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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Speisen.
den meisten Individuen unter den gebildeten Nationen verzehrt werden,
so gewahrt man bald, dass diese sich im Ganzen doch nur weniger, von
der Natur gebotener Gemische, als Elemente ihrer complizirten Gerichte
und Mahlzeiten bedienen. Zu diesen natürlichen Speisen, auf denen das
leibliche Wohl des besten Theiles der Menschheit ruht, gehört: das
Fleisch einiger Säugethiere (der Wiederkäuer, weniger Nager und Dick-
häuter), einiger Vögel und vieler Fische, die Milch der Wiederkäuer, die
Eier grosser Vögel, das Mehl von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais,
Reis, Bohnen, Erbsen und Kartoffeln, einige Baumfrüchte, einige wenige
Gemüse (Rüben, Kraut u. s. w.) und endlich Quellwasser. Zu diesen
gemischten Nahrungsmitteln kommen schliesslich noch einige einfache
Zucker, Fette, Oele und Kochsalz.

Da der grösste Theil derselben erst dann gegessen wird, nachdem
er in der Küche mancherlei Umwandlungen seines natürlichen Zustan-
des erfahren hat, so wird eine physiologische Betrachtung jener Spei-
sen auf diese Umwandelungen Rücksicht zu nehmen haben. Ganz allge-
mein betrachtet, stellt sich nun die Kochkunst drei ganz verschiedene
Aufgaben. Zuerst mischt sie die natürlichen Speisen noch weiter, na-
mentlich setzt sie ihnen mancherlei Gewürze bei; zweitens befreit sie
die Nahrungsmittel von unverdaulichen Beimengungen, und endlich ver-
ändert sie die Auflöslichkeit derselben in den Verdauungssäften in der
Art, dass sie die Zeit, welche zu ihrer Verdauung nothwendig ist, ent-
weder verlängert oder abkürzt. Von diesen drei Einwirkungen der Koch-
kunst sind die beiden ersten entweder so vielfacher Willkühr unterwor-
fen, oder so einfacher Art, dass sie aus der folgenden Betrachtung aus-
fallen müssen oder können.

Die Lehre von den Speisen hat zunächst zu ermitteln, welche einfachen
Nahrungsstoffe in den Speisen enthalten sind und in welchen Verbindungen
und Aggregatzuständen sie daselbst vorkommen. Dieses aufzudecken ist die
Aufgabe der chemischen Analyse, die sich dabei natürlich nicht darauf be-
schränken darf, den Gehalt der Speisen an C, H, N, O, S u. s. w. anzugeben.

Mit der noch so vollkommenen Einsicht in das chemische Verhal-
ten ist aber noch nicht das physiologisch Wissenswürdige erschöpft,
da die Nahrfähigkeit der Speisen auch noch abhängt von der Arbeit,
welche der Darmkanal nöthig hat, um die Masseneinheit der Nahrung zu
verdauen, oder von dem Antheile der genossenen Speisen, welcher während
des Durchgangs durch den Darmkanal überhaupt aufgenommen wird. All-
gemein lässt sich jedoch hierüber nichts sagen, da der Darmkanal bei ver-
schiedenen Menschen und zu verschiedenen Zeiten seine besonderen
Eigenthümlichkeiten bietet, vermöge deren er im Stande ist, in gegebe-
ner Zeit mehr oder weniger kräftiger verdauende Wirkungen auszuüben,
resp. die in der Speise enthaltenen Nahrungsstoffe mehr oder weniger
vollständig auszuziehen. Im einzelnen Falle würde man über die Fähig-

Speisen.
den meisten Individuen unter den gebildeten Nationen verzehrt werden,
so gewahrt man bald, dass diese sich im Ganzen doch nur weniger, von
der Natur gebotener Gemische, als Elemente ihrer complizirten Gerichte
und Mahlzeiten bedienen. Zu diesen natürlichen Speisen, auf denen das
leibliche Wohl des besten Theiles der Menschheit ruht, gehört: das
Fleisch einiger Säugethiere (der Wiederkäuer, weniger Nager und Dick-
häuter), einiger Vögel und vieler Fische, die Milch der Wiederkäuer, die
Eier grosser Vögel, das Mehl von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais,
Reis, Bohnen, Erbsen und Kartoffeln, einige Baumfrüchte, einige wenige
Gemüse (Rüben, Kraut u. s. w.) und endlich Quellwasser. Zu diesen
gemischten Nahrungsmitteln kommen schliesslich noch einige einfache
Zucker, Fette, Oele und Kochsalz.

Da der grösste Theil derselben erst dann gegessen wird, nachdem
er in der Küche mancherlei Umwandlungen seines natürlichen Zustan-
des erfahren hat, so wird eine physiologische Betrachtung jener Spei-
sen auf diese Umwandelungen Rücksicht zu nehmen haben. Ganz allge-
mein betrachtet, stellt sich nun die Kochkunst drei ganz verschiedene
Aufgaben. Zuerst mischt sie die natürlichen Speisen noch weiter, na-
mentlich setzt sie ihnen mancherlei Gewürze bei; zweitens befreit sie
die Nahrungsmittel von unverdaulichen Beimengungen, und endlich ver-
ändert sie die Auflöslichkeit derselben in den Verdauungssäften in der
Art, dass sie die Zeit, welche zu ihrer Verdauung nothwendig ist, ent-
weder verlängert oder abkürzt. Von diesen drei Einwirkungen der Koch-
kunst sind die beiden ersten entweder so vielfacher Willkühr unterwor-
fen, oder so einfacher Art, dass sie aus der folgenden Betrachtung aus-
fallen müssen oder können.

