Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Negative Stromesschwankung.

Dieser Verminderung in der Ablenkung, welche die Nadel erleidet,
können zweierlei Arten von Verhalten des Muskelstromes zu Grunde
liegen; entweder es tritt in der That eine constante Erniedrigung
der Strömung ein, oder es wechseln während der Zusammenziehung
zwei im entgegengesetzten Sinne gerichtete Ströme so
rasch
miteinander ab, dass die träge Nadel nicht die Veränderung
jedes einzelnen, sondern nur der Resultirenden aus beiden Strömen
anzeigte. -- Auf die Zustände des Muskels bezogen würde diese
Alternative die Bedeutung haben: entweder es nehmen die Gegensätze
zwischen Querschnitt und Oberfläche in der Zusammenziehung con-
stant ab, oder es tritt eine solche Schwankung ein, dass der Längen-
schnitt bald + und bald -- und diesen entsprechend der Querschnitt
bald -- und bald + würde.

Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten verhel-
fen die Eigenthümlichkeiten des stromprüfenden Froschschenkels,
und zwar sowohl seine verschwindende Trägheit, so dass er durch
einen auch nur momentan dauernden Strom erregt wird, als auch
die andere nicht minder wichtige Eigenschaft, nur durch electrische
Ströme von veränderlicher Dichtigkeit und Stärke zur Zuckung veran-
lasst zu werden.

In der That entscheidet der stromprüfende Froschschenkel zu Gun-
sten der Vorstellung, dass während der tetanischen Zusammenziehung
die electrischen Muskelmolekeln in stetigen Bewegungen begriffen
sind, denen zufolge die den Muskel umkreisenden electrischen Ströme
sowohl ihrer Richtung als auch ihrer Intensität nach in stetige
Schwankungen gerathen.

Denn überbrückt man gleichzeitig Quer- und Längenschnitt eines Muskels mit
dem Nerven des stromprüfenden Schenkels, so geräth dieser letztere augenblicklich
in Zuckung, sowie man den ersteren durch Erregung seines Nerven zur Zusammen-
ziehung bringt. Sekundäre Zuckung von Matteucci. Diese einmalige
Zuckung des stromprüfenden Schenkels verwandelt sich aber selbst in eine anhal-
tende, eine tetanische, sowie man den primär sich zusammenziehenden Muskel te-
tanisirt, du Bois; dieses würde aber nicht möglich sein, wenn der primär tetanisirte
Schenkel von einem Strom constanter Stärke umkreisst würde.

Wir haben bisher den Muskel betrachtet, welcher seiner parelec-
tronomischen Schicht (s. p. 319) beraubt war; es gewährt nun mit
Rücksicht auf die Richtung der Bewegung, welche die Molekeln aus-
führen, ein besonderes Interesse, sie auch an solchen Muskeln zu un-
tersuchen, welche mit dieser Schicht versehen sind. War dieselbe in
vollkommener Ausbildung vorhanden, so wurde dadurch, wie wir uns
erinnern, der natürliche Querschnitt entweder indifferent oder sogar
positiv gegen den Längenschnitt, so dass durch einen solchen Muskel
im ruhenden Zustand die Nadel entweder gar nicht oder umgekehrt
wie gewöhnlich abgelenkt wurde. Tetanisirt man nun einen solchen

Negative Stromesschwankung.

Dieser Verminderung in der Ablenkung, welche die Nadel erleidet,
können zweierlei Arten von Verhalten des Muskelstromes zu Grunde
liegen; entweder es tritt in der That eine constante Erniedrigung
der Strömung ein, oder es wechseln während der Zusammenziehung
zwei im entgegengesetzten Sinne gerichtete Ströme so
rasch
miteinander ab, dass die träge Nadel nicht die Veränderung
jedes einzelnen, sondern nur der Resultirenden aus beiden Strömen
anzeigte. — Auf die Zustände des Muskels bezogen würde diese
Alternative die Bedeutung haben: entweder es nehmen die Gegensätze
zwischen Querschnitt und Oberfläche in der Zusammenziehung con-
stant ab, oder es tritt eine solche Schwankung ein, dass der Längen-
schnitt bald + und bald — und diesen entsprechend der Querschnitt
bald — und bald + würde.

Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten verhel-
fen die Eigenthümlichkeiten des stromprüfenden Froschschenkels,
und zwar sowohl seine verschwindende Trägheit, so dass er durch
einen auch nur momentan dauernden Strom erregt wird, als auch
die andere nicht minder wichtige Eigenschaft, nur durch electrische
Ströme von veränderlicher Dichtigkeit und Stärke zur Zuckung veran-
lasst zu werden.

