zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den Bruder hassen zu dürfen, der ihn hasse. Ihm fehlte das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das diesem den Widerspruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬ zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem Widerspruch und er unterdrückte es absichtlich. So setzte sein Schuldbewußtsein den Haß als wirklich vor¬ aus, den es verdient zu haben sich vorwerfen mußte.
Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬ nung, das rasche und genau berechnete Ineinander¬ greifen, an das er in Köln sich gewöhnt, ja nur, wie es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker mußte viertelstundenlang und länger auf die Schieferplat¬ ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine gute Entschuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬ dig über Apollonius Klage. Eine solche Ordnung, wie der sie verlangte, existirte nirgends und war auch nicht möglich. Bei sich verspottete er wieder den Träu¬ mer, der so unpraktisch war. Und wäre die Ordnung möglich gewesen, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬ gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬ wandte. Und als Apollonius selbst dazu that, den Schlendrian abzustellen, da war er dem Bruder wie¬ derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes, er selber sich der schlichte Mann, der solche Kunstgriffe verschmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus
zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den Bruder haſſen zu dürfen, der ihn haſſe. Ihm fehlte das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das dieſem den Widerſpruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬ zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem Widerſpruch und er unterdrückte es abſichtlich. So ſetzte ſein Schuldbewußtſein den Haß als wirklich vor¬ aus, den es verdient zu haben ſich vorwerfen mußte.
Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬ nung, das raſche und genau berechnete Ineinander¬ greifen, an das er in Köln ſich gewöhnt, ja nur, wie es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker mußte viertelſtundenlang und länger auf die Schieferplat¬ ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine gute Entſchuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬ dig über Apollonius Klage. Eine ſolche Ordnung, wie der ſie verlangte, exiſtirte nirgends und war auch nicht möglich. Bei ſich verſpottete er wieder den Träu¬ mer, der ſo unpraktiſch war. Und wäre die Ordnung möglich geweſen, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬ gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬ wandte. Und als Apollonius ſelbſt dazu that, den Schlendrian abzuſtellen, da war er dem Bruder wie¬ derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes, er ſelber ſich der ſchlichte Mann, der ſolche Kunſtgriffe verſchmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus
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zu bemitleiden, dem jener Schlingen lege, um nur den
Bruder haſſen zu dürfen, der ihn haſſe. Ihm fehlte
das Klarheitsbedürfniß Apollonius', das dieſem den
Widerſpruch gezeigt und den erkannten zu tilgen ge¬
zwungen hätte. Vielleicht hatte er ein Gefühl von dem
Widerſpruch und er unterdrückte es abſichtlich. So
ſetzte ſein Schuldbewußtſein den Haß als wirklich vor¬
aus, den es verdient zu haben ſich vorwerfen mußte.
Bald merkte Apollonius, hier war nicht die Ord¬
nung, das raſche und genau berechnete Ineinander¬
greifen, an das er in Köln ſich gewöhnt, ja nur, wie
es der Vater früher hier gehandhabt. Der Decker
mußte viertelſtundenlang und länger auf die Schieferplat¬
ten warten; die Handlanger leierten und hatten in der
Unordnung und Trägheit der Behauer und Sortirer eine
gute Entſchuldigung. Der Bruder lachte halb mitlei¬
dig über Apollonius Klage. Eine ſolche Ordnung,
wie der ſie verlangte, exiſtirte nirgends und war auch
nicht möglich. Bei ſich verſpottete er wieder den Träu¬
mer, der ſo unpraktiſch war. Und wäre die Ordnung
möglich geweſen, die Arbeit war im Tagelohn verdun¬
gen. Die verlorene Zeit wurde bezahlt, wie die ange¬
wandte. Und als Apollonius ſelbſt dazu that, den
Schlendrian abzuſtellen, da war er dem Bruder wie¬
derum der Wohldiener des Bauherrn und des Rathes,
er ſelber ſich der ſchlichte Mann, der ſolche Kunſtgriffe
verſchmäht. Da wollte ihn jener nur vollends aus
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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