Die Lehre von den Speisen hat zunächst zu ermitteln, welche einfachen
Nahrungsstoffe in den Speisen enthalten sind und in welchen Verbindungen
und Aggregatzuständen sie daselbst vorkommen. Dieses aufzudecken ist die
Aufgabe der chemischen Analyse, die sich dabei natürlich nicht darauf be-
schränken darf, den Gehalt der Speisen an C, H, N, O, S u. s. w. anzugeben.

Mit der noch so vollkommenen Einsicht in das chemische Verhal-
ten ist aber noch nicht das physiologisch Wissenswürdige erschöpft,
da die Nahrfähigkeit der Speisen auch noch abhängt von der Arbeit,
welche der Darmkanal nöthig hat, um die Masseneinheit der Nahrung zu
verdauen, oder von dem Antheile der genossenen Speisen, welcher während
des Durchgangs durch den Darmkanal überhaupt aufgenommen wird. All-
gemein lässt sich jedoch hierüber nichts sagen, da der Darmkanal bei ver-
schiedenen Menschen und zu verschiedenen Zeiten seine besonderen
Eigenthümlichkeiten bietet, vermöge deren er im Stande ist, in gegebe-
ner Zeit mehr oder weniger kräftiger verdauende Wirkungen auszuüben,
resp. die in der Speise enthaltenen Nahrungsstoffe mehr oder weniger
vollständig auszuziehen. Im einzelnen Falle würde man über die Fähig-

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[380/0396] Speisen. den meisten Individuen unter den gebildeten Nationen verzehrt werden, so gewahrt man bald, dass diese sich im Ganzen doch nur weniger, von der Natur gebotener Gemische, als Elemente ihrer complizirten Gerichte und Mahlzeiten bedienen. Zu diesen natürlichen Speisen, auf denen das leibliche Wohl des besten Theiles der Menschheit ruht, gehört: das Fleisch einiger Säugethiere (der Wiederkäuer, weniger Nager und Dick- häuter), einiger Vögel und vieler Fische, die Milch der Wiederkäuer, die Eier grosser Vögel, das Mehl von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Reis, Bohnen, Erbsen und Kartoffeln, einige Baumfrüchte, einige wenige Gemüse (Rüben, Kraut u. s. w.) und endlich Quellwasser. Zu diesen gemischten Nahrungsmitteln kommen schliesslich noch einige einfache Zucker, Fette, Oele und Kochsalz. Da der grösste Theil derselben erst dann gegessen wird, nachdem er in der Küche mancherlei Umwandlungen seines natürlichen Zustan- des erfahren hat, so wird eine physiologische Betrachtung jener Spei- sen auf diese Umwandelungen Rücksicht zu nehmen haben. Ganz allge- mein betrachtet, stellt sich nun die Kochkunst drei ganz verschiedene Aufgaben. Zuerst mischt sie die natürlichen Speisen noch weiter, na- mentlich setzt sie ihnen mancherlei Gewürze bei; zweitens befreit sie die Nahrungsmittel von unverdaulichen Beimengungen, und endlich ver- ändert sie die Auflöslichkeit derselben in den Verdauungssäften in der Art, dass sie die Zeit, welche zu ihrer Verdauung nothwendig ist, ent- weder verlängert oder abkürzt. Von diesen drei Einwirkungen der Koch- kunst sind die beiden ersten entweder so vielfacher Willkühr unterwor- fen, oder so einfacher Art, dass sie aus der folgenden Betrachtung aus- fallen müssen oder können. Die Lehre von den Speisen hat zunächst zu ermitteln, welche einfachen Nahrungsstoffe in den Speisen enthalten sind und in welchen Verbindungen und Aggregatzuständen sie daselbst vorkommen. Dieses aufzudecken ist die Aufgabe der chemischen Analyse, die sich dabei natürlich nicht darauf be- schränken darf, den Gehalt der Speisen an C, H, N, O, S u. s. w. anzugeben. Mit der noch so vollkommenen Einsicht in das chemische Verhal- ten ist aber noch nicht das physiologisch Wissenswürdige erschöpft, da die Nahrfähigkeit der Speisen auch noch abhängt von der Arbeit, welche der Darmkanal nöthig hat, um die Masseneinheit der Nahrung zu verdauen, oder von dem Antheile der genossenen Speisen, welcher während des Durchgangs durch den Darmkanal überhaupt aufgenommen wird. All- gemein lässt sich jedoch hierüber nichts sagen, da der Darmkanal bei ver- schiedenen Menschen und zu verschiedenen Zeiten seine besonderen Eigenthümlichkeiten bietet, vermöge deren er im Stande ist, in gegebe- ner Zeit mehr oder weniger kräftiger verdauende Wirkungen auszuüben, resp. die in der Speise enthaltenen Nahrungsstoffe mehr oder weniger vollständig auszuziehen. Im einzelnen Falle würde man über die Fähig-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/396>, abgerufen am 27.04.2024.