Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht betrafen, redete er mit den Söhnen gar nicht.
Dagegen war es des Vetters Weise, eh' er selbst seine
Ansicht über einen Punkt des Geschäftes aussprach,
seine Gehülfen um ihre Meinung zu fragen. Es war
dann nicht genug an der Meinung, er wollte auch die
Gründe wissen. Dann machte er Einwürfe; war ihre
Meinung die richtige, mußten sie dieselbe siegreich durch¬
kämpfen; irrten sie, nöthigte er sie, durch eigenes Den¬
ken auf das Rechte zu kommen. So erzog er sich
Helfer, die nicht um jede Kleinigkeit, ihn fragen mu߬
ten, denen er Manches überlassen konnte. Und so hielt
er es auch mit andern Dingen. Es waren wenig
Verhältnisse des bürgerlichen Lebens, die er nicht nach
seiner Weise mit seiner Familie -- und Apollonius
gehörte dazu -- durchsprach. Indem er zunächst nur
darauf auszugehen schien, das Urtheil der jungen Leute
zu bilden, gab er ihnen einen Reichthum von Lebens¬
regeln und Grundsätzen, die um so mehr Frucht ver¬
sprachen, da die jungen Leute sie selbst hatten finden
müssen. Woran der Vetter bei seinem Verwandten
nicht tastete, das war dessen Gewissenhaftigkeit, Eigen¬
sinn in der Arbeit und Sauberkeit des Leibes und der
Seele. Doch ließ er es nicht an Winken und Beispie¬
len fehlen, wie auch diese Tugenden an Uebermaß er¬
kranken könnten.

Apollonius erkannte sehr deutlich, daß sein Glück
ihn zu dem Vetter geführt. Er verlor das träumerische

nicht betrafen, redete er mit den Söhnen gar nicht.
Dagegen war es des Vetters Weiſe, eh' er ſelbſt ſeine
Anſicht über einen Punkt des Geſchäftes ausſprach,
ſeine Gehülfen um ihre Meinung zu fragen. Es war
dann nicht genug an der Meinung, er wollte auch die
Gründe wiſſen. Dann machte er Einwürfe; war ihre
Meinung die richtige, mußten ſie dieſelbe ſiegreich durch¬
kämpfen; irrten ſie, nöthigte er ſie, durch eigenes Den¬
ken auf das Rechte zu kommen. So erzog er ſich
Helfer, die nicht um jede Kleinigkeit, ihn fragen mu߬
ten, denen er Manches überlaſſen konnte. Und ſo hielt
er es auch mit andern Dingen. Es waren wenig
Verhältniſſe des bürgerlichen Lebens, die er nicht nach
ſeiner Weiſe mit ſeiner Familie — und Apollonius
gehörte dazu — durchſprach. Indem er zunächſt nur
darauf auszugehen ſchien, das Urtheil der jungen Leute
zu bilden, gab er ihnen einen Reichthum von Lebens¬
regeln und Grundſätzen, die um ſo mehr Frucht ver¬
ſprachen, da die jungen Leute ſie ſelbſt hatten finden
müſſen. Woran der Vetter bei ſeinem Verwandten
nicht taſtete, das war deſſen Gewiſſenhaftigkeit, Eigen¬
ſinn in der Arbeit und Sauberkeit des Leibes und der
Seele. Doch ließ er es nicht an Winken und Beiſpie¬
len fehlen, wie auch dieſe Tugenden an Uebermaß er¬
kranken könnten.

