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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Negative Stromesschwankung.
Kreis gelegt wurde, dagegen geringer sein, wenn er mit einer schwa-
chen Anordnung auflag, und ganz fehlen beim Einfügen der unwirksa-
men Anordnung in den Kreis. -- b. Die steigende Entfernung der abge-
leiteten Stelle des Nerven von derjenigen, an welcher der erregende
Einfluss wirkt, schwächt die Gröse der electronegativen Schwankung.
Diese Verminderung der Stärke wächst jedoch nicht so rasch mit der
Entfernung von der erregten Stelle, wie dieses beim elektrotonischen
Zuwachs der Fall war. -- c. Die Grösse der Rückschwankung wächst
mit der Stärke der Erregung. Rücksichtlich dieses Punktes muss man
im Auge behalten, dass die jetzigen Untersuchungsmethoden bislang
nur erlaubten, die durch electrische Ströme in den Muskelnerven er-
zeugten Erregungsstärken mit den electronegativen Schwankungen in
befriedigender Schärfe zu vergleichen.

Da die Stösse, welche der Nerv in der elektronegativen Schwankung seiner Mo-
lekeln der Nadel mittheilt, sehr schwach sind, so müssen dieselben längere Zeit auf
die Nadel wirken, um einen deutlichen Rückschwung zu erzeugen, oder anders aus-
gedrückt, es muss der Nerv in einer längere Zeit hindurch andauernden Erregung
erhalten werden. Unter den bekannten Hilfsmitteln können wir eine solche vorzugs-
weise nur durch den elektrischen Strom erzeugen; indem wir diesen aber auf
den Nerven einwirken lassen, versetzen wir seine Molekeln in den elektrotonischen
Zustand, der auf die Nadel wirkend die zarteren Folgen der elektronegativen Schwan-
kung verwischen würde. Um diese letztere rein zu erhalten genügt es aber ein-
fach den Nerv durch abwechselnd gerichtete Schläge (mit einer im Nerven bald
auf- und bald absteigenden Stromesrichtung) zu treffen, wie sie eine gewöhnliche
Inductionsmaschine liefert. Dadurch erscheinen im Nervenstück in rascher Folge ab-
wechselnd gerichtete Phasen, die gegenseitig ihre Wirkung auf die Nadel vernichten,
weil diese nicht momentan jeder Einwirkung Folge leistet. -- Du Bois hat aber auch
auf andern als elektrischem Wege die negative Schwankung der Theile durch sehr
sinnreiche Methoden der Erregung erwiesen; so hat er namentlich am lebenden
Thier auf sog. reflectorischen Wege, und nach Strychnin-Vergiftung, ferner im
einzelnen Nerven durch mechanische und kaustische Einwirkungen sie beobachtet.
-- Die negative Schwankung erscheint, was sehr bemerkenswerth, gewöhnlich nicht
in voller Stärke mit der ersten Erregung, sondern erst dann, wenn der Nerv mit
zwischen gelegten Pausen einigemal erregt worden war.

Die Fortleitung der electronegativen Schwankung geschieht in
allen Nerven, mögen diese im lebenden Körper Empfindung oder Be-
wegung veranlasst haben, nach beiden Richtungen ihrer Längsachse,
so dass wenn man z. B. das Mittelstück eines Nerven erregt, jedes der
beiden Enden auf die Bäusche aufgelegt, die Nadel zur Rückschwan-
kung veranlasst.