In der That entscheidet der stromprüfende Froschschenkel zu Gun-
sten der Vorstellung, dass während der tetanischen Zusammenziehung
die electrischen Muskelmolekeln in stetigen Bewegungen begriffen
sind, denen zufolge die den Muskel umkreisenden electrischen Ströme
sowohl ihrer Richtung als auch ihrer Intensität nach in stetige
Schwankungen gerathen.

Denn überbrückt man gleichzeitig Quer- und Längenschnitt eines Muskels mit
dem Nerven des stromprüfenden Schenkels, so geräth dieser letztere augenblicklich
in Zuckung, sowie man den ersteren durch Erregung seines Nerven zur Zusammen-
ziehung bringt. Sekundäre Zuckung von Matteucci. Diese einmalige
Zuckung des stromprüfenden Schenkels verwandelt sich aber selbst in eine anhal-
tende, eine tetanische, sowie man den primär sich zusammenziehenden Muskel te-
tanisirt, du Bois; dieses würde aber nicht möglich sein, wenn der primär tetanisirte
Schenkel von einem Strom constanter Stärke umkreisst würde.

Wir haben bisher den Muskel betrachtet, welcher seiner parelec-
tronomischen Schicht (s. p. 319) beraubt war; es gewährt nun mit
Rücksicht auf die Richtung der Bewegung, welche die Molekeln aus-
führen, ein besonderes Interesse, sie auch an solchen Muskeln zu un-
tersuchen, welche mit dieser Schicht versehen sind. War dieselbe in
vollkommener Ausbildung vorhanden, so wurde dadurch, wie wir uns
erinnern, der natürliche Querschnitt entweder indifferent oder sogar
positiv gegen den Längenschnitt, so dass durch einen solchen Muskel
im ruhenden Zustand die Nadel entweder gar nicht oder umgekehrt
wie gewöhnlich abgelenkt wurde. Tetanisirt man nun einen solchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0352" n="338"/>
            <fw place="top" type="header">Negative Stromesschwankung.</fw><lb/>
            <p>Dieser Verminderung in der Ablenkung, welche die Nadel erleidet,<lb/>
können zweierlei Arten von Verhalten des Muskelstromes zu Grunde<lb/>
liegen; entweder es tritt in der That eine <hi rendition="#g">constante Erniedrigung</hi><lb/>
der Strömung ein, oder es <hi rendition="#g">wechseln</hi> während der Zusammenziehung<lb/><hi rendition="#g">zwei im entgegengesetzten Sinne gerichtete Ströme so<lb/>
rasch</hi> miteinander ab, dass die träge Nadel nicht die Veränderung<lb/>
jedes einzelnen, sondern nur der Resultirenden aus beiden Strömen<lb/>
anzeigte. &#x2014; Auf die Zustände des Muskels bezogen würde diese<lb/>
Alternative die Bedeutung haben: entweder es nehmen die Gegensätze<lb/>
zwischen Querschnitt und Oberfläche in der Zusammenziehung con-<lb/>
stant ab, oder es tritt eine solche Schwankung ein, dass der Längen-<lb/>
schnitt bald + und bald &#x2014; und diesen entsprechend der Querschnitt<lb/>
bald &#x2014; und bald + würde.</p><lb/>
            <p>Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten verhel-<lb/>
fen die Eigenthümlichkeiten des stromprüfenden Froschschenkels,<lb/>
und zwar sowohl seine verschwindende Trägheit, so dass er durch<lb/>
einen auch nur momentan dauernden Strom erregt wird, als auch<lb/>
die andere nicht minder wichtige Eigenschaft, nur durch electrische<lb/>
Ströme von veränderlicher Dichtigkeit und Stärke zur Zuckung veran-<lb/>
lasst zu werden.</p><lb/>
            <p>In der That entscheidet der stromprüfende Froschschenkel zu Gun-<lb/>
sten der Vorstellung, dass während der tetanischen Zusammenziehung<lb/>
die electrischen Muskelmolekeln in stetigen Bewegungen begriffen<lb/>
sind, denen zufolge die den Muskel umkreisenden electrischen Ströme<lb/>
sowohl ihrer Richtung als auch ihrer Intensität nach in stetige<lb/>
Schwankungen gerathen.</p><lb/>
            <p>Denn überbrückt man gleichzeitig Quer- und Längenschnitt eines Muskels mit<lb/>
dem Nerven des stromprüfenden Schenkels, so geräth dieser letztere augenblicklich<lb/>
in Zuckung, sowie man den ersteren durch Erregung seines Nerven zur Zusammen-<lb/>
ziehung bringt. <hi rendition="#g">Sekundäre Zuckung</hi> von <hi rendition="#g">Matteucci</hi>. Diese einmalige<lb/>
Zuckung des stromprüfenden Schenkels verwandelt sich aber selbst in eine anhal-<lb/>