Apollonius erkannte ſehr deutlich, daß ſein Glück
ihn zu dem Vetter geführt. Er verlor das träumeriſche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="26"/>
nicht betrafen, redete er mit den Söhnen gar nicht.<lb/>
Dagegen war es des Vetters Wei&#x017F;e, eh' er &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine<lb/>
An&#x017F;icht über einen Punkt des Ge&#x017F;chäftes aus&#x017F;prach,<lb/>
&#x017F;eine Gehülfen um ihre Meinung zu fragen. Es war<lb/>
dann nicht genug an der Meinung, er wollte auch die<lb/>
Gründe wi&#x017F;&#x017F;en. Dann machte er Einwürfe; war ihre<lb/>
Meinung die richtige, mußten &#x017F;ie die&#x017F;elbe &#x017F;iegreich durch¬<lb/>
kämpfen; irrten &#x017F;ie, nöthigte er &#x017F;ie, durch eigenes Den¬<lb/>
ken auf das Rechte zu kommen. So erzog er &#x017F;ich<lb/>
Helfer, die nicht um jede Kleinigkeit, ihn fragen mu߬<lb/>
ten, denen er Manches überla&#x017F;&#x017F;en konnte. Und &#x017F;o hielt<lb/>
er es auch mit andern Dingen. Es waren wenig<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e des bürgerlichen Lebens, die er nicht nach<lb/>
&#x017F;einer Wei&#x017F;e mit &#x017F;einer Familie &#x2014; und Apollonius<lb/>
gehörte dazu &#x2014; durch&#x017F;prach. Indem er zunäch&#x017F;t nur<lb/>
darauf auszugehen &#x017F;chien, das Urtheil der jungen Leute<lb/>
zu bilden, gab er ihnen einen Reichthum von Lebens¬<lb/>
regeln und Grund&#x017F;ätzen, die um &#x017F;o mehr Frucht ver¬<lb/>
&#x017F;prachen, da die jungen Leute &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t hatten finden<lb/>&#x017F;&#x017F;en. Woran der Vetter bei &#x017F;einem Verwandten<lb/>
nicht ta&#x017F;tete, das war de&#x017F;&#x017F;en Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit, Eigen¬<lb/>
&#x017F;inn in der Arbeit und Sauberkeit des Leibes und der<lb/>
Seele. Doch ließ er es nicht an Winken und Bei&#x017F;pie¬<lb/>
len fehlen, wie auch die&#x017F;e Tugenden an Uebermaß er¬<lb/>
kranken könnten.</p><lb/>
        <p>Apollonius erkannte &#x017F;ehr deutlich, daß &#x017F;ein Glück<lb/>
ihn zu dem Vetter geführt. Er verlor das träumeri&#x017F;che<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0035] nicht betrafen, redete er mit den Söhnen gar nicht. Dagegen war es des Vetters Weiſe, eh' er ſelbſt ſeine Anſicht über einen Punkt des Geſchäftes ausſprach, ſeine Gehülfen um ihre Meinung zu fragen. Es war dann nicht genug an der Meinung, er wollte auch die Gründe wiſſen. Dann machte er Einwürfe; war ihre Meinung die richtige, mußten ſie dieſelbe ſiegreich durch¬ kämpfen; irrten ſie, nöthigte er ſie, durch eigenes Den¬ ken auf das Rechte zu kommen. So erzog er ſich Helfer, die nicht um jede Kleinigkeit, ihn fragen mu߬ ten, denen er Manches überlaſſen konnte. Und ſo hielt er es auch mit andern Dingen. Es waren wenig Verhältniſſe des bürgerlichen Lebens, die er nicht nach ſeiner Weiſe mit ſeiner Familie — und Apollonius gehörte dazu — durchſprach. Indem er zunächſt nur darauf auszugehen ſchien, das Urtheil der jungen Leute zu bilden, gab er ihnen einen Reichthum von Lebens¬ regeln und Grundſätzen, die um ſo mehr Frucht ver¬ ſprachen, da die jungen Leute ſie ſelbſt hatten finden müſſen. Woran der Vetter bei ſeinem Verwandten nicht taſtete, das war deſſen Gewiſſenhaftigkeit, Eigen¬ ſinn in der Arbeit und Sauberkeit des Leibes und der Seele. Doch ließ er es nicht an Winken und Beiſpie¬ len fehlen, wie auch dieſe Tugenden an Uebermaß er¬ kranken könnten. Apollonius erkannte ſehr deutlich, daß ſein Glück ihn zu dem Vetter geführt. Er verlor das träumeriſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/35
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/35>, abgerufen am 23.11.2024.