Der Rückschwung der Nadel kann verschiedene Zustandsverände-
rungen der Nervenmoleküle bedeuten; entweder könnte er herrühren
von einer dauernden Abstumpfung der Gegensätze auf der Oberfläche
und dem Querschnitte, oder er könnte wegen der Trägheit der Nadel
auch Folge sein von einem stetigen Wechsel der Stromesrichtungen,
welche dadurch bedingt wären, dass die Oberfläche aus ihrem + in
ein -- und der Querschnitt aus seinem -- in ein + umschlägt. Diese

Negative Stromesschwankung.
Kreis gelegt wurde, dagegen geringer sein, wenn er mit einer schwa-
chen Anordnung auflag, und ganz fehlen beim Einfügen der unwirksa-
men Anordnung in den Kreis. — b. Die steigende Entfernung der abge-
leiteten Stelle des Nerven von derjenigen, an welcher der erregende
Einfluss wirkt, schwächt die Gröse der electronegativen Schwankung.
Diese Verminderung der Stärke wächst jedoch nicht so rasch mit der
Entfernung von der erregten Stelle, wie dieses beim elektrotonischen
Zuwachs der Fall war. — c. Die Grösse der Rückschwankung wächst
mit der Stärke der Erregung. Rücksichtlich dieses Punktes muss man
im Auge behalten, dass die jetzigen Untersuchungsmethoden bislang
nur erlaubten, die durch electrische Ströme in den Muskelnerven er-
zeugten Erregungsstärken mit den electronegativen Schwankungen in
befriedigender Schärfe zu vergleichen.

Da die Stösse, welche der Nerv in der elektronegativen Schwankung seiner Mo-
lekeln der Nadel mittheilt, sehr schwach sind, so müssen dieselben längere Zeit auf
die Nadel wirken, um einen deutlichen Rückschwung zu erzeugen, oder anders aus-
gedrückt, es muss der Nerv in einer längere Zeit hindurch andauernden Erregung
erhalten werden. Unter den bekannten Hilfsmitteln können wir eine solche vorzugs-
weise nur durch den elektrischen Strom erzeugen; indem wir diesen aber auf
den Nerven einwirken lassen, versetzen wir seine Molekeln in den elektrotonischen
Zustand, der auf die Nadel wirkend die zarteren Folgen der elektronegativen Schwan-
kung verwischen würde. Um diese letztere rein zu erhalten genügt es aber ein-
fach den Nerv durch abwechselnd gerichtete Schläge (mit einer im Nerven bald
auf- und bald absteigenden Stromesrichtung) zu treffen, wie sie eine gewöhnliche
Inductionsmaschine liefert. Dadurch erscheinen im Nervenstück in rascher Folge ab-
wechselnd gerichtete Phasen, die gegenseitig ihre Wirkung auf die Nadel vernichten,
weil diese nicht momentan jeder Einwirkung Folge leistet. — Du Bois hat aber auch
auf andern als elektrischem Wege die negative Schwankung der Theile durch sehr
sinnreiche Methoden der Erregung erwiesen; so hat er namentlich am lebenden
Thier auf sog. reflectorischen Wege, und nach Strychnin-Vergiftung, ferner im
einzelnen Nerven durch mechanische und kaustische Einwirkungen sie beobachtet.
— Die negative Schwankung erscheint, was sehr bemerkenswerth, gewöhnlich nicht
in voller Stärke mit der ersten Erregung, sondern erst dann, wenn der Nerv mit
zwischen gelegten Pausen einigemal erregt worden war.

Die Fortleitung der electronegativen Schwankung geschieht in
allen Nerven, mögen diese im lebenden Körper Empfindung oder Be-
wegung veranlasst haben, nach beiden Richtungen ihrer Längsachse,
so dass wenn man z. B. das Mittelstück eines Nerven erregt, jedes der
beiden Enden auf die Bäusche aufgelegt, die Nadel zur Rückschwan-
kung veranlasst.