tende, eine tetanische, sowie man den primär sich zusammenziehenden Muskel te-<lb/>
tanisirt, <hi rendition="#g">du Bois</hi>; dieses würde aber nicht möglich sein, wenn der primär tetanisirte<lb/>
Schenkel von einem Strom constanter Stärke umkreisst würde.</p><lb/>
            <p>Wir haben bisher den Muskel betrachtet, welcher seiner parelec-<lb/>
tronomischen Schicht (s. p. 319) beraubt war; es gewährt nun mit<lb/>
Rücksicht auf die Richtung der Bewegung, welche die Molekeln aus-<lb/>
führen, ein besonderes Interesse, sie auch an solchen Muskeln zu un-<lb/>
tersuchen, welche mit dieser Schicht versehen sind. War dieselbe in<lb/>
vollkommener Ausbildung vorhanden, so wurde dadurch, wie wir uns<lb/>
erinnern, der natürliche Querschnitt entweder indifferent oder sogar<lb/>
positiv gegen den Längenschnitt, so dass durch einen solchen Muskel<lb/>
im ruhenden Zustand die Nadel entweder gar nicht oder umgekehrt<lb/>
wie gewöhnlich abgelenkt wurde. Tetanisirt man nun einen solchen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[338/0352] Negative Stromesschwankung. Dieser Verminderung in der Ablenkung, welche die Nadel erleidet, können zweierlei Arten von Verhalten des Muskelstromes zu Grunde liegen; entweder es tritt in der That eine constante Erniedrigung der Strömung ein, oder es wechseln während der Zusammenziehung zwei im entgegengesetzten Sinne gerichtete Ströme so rasch miteinander ab, dass die träge Nadel nicht die Veränderung jedes einzelnen, sondern nur der Resultirenden aus beiden Strömen anzeigte. — Auf die Zustände des Muskels bezogen würde diese Alternative die Bedeutung haben: entweder es nehmen die Gegensätze zwischen Querschnitt und Oberfläche in der Zusammenziehung con- stant ab, oder es tritt eine solche Schwankung ein, dass der Längen- schnitt bald + und bald — und diesen entsprechend der Querschnitt bald — und bald + würde. Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten verhel- fen die Eigenthümlichkeiten des stromprüfenden Froschschenkels, und zwar sowohl seine verschwindende Trägheit, so dass er durch einen auch nur momentan dauernden Strom erregt wird, als auch die andere nicht minder wichtige Eigenschaft, nur durch electrische Ströme von veränderlicher Dichtigkeit und Stärke zur Zuckung veran- lasst zu werden. In der That entscheidet der stromprüfende Froschschenkel zu Gun- sten der Vorstellung, dass während der tetanischen Zusammenziehung die electrischen Muskelmolekeln in stetigen Bewegungen begriffen sind, denen zufolge die den Muskel umkreisenden electrischen Ströme sowohl ihrer Richtung als auch ihrer Intensität nach in stetige Schwankungen gerathen. Denn überbrückt man gleichzeitig Quer- und Längenschnitt eines Muskels mit dem Nerven des stromprüfenden Schenkels, so geräth dieser letztere augenblicklich in Zuckung, sowie man den ersteren durch Erregung seines Nerven zur Zusammen- ziehung bringt. Sekundäre Zuckung von Matteucci. Diese einmalige Zuckung des stromprüfenden Schenkels verwandelt sich aber selbst in eine anhal- tende, eine tetanische, sowie man den primär sich zusammenziehenden Muskel te- tanisirt, du Bois; dieses würde aber nicht möglich sein, wenn der primär tetanisirte Schenkel von einem Strom constanter Stärke umkreisst würde. Wir haben bisher den Muskel betrachtet, welcher seiner parelec- tronomischen Schicht (s. p. 319) beraubt war; es gewährt nun mit Rücksicht auf die Richtung der Bewegung, welche die Molekeln aus- führen, ein besonderes Interesse, sie auch an solchen Muskeln zu un- tersuchen, welche mit dieser Schicht versehen sind. War dieselbe in vollkommener Ausbildung vorhanden, so wurde dadurch, wie wir uns erinnern, der natürliche Querschnitt entweder indifferent oder sogar positiv gegen den Längenschnitt, so dass durch einen solchen Muskel im ruhenden Zustand die Nadel entweder gar nicht oder umgekehrt wie gewöhnlich abgelenkt wurde. Tetanisirt man nun einen solchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/352
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/352>, abgerufen am 22.11.2024.