eigenthümliche, von der eben angegebenen ver- schiedene Weise dadurch ein Normalthier her, dass er an einer wohl ernährten Katze alle Organe frisch und getrocknet wog und dann das Verhältniss aller zum Knochen berechnete. Dieselbe Operation nahm er mit der verhungerten Katze vor, wobei er voraussetzte, dass der trockene Knochen während des Hungers nicht an Gewicht verloren habe; indem er die Verhältnisszahlen der gefütterten Katze zu Grunde legte, berechnete er dann, wie schwer jedes einzelne Organ der verhunger- ten Katze zur Zeit der hinreichenden Fütterung hätte sein müssen, und bestimmte mit Hilfe dieser hypothetischen Zahlen den Verlustantheil jedes einzelnen während des Verhungerns. Da wir die täglichen proportionalen Verluste der lebenden Ge- sammtkatze angegeben haben, für welche Schmidt die Organverluste berechnet hat, so lassen wir hier auch die von ihm gegebenen Zahlen der letzteren folgen, wobei wir uns jedoch auf die beschränken, welche mit den Beobachtungen von Chossat 28*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/451
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/451>, abgerufen am 03.05.2024.