Der Rückschwung der Nadel kann verschiedene Zustandsverände-
rungen der Nervenmoleküle bedeuten; entweder könnte er herrühren
von einer dauernden Abstumpfung der Gegensätze auf der Oberfläche
und dem Querschnitte, oder er könnte wegen der Trägheit der Nadel
auch Folge sein von einem stetigen Wechsel der Stromesrichtungen,
welche dadurch bedingt wären, dass die Oberfläche aus ihrem + in
ein — und der Querschnitt aus seinem — in ein + umschlägt. Diese

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[93/0107] Negative Stromesschwankung. Kreis gelegt wurde, dagegen geringer sein, wenn er mit einer schwa- chen Anordnung auflag, und ganz fehlen beim Einfügen der unwirksa- men Anordnung in den Kreis. — b. Die steigende Entfernung der abge- leiteten Stelle des Nerven von derjenigen, an welcher der erregende Einfluss wirkt, schwächt die Gröse der electronegativen Schwankung. Diese Verminderung der Stärke wächst jedoch nicht so rasch mit der Entfernung von der erregten Stelle, wie dieses beim elektrotonischen Zuwachs der Fall war. — c. Die Grösse der Rückschwankung wächst mit der Stärke der Erregung. Rücksichtlich dieses Punktes muss man im Auge behalten, dass die jetzigen Untersuchungsmethoden bislang nur erlaubten, die durch electrische Ströme in den Muskelnerven er- zeugten Erregungsstärken mit den electronegativen Schwankungen in befriedigender Schärfe zu vergleichen. Da die Stösse, welche der Nerv in der elektronegativen Schwankung seiner Mo- lekeln der Nadel mittheilt, sehr schwach sind, so müssen dieselben längere Zeit auf die Nadel wirken, um einen deutlichen Rückschwung zu erzeugen, oder anders aus- gedrückt, es muss der Nerv in einer längere Zeit hindurch andauernden Erregung erhalten werden. Unter den bekannten Hilfsmitteln können wir eine solche vorzugs- weise nur durch den elektrischen Strom erzeugen; indem wir diesen aber auf den Nerven einwirken lassen, versetzen wir seine Molekeln in den elektrotonischen Zustand, der auf die Nadel wirkend die zarteren Folgen der elektronegativen Schwan- kung verwischen würde. Um diese letztere rein zu erhalten genügt es aber ein- fach den Nerv durch abwechselnd gerichtete Schläge (mit einer im Nerven bald auf- und bald absteigenden Stromesrichtung) zu treffen, wie sie eine gewöhnliche Inductionsmaschine liefert. Dadurch erscheinen im Nervenstück in rascher Folge ab- wechselnd gerichtete Phasen, die gegenseitig ihre Wirkung auf die Nadel vernichten, weil diese nicht momentan jeder Einwirkung Folge leistet. — Du Bois hat aber auch auf andern als elektrischem Wege die negative Schwankung der Theile durch sehr sinnreiche Methoden der Erregung erwiesen; so hat er namentlich am lebenden Thier auf sog. reflectorischen Wege, und nach Strychnin-Vergiftung, ferner im einzelnen Nerven durch mechanische und kaustische Einwirkungen sie beobachtet. — Die negative Schwankung erscheint, was sehr bemerkenswerth, gewöhnlich nicht in voller Stärke mit der ersten Erregung, sondern erst dann, wenn der Nerv mit zwischen gelegten Pausen einigemal erregt worden war. Die Fortleitung der electronegativen Schwankung geschieht in allen Nerven, mögen diese im lebenden Körper Empfindung oder Be- wegung veranlasst haben, nach beiden Richtungen ihrer Längsachse, so dass wenn man z. B. das Mittelstück eines Nerven erregt, jedes der beiden Enden auf die Bäusche aufgelegt, die Nadel zur Rückschwan- kung veranlasst. Der Rückschwung der Nadel kann verschiedene Zustandsverände- rungen der Nervenmoleküle bedeuten; entweder könnte er herrühren von einer dauernden Abstumpfung der Gegensätze auf der Oberfläche und dem Querschnitte, oder er könnte wegen der Trägheit der Nadel auch Folge sein von einem stetigen Wechsel der Stromesrichtungen, welche dadurch bedingt wären, dass die Oberfläche aus ihrem + in ein — und der Querschnitt aus seinem — in ein + umschlägt. Diese

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/107>, abgerufen am 28.04.2024.